𝐃𝐞𝐫 𝐓𝐫𝐚𝐮𝐞𝐫𝐳𝐮𝐠

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Die Morgensonne stand tief am Horizont und warf lange Schatten über den Hof des Roten Bergfrieds. Der Tag, der kommen sollte, würde von Trauer und Schmerz geprägt sein, doch schon jetzt lag eine schwere Stille über den Gemäuern. Der Plan, den Otto Hohenturm im Rat vorgebracht hatte, war nun in Bewegung gesetzt, und niemand schien die Kraft oder den Mut zu haben, das Unvermeidliche aufzuhalten.

Alicent hatte die Aufgabe übernommen, es Helena zu erzählen. Das Gespräch war schwer, vielleicht eines der schwersten, das sie je führen musste. Helena hatte seit dem Tod ihres Sohnes kaum gesprochen. Sie lebte wie in einem Nebel aus Trauer und Verzweiflung, und ihre Augen, die einst von sanfter Melancholie erfüllt waren, wirkten nun leer und gebrochen.

 Als Alicent ihr von Ottos Plan berichtete, brach die junge Frau in Tränen aus. Es war nicht der Verlust allein, der sie zermürbte, sondern die Vorstellung, dass das Andenken ihres Kindes für politische Zwecke missbraucht werden sollte.

„Wie können sie das tun?" Helena hatte es kaum geflüstert, ihre Stimme war fast verloren in der stillen Kammer. „Wie können sie ihn wie eine Trophäe zur Schau stellen?"

Alicent hatte keine Antwort darauf. Sie fühlte den gleichen Schmerz, die gleiche Verzweiflung. Doch der Rat hatte entschieden, und in diesen Zeiten konnte selbst die Königinmutter den Lauf der Dinge nicht mehr aufhalten. Trotzdem versprach sie Helena, dass sie und Yn alles tun würden, um das Andenken an den kleinen Prinzen zu bewahren und ihn in Würde zu verabschieden.

Am Vormittag war es soweit. Eine schwere, prunkvolle Kutsche wurde bereitgestellt, gezogen von vier pechschwarzen Pferden. Die Räder knarrten über das Kopfsteinpflaster des Burghofs, als sich der Zug in Bewegung setzte. Helena und Alicent, beide in dunkelgrüne, fast schwarze Kleider aus Samt gehüllt, stiegen ein. Auf ihren Köpfen trugen sie schwarze Schleier, die ihre Gesichter verhüllten und die tiefen Falten des Schmerzes verdeckten. Yn war ebenfalls anwesend, gekleidet in ein schlichtes schwarzes Kleid, ihr Gesicht ernst und voller Mitgefühl.

Die Straßen von Königsmund waren voll von Menschen, die neugierig auf das Spektakel warteten. Die Nachricht von der Ermordung des jungen Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und die Bevölkerung brodelte vor Wut und Rachegelüsten. Als die Kutsche langsam durch die Straßen rollte, schwoll das Gemurmel der Menge zu einem lauten, wütenden Rufen an.

„Rhaenyra soll dafür bezahlen!" schrie jemand aus der Menge, und sofort stimmten andere ein. „Sie hat ein Kind töten lassen! Blut für Blut!"

Alicent und Helena saßen regungslos in der Kutsche, ihre Hände fest ineinander verschlungen. Die Schreie der Menge drangen durch den dicken Schleier der Trauer, der sie umgab, doch sie wagten es nicht, den Blick zu heben. Die Worte der Menschen waren wie Dolche, die sich in ihr Herz bohrten, doch sie mussten diese Qual ertragen, um das Andenken an den kleinen Prinzen zu ehren.

Yn folgte der Kutsche zu Fuß, begleitet von einer Wache. Ihre Augen musterten die Gesichter der Menschen, die von Zorn und Hass gezeichnet waren. Sie konnte den Schmerz der Trauernden verstehen, doch sie wusste auch, dass dieser Hass von Otto geschickt gelenkt wurde, um das Volk gegen Rhaenyra aufzubringen. Jeder Schritt, den sie tat, fühlte sich schwer an, als würde sie durch einen Morast aus Verzweiflung und Wut waten.

Als der Zug schließlich die große Plaza vor der Drachenhalle erreichte, war die Menge auf ihrem Höhepunkt. Wütende Rufe, Forderungen nach Vergeltung und Schreie der Empörung erfüllten die Luft. Die Wachen mussten sich anstrengen, um die Menschenmassen in Schach zu halten, die immer näher drängten.

Die Kutsche hielt an, und die Türen wurden von zwei Wachen geöffnet. Alicent und Helena stiegen langsam aus, gefolgt von Yn, die ihren Blick fest auf den Boden gerichtet hielt. Der Körper des jungen Prinzen wurde behutsam aus der Kutsche gehoben, in ein weißes Tuch gehüllt, das wie ein Kontrast zu der dunklen Umgebung wirkte. Die Menge verstummte für einen Augenblick, als der Anblick des leblosen Körpers ihre Wut in erschütterte Stille verwandelte.

Der Trauerzug setzte sich in Bewegung, die schweren Schritte der Wachen und der sanfte Klang der Trauerklänge hallten durch die Straßen. Es war ein dunkler, bedrückender Marsch, der das Herz jedes Einzelnen beschwerte. Als sie schließlich die Feuerstelle erreichten, auf der der Körper verbrannt werden sollte, herrschte eine beklemmende Stille.

Alicent trat vor und hielt eine Rede, die sie kaum selbst hören konnte. Ihre Stimme war rau und zitterte vor Kummer, doch sie sprach von der Liebe und dem Verlust, den sie empfand. Helena stand regungslos neben ihr, die Augen fest auf den Boden gerichtet, als ob sie den Anblick des Feuers nicht ertragen könnte.

Die Worte der Trauernden wurden von der stillen Menge aufgenommen, die nun wieder zu einem leisen Murmeln zurückkehrte. Dann, in einem Moment von erschütternder Stille, wurde der Körper des kleinen Prinzen dem Feuer übergeben. Die Flammen loderten auf, leuchteten hell und lodernd, während die Dunkelheit der Nacht über Königsmund hereinbrach.

Yn beobachtete das Feuer, ihre Gedanken waren schwer von der Last, die auf ihren Schultern lag. Sie wusste, dass dies nicht das Ende war, sondern der Beginn eines weiteren, blutigeren Kapitels in dem sich entfaltenden Drama. Die Trauer, die sie heute erlebte, würde sich bald in Rache und Wut verwandeln, und die Flammen, die heute den Körper eines unschuldigen Kindes verschlangen, würden morgen vielleicht ganz Königsmund verschlingen.

Doch in diesem Moment konnte sie nichts anderes tun, als still zu trauern. Sie stand neben Alicent und Helena, ihre Hände in die schwarzen Falten ihres Kleides gekrallt, und ließ die Tränen über ihre Wangen fließen. Es war ein dunkler Tag, ein Tag, den sie niemals vergessen würde.

𝐲𝐧 𝐓𝐚𝐫𝐠𝐚𝐫𝐲𝐞𝐧 - 𝗺𝘆 𝗕𝗹𝗼𝗼𝗱Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt