Sonne, Sand, Staub. Und Stille.
So verdammt viel Stille.
Es war zum wahnsinnig werden.
Damian fuhr sich über das Gesicht. Die Mischung aus Sand und Schweiß hatte seine Haut rau wie Schmirgelpapier gemacht. Zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag rieb er sich Sandkörner aus dem Augenwinkeln. Über den Dünen der Segva wehte ein stetiger Wind. Es war schön anzusehen, wenn eine Böe den roten Sand aufwirbelte und er sich als feiner Strudel in die Luft schraubte. Wenn Wind und Sonnenlicht die Sandpartikel glitzern ließen wie Splitter von Bernstein und Rubin. Aber die Schönheit war trügerisch. Der Wind in der Wüste bließ heiß und trocken, er brachte keine Linderung. Im Gegenteil: Mit jeder warmen Brise, die über sein Gesicht strich, fühlten sich seine Lippen ausgedörrter an.
Zäh wie durch Treibsand schob sich die Karawane vorwärts. Bei den Handelsfamilien Ahumadas gab es eine strenge Hierarchie. Familienoberhäupter und Erstgeborenen ritten voran, schwankend auf ihren großen Kamelen. Dahinter die Frauen auf Pferden. Er entdeckte Veronikas lavendelblaues Kopftuch zwischen dem Meer aus bunten Stoffen, aber sie sah nicht zu ihm zurück. Das hatte sie kein einziges Mal seit Beginn ihrer Reise. Er selbst ritt ganz hinten bei den zweitgeborenen Söhnen, seinem Rang entsprechend. Hier war er ein Niemand und das war ihm ganz recht so.
Seit sie sich in Antonia der Handelskarawane nach Ahumada angeschlossen hatten, war er Secundus, Veronikas Sohn, der seine Mutter durch die Wüste zu einem Verwandschaftsbesuch in der ummauerten Stadt begleitete. Ihre Ausrüstung war entsprechend angepasst. Schlichte Leinenkleider aus bunten Stoffen, nicht zu schäbig, aber auch nicht übermäßig wohlhabend. Sein Schwert und sein Siegelring waren zusammen mit dem Rest des Goldes sicher in den Satteltaschen verstaut. Nur mühsam hatte Damian den Ring von seinen durch die Hitze geschwollenen Fingern bekommen. Das Ding schien fast schon ein Teil von ihm zu sein. Veronikas getrocknetes Blut hatte er absichtlich nicht davon abgewaschen. Jedes Mal, wenn sein Blick auf den Ring fiel, würde es ihn daran erinnern, was die Konsequenzen seines Handeln sein konnten.
Damian schirmte die Augen vor dem Licht ab und sah in die Ferne. Jetzt um die Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten stand, war die Hitze fast unerträglich. Da half auch das Leinentuch, dass er sich zum Schutz um den Kopf gewickelt hatte, kaum. Am Horizont flirrte die Luft und malte Pfützen aus falschem Wasser in den Sand. Allein der Anblick machte ihn durstig.
Doch all das, die Hitze, die Sonne, waren nicht das Schlimmste für ihn. Das war schon die Stille. Die Leere.
Sein ganzes Leben war er von üppiger, verschwenderischer Pracht umgeben gewesen. Paläste und Gärten, Musik, Bücher, Kunst, Menschen. Wann immer er seinem eigenen Kopf oder Schmerz entfliehen wollte, hatte er sich mit hundert Vergnügungen ablenken können. Die Wüste hingegen warf ihn mit brutaler Macht zurück auf sich selbst.
Hier gab es keine Tiere, keine Pflanzen. Keine Vögel. Nichts, was seine Augen oder Ohren beschäftigen könnte. Um ihn herum erstreckte sich ein endloses unveränderliches Meer aus Sand unter ewig wolkenlosem Himmel.
Die Menschen waren nicht besser. Meistens zog die Karawane schweigend von einem Rastplatz zum nächsten und die anderen Männer schienen kein besonderes Interesse an Gesprächen mit ihm zu haben. Vielleicht strahlte er Unzufriedenheit und Ablehnung ja schon aus. Ein Teil von ihm war sogar dankbar, keine belanglose Konversation führen zu müssen, wie bei Hofe. Die einzige, nach deren Stimme er sich wirklich sehnte, war Veronika.
Und sie ignorierte ihn.
Tagsüber warf sie ihm kaum einen Blick zu, und wenn sie abends gemeinsam etwas abseits über ihrem kleinen Lagerfeuer Essen zubereiteten, sprach sie nur das Nötigste. Fast, als wollte sie seine Gedanken nicht stören. Als wartete sie, dass er von sich aus das Thema ansprach. Aber wie sollte er? Es tut mir leid war ein schwacher Ausdruck für das, was er getan hatte. Wie sollte er ihr ins Gesicht schauen und ihr erklären, warum er Julia gerettet hatte, eine Fremde, aber für sie selbst keinen Finger gehoben hatte? Auch wenn er sich nichts mehr wünschte, wusste er, dass er ihre Vergebung nicht verdiente. Und so schwieg er, während sich Veronika bald darauf ins Zelt der Frauen zur Nachtruhe zurückzog. Sie sah nie die Tränen auf seinen Wangen, wenn sie ging.
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Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...