𝐀𝐛𝐬𝐜𝐡𝐢𝐞𝐝𝐞 𝐮𝐧𝐝 𝐒𝐜𝐡𝐢𝐜𝐤𝐬𝐚𝐥𝐞

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Ich spürte die kalte Morgenluft auf meiner Haut, als ich durch die stillen Gänge des Roten Bergfrieds ging. Mein Herz war schwer, und obwohl die Sonne gerade erst über den Horizont gestiegen war, schien der Tag bereits voller Schatten. Aemond würde heute nach Sturmkap aufbrechen, und ich wusste nicht wann ich ihn wiedersehen würde. Der Gedanke daran, ihn ziehen zu lassen, nagte an mir, aber ich musste stark sein – für ihn und für alles, was auf dem Spiel stand.

Ich hatte Aemond versprochen, ihn vor seiner Abreise zu sehen, und jetzt eilte ich, um mein Versprechen einzuhalten. Die letzten Tage waren eine einzige Flut von Ereignissen gewesen, die mich noch immer benommen zurückließen. Die Hochzeit mit Aegon war wie ein Wirbelsturm über mich hereingebrochen, und obwohl ich versuchte, alles zu verstehen, fühlte ich mich wie ein Blatt, das in einem gewaltigen Sturm umhergeworfen wurde.

Als ich den Innenhof erreichte, sah ich Aemond bereits bei seinem Drachen Vhagar stehen. Der riesige Drache war eine imposante Erscheinung, seine Schuppen schimmerten in der morgendlichen Sonne wie polierter Stahl. Vhagar war alt und erfahren, und ich wusste, dass Aemond auf diesem Flug sicher sein würde – zumindest hoffte ich das.

Aemond stand mit dem Rücken zu mir, beschäftigt mit den letzten Vorbereitungen für seinen Flug. Als ich näherkam, spürte ich, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildete. Es gab so viel, das ich ihm sagen wollte, so viel, das unausgesprochen zwischen uns lag. Doch jetzt, da der Moment gekommen war, fühlte ich mich seltsam stumm.

„Aemond," rief ich schließlich, meine Stimme etwas lauter als beabsichtigt. Er drehte sich um, und als er mich sah, erschien ein kleines Lächeln auf seinen Lippen.

„Yn," sagte er und trat einen Schritt auf mich zu. „Ich hatte schon befürchtet, du würdest mich nicht mehr sehen wollen, bevor ich gehe."

„Das könnte ich niemals," antwortete ich leise und spürte, wie meine Kehle sich zuschnürte. „Ich wollte dich sehen... Ich musste dich sehen."

Er sah mich eine Weile an, und in seinen Augen lag etwas, das ich nicht ganz deuten konnte. „Ich werde nicht lange weg sein," sagte er schließlich, und seine Stimme war ruhig, fast beruhigend. „Ich werde mit guten Nachrichten zurückkommen."

„Ich hoffe es," flüsterte ich, unsicher, ob meine Worte ihn oder mich selbst beruhigen sollten. „Sturmkap ist gefährlich, Aemond. Und Lord Baratheon ist ein Mann, der seine eigenen Interessen verfolgt."

„Das weiß ich," sagte er mit einem leichten Nicken. „Aber er ist auch ein Mann, der Stärke respektiert. Und wir haben viel zu bieten."

Ich wollte ihm glauben, wollte ihm vertrauen, aber die Sorge nagte an mir. „Sei vorsichtig," bat ich schließlich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Ich habe ein seltsames Gefühl, Aemond. Etwas stimmt nicht."

Er legte eine Hand auf meine Wange, seine Berührung sanft und beruhigend. „Ich werde vorsichtig sein," versprach er. „Für dich."

Ich lehnte mich in seine Berührung, schloss die Augen und wünschte, dass dieser Moment niemals enden würde. Doch die Zeit war unerbittlich, und bald schon musste er aufbrechen. Als er sich von mir löste, fühlte ich mich, als hätte jemand ein Stück meines Herzens herausgerissen.

„Leb wohl, Yn," sagte er leise, bevor er sich umdrehte und zu Vhagar ging. Ich blieb stehen und beobachtete, wie er sich auf den Rücken des Drachen schwang und wie Vhagar sich mit mächtigen Flügelschlägen in die Luft erhob. Der Drache stieg schnell höher, und bald schon waren sie nur noch ein Punkt am Himmel.

Ich stand noch lange dort, spürte die Kälte, die mich durchdrang, während die Realität auf mich einprasselte. Ich wusste nicht, was mich mehr beunruhigte – die Tatsache, dass Aemond auf dieser gefährlichen Mission war, oder das Gefühl, dass etwas Dunkles und Unausweichliches auf uns zukam.

Die Stunden vergingen quälend langsam, während ich versuchte, mich auf meine Pflichten zu konzentrieren. Doch mein Geist war immer wieder bei Aemond und bei dem, was ihm bevorstand. Als der Tag sich dem Ende zuneigte, kam schließlich eine Nachricht, die mich in eine unvorstellbare Angst stürzte: Lucerys war ebenfalls auf dem Weg nach Sturmkap.

