Es stellte sich heraus, das Grausamkeit schwerer war, als gedacht.
Den ganzen Vormittag hindurch hörte Damian die Schreie seines Vaters im Zimmer über ihm. Hörte, wie das Bettgestell mehrmals gegen die Wand stieß, wie die Diener aufgeregt durcheinander riefen. Zwar hatte er angeordnet, ihn mit allem zu versorgten, was er brauchte und dass die Mediziner ihn ständig überwachten. Aber von seinen Fesseln befreit, hatte er ihn nicht. Selbst die Ärzte hatten so etwas noch nie gesehen: Einen Sterbenden, der derart vehement gegen seinen Tod rebellierte, ihn komplett leugnete. Sie versicherten Damian, dass seine Kräfte in wenigen Stunden nachlassen und seine Proteste aufhören würden, aber bis dahin war er eine Gefahr für sich selbst, seine Pfleger und wahrscheinlich das ganze Land. Er musste unter Kontrolle gehalten werden. Und Damian war derjenige, der es tun musste.
Eigentlich hätte er es genießen müssen, seinen Vater so zu sehen. Ihn zu bestrafen, für alles, was er ihm angetan hatte. Aber das tat er nicht. Warum hatte er ein schlechtes Gewissen? Charon verdiente sein Ende. Sollte wenigstens der Tod, ihm, der im Leben immer gelogen hatte, zeigen, was er wirklich war.
Er versuchte sich abzulenken. Durchwühlte sein Bett, bis er den Schwiegermutterspiegel fand und hielt ihn eine Weile unschlüssig in der Hand. Nein, er konnte Mera jetzt nicht ansprechen. Er wüsste nicht, was er sagen sollte oder was sie davon hielt, dass er ihre Mission verraten hatte. Besser er wartete damit, bis sein Vater-
Damian führte den Gedanken nicht zu Ende. Stattdessen ging in die Bibliothek, zog wahllos Bücher heraus. Las ein paar Seiten, ohne sie wirklich zu verstehen. Stellte die Bände ins Regal zurück. Sonst liebte er die Stille hier, aber heute war sie unerträglich drückend. Diener brachten ihm etwas zu Essen, doch er bekam keinen Bissen herunter. Am Nachmittag, als er aus dem Schlafzimmer seines Vaters endlich nichts mehr hörte, ging er hinaus in die Gärten. Er setzte sich auf eine niedrige Mauer, überwuchert von knorrigem Rosmarin, und dachte bei seinem Anblick an Veronika.
Hoffentlich war sie mittlerweile mit Cleo in Sicherheit auf einer der Inseln. Was würde sie sagen, wenn sie ihn im Schlafzimmer seines Vaters erlebt hätte? Er blickte hinauf zum Fenster des Königs. Die Läden waren geschlossen und kein Laut drang daraus hervor. Eigentlich wusste er genau, was sie gesagt hätte. Und er wusste auch, was sie ihm raten würde, wäre sie jetzt hier.
Damian stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose. Dann ging er nach drinnen, in die Kühle des Palasts und stieg hinauf zum marmornen Gang seines Vaters. Die Wachen öffneten ihm stumm die Tür. Wenn sie von seiner Rückkehr überrascht waren, ließen sie es sich nicht anmerken.
Im Zimmer war die Szene fast unverändert. Sein Vater saß im Bett, festgebunden und ein großes Kissen im Rücken, aber jetzt sichtbar erschöpft, mit geschlossenen Augen. Zwei Wachen standen an der hinteren Wand, der Arzt saß auf einem Stuhl an seiner Seite. Es war stickig, dunkel und der Luft lag ein scharfer Geruch nach Salbe mit Eukalyptus.
„Hoheit!"
Damian hob die Hand, zum Zeichen, dass der Arzt sich nicht verbeugen musste. „Öffnet die Fenster", befahl er den Wachen. „Und bindet ihn los."
Zögerlich gehorchten sie. Sein Vater reagierte nicht, als sie seine Fesseln lösten. Auch nicht, nachdem sie lautstark die Fensterläden aufgeworfen hatten und Abendsonne das Zimmer flutete, begleitet von einer lauwarmen Brise. Langsam trat Damian ans Bett des Königs. Mittlerweile war sein Gesicht so weiß wie die Leinentücher der Bettwäsche.
„Ihr könnt gehen", sagte er zum Arzt. „Aber bleibt in der Nähe."
Der Arzt erhob sich. „Seine Majestät lehnt es ab, sich hinzulegen." Leise fügte er hinzu. „Er akzeptiert immer noch nicht, dass es zu Ende geht."

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Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...