Ihr letzter Satz ließ jeden einzelnen im Raum erstarren. Stille senkte sich über die Versammelten. Kalte, lähmende Stille.
Was hatte sie gesagt? Hatte ich richtig gehört?
Veronika nickte nur, senkte den Blick auf ihre Finger. „Werde ich Schmerzen haben?", fragte sie leise.
„Vermutlich nicht. Mit der Zeit wird Euch das Atmen schwerer fallen. Je entspannter ihr bleibt und umso weniger Panik Ihr bekommt, desto schmerzloser ist es."
Entspannt bleiben? Die hatte vielleicht Nerven!
„Ihr werdet schwächer und schwächer werden, wenn sich das Gift ausbreitet", fuhr Pasiphä fort, „Irgendwann wird Eurer Herz aufhören zu schlagen und dann-"
„Ich verstehe." Ein leises Zittern wanderte durch Veronikas Körper, aber sie kaschierte es, indem sie die Hände über der Bettdecke faltete. „Nun", ihre Stimme bebte kaum merklich. „Es gibt schlechtere Orte zum Sterben." Der Geist eines Lächelns huschte über ihre Lippen als sie uns ansah. „Und vor allem schlechtere Gesellschaft."
„Nein!" Damian schien langsam aus seiner Schockstarte zu erwachen. Er kniete sich neben sie auf das Bett, die Hände auf die Decke gepresst. „Nein! Das- Es muss ein Gegengift geben!"
Auch Thalia schüttelte heftig den Kopf, Tränen in den Augen. „Wir müssen doch was tun können! Irgendwo gibt es ein Mittel. Vielleicht weiß eine Schwester-" Hilflos drehte sie sich zu Hypatia um. „Wir sind Magierinnen! Wir können Pflanzen wachsen lassen, Knochen heilen! Wir sind doch nicht machtlos gegen einen lächerlichen Schlangenbiss! Mutter?"
Ich hatte Hypatia nie weinen sehen. Aber als sie Thalias Blick auswich und zu Boden sah, wusste ich, dass sie kurz davor war.
„Stoppt das", flüsterte ich, die Augen auf den zitternden Damian gerichtet. „Das könnt ihr ihm nicht antun."
Und dann redeten wir alle durcheinander, Thalia, Damian und ich. Wie trotzige Rebellen, im Angesicht der grausamen Realität. Wie fanatische Kämpfer gegen einen übermächtigen Feind. Rückblickend würde ich das so sagen. In dem Moment war ich wie in einem Tunnel. Noch immer voll mit Adrenalin, trunken von unserem Erfolg. Das hier passte einfach nicht. Es war falsch. Wir hatten doch gewonnen? Wir hatten die Blüte gefunden. Wir hatten Damian vom Bösen schlechthin befreit und überlebt. Ananke war auf unserer Seite. Gott war auf unserer Seite!
Wie sollte uns so etwas triviales wie der Tod aufhalten? Wir konnten alles schaffen. Alles, bis hin zum Wunder.
„Warum stehen wir hier rum? Tun wir was!", rief Thalia.
Ich nickte stürmisch. „Wir haben so viel geschafft, die Blüte-"
„Bitte, wir-"
„RUHE!" Kore hatte die Hand gehoben. Wir verstummten sofort, perplex von der Gewalt in ihrer Stimme. Ihre Augen bohrten sich in meine, zornig wie ich sie noch nie gesehen hatte. Zum ersten Mal erschien sie mir wirklich als Anführerin. „Es geht hier nicht um euch!" Diese Frau stirbt, ob eurer Ego es wahrhaben will oder nicht, schien sie stumm zu sagen, Ihr könnt nichts tun, außer da sein. Reißt euch gefälligst zusammen!
Mit einer Kopfbewegung wies sie Pasiphä an, Platz zu machen und setzte sich neben Veronika aufs Bett. „Was sind Eure Wünsche?", fragte sie sanft.
Veronika schluckte. „Ich möchte die Sterbegebete sprechen. Die alten, als Gott noch Gott war. Eure Schwestern werden sich an sie erinnern. Und danach wäre ich gerne mit Damian allein. Sofern er sich zutraut, mich so zu sehen. Bis zum Ende." Damian nickte hastig, noch ehe sie den Satz richtig ausgesprochen hatte. Sie lächelte schwach. „Ich habe im Leben so viel geschenkt bekommen. Was mehr sollte ich mir wünschen?"
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Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...