Rhaenyra hatte ihn geschickt, um mit Lord Baratheon zu verhandeln, genau wie Aemond. Zwei Söhne, zwei Drachen, zwei Seiten eines Krieges, der immer näher rückte. Ich wusste, dass dies ein kritischer Moment war, und doch fühlte ich mich machtlos, ihn zu verhindern.

Stunden später, als die Dunkelheit über den Roten Bergfried fiel, erhielt ich die Nachricht, die mir den Boden unter den Füßen wegzog. Vhagar, Aemonds Drache, hatte Lucerys getötet. Mein Bruder, mein Blut, war tot, und es war Aemond, der dafür verantwortlich war. Es hieß, dass der Drache außer Kontrolle geraten war, dass Aemond es nicht gewollt hatte – aber was spielte das für eine Rolle?

Meine Hände zitterten, als ich den Brief las, der die schreckliche Nachricht brachte. Die Worte verschwammen vor meinen Augen, und ich fühlte, wie eine Welle von Trauer und Wut mich überwältigte. Ich wollte schreien, wollte die Welt für diesen schrecklichen Verlust bestrafen, aber ich konnte nichts tun, nichts außer weinen.

Ich stürzte in mein Gemach, schloss die Tür hinter mir und sank auf den Boden, die Tränen strömten unkontrolliert über mein Gesicht. Die Welt, wie ich sie kannte, brach in diesem Moment zusammen. Lucerys, mein kleiner Bruder, der immer so neugierig und lebendig gewesen war, war nun tot. Und Aemond, war dafür verantwortlich.

Die Minuten vergingen, vielleicht auch Stunden, und irgendwann spürte ich die Anwesenheit einer anderen Person im Raum. Ich hob den Blick und sah Alicent, die mich mit einem Ausdruck tiefen Mitgefühls ansah. Ohne ein Wort zu sagen, kam sie zu mir, setzte sich neben mich und nahm mich in ihre Arme.

„Es tut mir so leid, Yn," flüsterte sie, und ich konnte den Schmerz in ihrer Stimme hören. „Es war nicht seine Absicht."

Ich wollte ihre Worte glauben, wollte glauben, dass Aemond nicht bewusst meinen Bruder getötet hatte. Doch der Schmerz in meinem Herzen war zu groß, um ihn zu ignorieren. „Er ist tot," sagte ich leise, meine Stimme gebrochen. „Lucerys ist tot, und nichts wird das jemals wieder gutmachen."

„Ich weiß," sagte Alicent, und sie hielt mich fester, als würde sie versuchen, mich vor der Dunkelheit zu schützen, die uns beide umgab. „Aber wir müssen jetzt stark bleiben, für das, was kommt."

Ihre Worte erinnerten mich daran, dass dieser schreckliche Moment nur der Anfang war. Der Tod von Lucerys würde Konsequenzen haben, Konsequenzen, die wir uns noch nicht einmal vorstellen konnten. Rhaenyra würde von diesem Verrat erfahren, und dann würde die Welt in Flammen aufgehen.

Ich wusste nicht, wie lange ich noch so mit Alicent auf dem Boden saß, aber irgendwann fand ich die Kraft, mich aufzurichten. Ich konnte nicht länger in Trauer versinken, nicht jetzt. Es gab zu viel zu tun, zu viel, was auf dem Spiel stand.

„Ich werde mich rächen," flüsterte ich schließlich, und in meiner Stimme lag eine Härte, die selbst mich überraschte. „Für Lucerys. Für alles."

Alicent sah mich an, ihre Augen voll Sorge und Verständnis. „Sei vorsichtig, Yn," sagte sie leise. „Rache ist ein zweischneidiges Schwert."

Ich wusste, dass sie recht hatte, aber in diesem Moment war mir das egal. Alles, was ich wollte, war, den Schmerz in meinem Herzen zu lindern, und wenn das bedeutete, dass ich in den Krieg ziehen musste, dann würde ich es tun. Es war keine Frage mehr des Wollens, sondern des Müssens.

„Ich werde vorsichtig sein," antwortete ich schließlich, auch wenn ich wusste, dass meine Worte kaum mehr als eine leere Versprechung waren. Der Weg, der vor mir lag, war dunkel und voller Gefahren, aber ich war bereit, ihn zu gehen. Für Lucerys. Für meine Familie. Und für mich selbst.

Als ich den Roten Bergfried später an diesem Abend verließ, wusste ich, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Die Welt hatte sich verändert, und mit ihr auch ich. Der Sturm, der auf uns zukam, würde alles verschlingen, was wir liebten. Aber ich war bereit, mich ihm zu stellen – egal, was es kosten würde.

𝐲𝐧 𝐓𝐚𝐫𝐠𝐚𝐫𝐲𝐞𝐧 - 𝗺𝘆 𝗕𝗹𝗼𝗼𝗱Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt