Es war eine Frau.
Sie lag auf dem Boden. Reglos, mit ausgestreckten Gliedern, umrahmt von einem Schwall dunklen Haars und verheddert in ihrem weißen Umhang. Silberne Wirbel und fremdartige Muster zierten den Stoff. Ein paar Meter neben ihrer leeren, geöffneten Hand lag ein Schwert. Befleckt von schwarzem Blut, aber strahlend hell. Ein schwaches Licht ging davon aus, und im Dunkel der Höhle erinnerte es Damian an einen gefallenen Stern. Für einen Moment dachte Damian, die Frau sei tot. Dann drehte sie den Kopf und stöhnte unter Schmerzen.
Er stürzte auf sie zu, fiel neben ihr auf die Knie. „Hallo?"
Ihre Augenlider schlugen schnell hin und her, wie ein flatternder Schmetterling, bis sich ihr Blick endlich klärte.
Damian zog die Brauen zusammen. Es war nicht ganz sicher, ob er richtig sah, oder ob der feuchte Nebel allmählich sein Hirn aufweichte. „Cleo?"
Sie war es, ohne Zweifel. Die dunkelhaarige junge Frau, die zusammen mit Thalia an den Hof gekommen war, um Soldatin zu werden. Sie stammte aus dem selben Ort wie Thalia, hatte es aber im Gegensatz zu ihr kaum über das Basistraining hinausgeschafft und war nicht in seine Leibwache aufgestiegen. Daraufhin hatte sie den Palast freiwillig verlassen. Er hatte sie seitdem nicht mehr gesehen.
Und jetzt lag sie hier. In einer nach Schwefel stinkenden Höhle, die verflucht sein sollte, irgendwo am Ende der Welt. Allein, bekleidet mit einer weißen Rüstung, einem Umhang und einer Klinge, deren Machart er noch nirgendwo gesehen hatte. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. War sie eine ausländische Spionin? Geschickt, um Verlons Geheimnissen nachzugehen? Hatte sie sich nach ihrem Scheitern im Palast Söldnern angeschlossen? War sie hier auf eigene Faust?
Dann aber sah er das Blut. Dutzende Verletzungen überzogen ihren Körper. Bissspuren an Armen und Beinen, wo der weiße Stoff rot getränkt und zerfetzt war. Schnitte und bedrohlich tiefe Löcher an ihrem Bauch und ihrer Schulter.
„Prinz Damian?" Sie schien mindestens so überrascht, ihn zu sehen, wie er sie. Ihre Stimme war heiser, fast tonlos. „Thalia-?"
„Nein. Ich bin allein. Cleo. Was geht hier vor?"
Sie schüttelte nur den Kopf und dabei verzog sie schmerzhaft das Gesicht. „Zu spät. Flieht. Sie kann Euch hören." Cleos angsterfüllte Augen starrten zu einer Stelle hinter ihm.
Ganz langsam wandte Damian sich um. Vor ihm lag ein Abgrund. Eine schwarze Spalte, die hinab in bodenlose Tiefe führte. Dampf stieg daraus hervor, vernebelte seine Sicht. Und dann hörte er es wieder. Ein Zischen, diesmal viel näher.
Er stand auf. Stellte sich vor Cleo, seine Klinge erhoben. Ein Schweißtropfen lief seinen Nacken hinab und beißender Gestank schlug sich in seinem Gaumen nieder. Sein Blick blieb stur auf den Abgrund gerichtet.
Da war noch jemand.
Etwas Dunkles wälzte sich aus dem Schatten. Etwas Riesiges. Gelb glühende Augen, mit Schlitzen als Pupillen, leuchteten durch den Dampf. Eine gespaltene Zunge schnellte hervor, nahm Witterung auf. Dann schlängelte sich der glänzende schuppige Körper über die Kante, breiter als ein Baumstamm. Es war die Schlange aus seinem Traum. Aber größer. Viel,viel größer.
Damian hatte nur einen Versuch. Er wusste es.
Die Schlange riss ihr Maul auf. Offenbarte ihre spitzen Fangzähne, den verwundbaren hellrosa Schlund-
Bevor sie mehr tun konnte -zurückschnellen, angreifen- stieß ihr Damian seine Klinge durch das Gaumendach. Haarscharf an den Giftzähnen vorbei.
Schwarzes Blut quoll heiß auf seinen Arm. Als er sein Schwert mit einem Schrei und einer kräftigen Bewegung zurückzog, zuckte die Schlange wie unter Schock. Cleo musste sie schon verletzt haben, sonst wären ihre Reaktionen nicht so langsam gewesen.
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Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...