Wie ich am nächsten Morgen feststellte, war der Konfernzraum der Magierinnen gar kein Raum. Zumindest nicht so, wie ich das Konzept Raum verstand. Er war ein marmorner Pavillon inmitten eines flachen Sees, kreisrund und von schlanken Säulen umschlossen. Man erreichte ihn über eine schmale Brücke an der Hinterseite des Gebäudes, die in eine Art verstecktes Seitental, gerahmt von Steilwänden, führte. In der Mitte der wasserumspülten Fläche stand ein runder Tisch mit Stühlen aus Stein. Die Rückenlehne eines Stuhls war leicht erhöht, sicher der Sitz der Akolytin, was sich bestätigte als ich Kore darin erkannte. Ein paar Meter hinter ihr fiel ein Wasserfall, wie ein Schleier aus einer Spalte im Fels und speiste den See um uns herum.
Nicht der dümmste Ort für Besprechungen, das musste ich zugeben. Der Wasserfall war weit genug entfernt, um uns mit seiner Gischt nicht zu erreichen, aber sein stetiges Rauschen im Hintergrund machte es für Außenstehende unmöglich die Gespräche hier zu belauschen. Ganz davon abgesehen, dass viel Wasser und ein schattiges Tal um uns herum bei den Temperaturen im Süden eine willkommene Abwechslung waren.
Mein Blick ruhte auf Kore. Sie trug ihre blonden Locken zu einer eleganten Hochsteckfrisur, dazu eine hellgrüne Tunika und Edelsteine in der gleichen Farbe an Hals und Ohren. Eine völlig neue Person, im Vergleich zum Arbor. Mittlerweile bewohnte sie wieder die größten Gemächer im Heiligtum, mit privatem Bad und Dienern, die sich rund um die Uhr um sie kümmerten. Wie schnell man doch von der rechtlosen Gefangenen zur Anführern aufsteigen konnte. Allein der Gedanken an so viel Veränderung in der kurzen Zeit ließ mich schwindelig werden. Ob es ihr auch so ging? Äußerlich wirkte sie jedenfalls ganz ruhig. Als sie mich bemerkte, wandte ich rasch meine Augen ab und setzte mich auf den letzten freien Stuhl. Dankbarerweise in einigem Abstand zu ihr.
Neben mir saßen Thalia und eine Magierin, die ich nicht kannte. Hypatia hatte ihren Platz an Kores Seite eingenommen und die letzte im Bunde war Veronika von Thisbe, mir gegenüber. Sie war eine der wenigen Nichtmagierinnen hier und trotzdem als Gast geduldet, weil sie und Damian der Magierin Cleo auf ihrer Mission das Leben gerettet hatten. Zusätzlich hatte Thalia nach unserer Ankunft für ihre Vertrauenswürdigkeit gebürgt, was es nicht wirklich gebraucht hätte. Sowohl Hypatia als auch Kore waren Veronikas Schülerinnen an der Akademie gewesen und kannten ihre Sicht der Dinge.
Wir waren schon eine recht eigenwillige Gruppe von Menschen, die sich hier versammelt hatte, dachte ich, während ich den Blick durch die Runde schweifen ließ. Alle vereint durch eine Gemeinsamkeit: Damian.
„Dann sind wir jetzt vollständig", sagte Kore und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Phöbe, du kannst mit deinem Bericht beginnen."
Die Unbekannte neben mir erhob sich. „Für alle, die mich nicht kennen", begann sie, sehr ruhig und langsam, „Ich bin die Archivarin des Heiligtums. Meine Aufgabe ist es, die alten Schriften unserer langen Geschichte zu verwalten. In den letzten Tagen habe ich alles zu Thanatos recherchiert, was ich finden konnte. Er taucht öfter auf. Meistens als Widersacher Anankes. Ein gefallener Engel, der beschloss, statt Gott lieber sich selbst zu dienen und der die Menschheit für ihre Schwäche, Dummheit und mangelnde Perfektion verabscheute. Vor allem konnte er offensichtlich nie verstehen, warum Gott oder auch Ananke uns Menschen so lieben. Gleichzeitig sehnt er sich aber selbst nach Liebe, wie jedes Geschöpf, ohne wirklich noch zu verstehen, was es ist, nach dem er sich sehnt. Er denkt, was er sucht ist Verehrung. Er will angebetet werden, wie es nur Gott zusteht. Und dafür braucht er die Menschen, auch wenn er sie verabscheut. Er ist ein widersprüchlicher, verdrehter Charakter, voller Lügen. Schon öfter hat er versucht, Anankes Magierinnen auf seine Seite zu bringen, aber bis jetzt scheiterte er. Das letzte Mal gab es sogar einen Kampf gegen ihn, den einzigen außer Meropes Geschichte, der verzeichnet ist. Thanatos versuchte, die männlichen Tempeldiener Anankes aufzustacheln und eifersüchtig zu machen. Daraufhin vetrieben sie ihn mit Meropes Schwert zurück in die Wüste. Seitdem sind viele Jahre vergangen."
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Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...