𝐃𝐞𝐫 𝐤𝐚𝐥𝐭𝐞 𝐌𝐨𝐫𝐠𝐞𝐧 𝐮𝐧𝐝 𝐝𝐚𝐬 𝐯𝐞𝐫𝐛𝐨𝐫𝐠𝐞𝐧𝐞 𝐓𝐫𝐚𝐢𝐧𝐢𝐧𝐠

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Der Morgen brach an, kalt und still, als ich aus einem unruhigen Schlaf erwachte. Die Luft in meinen Gemächern war frostig, und ich spürte das Kribbeln der Kälte auf meiner Haut, als ich die schweren Decken zurückschlug. Eine Woche war seit dem Vorfall vergangen, und obwohl sich die äußere Spannung in der Familie scheinbar gelegt hatte, konnte ich spüren, dass darunter eine subtile Unruhe lauerte. Die täglichen Gespräche waren wieder höflich, das Lachen kehrte an die Tafeln zurück, doch die Augen waren wachsam, und jeder Schritt wurde mit Bedacht gesetzt.

Ich stand auf und trat ans Fenster, das in die Dunkelheit der Dämmerung hinausblickte. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne kämpften sich durch die Wolken und ließen die Stadt unter mir in einem kühlen, blassen Licht erstrahlen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, doch es war nicht nur die Kälte, die mich zittern ließ.

Heute war einer dieser Tage, an denen ich wusste, dass ich auf etwas wartete – auf das vertraute Klopfen an meiner Tür, das seit drei Jahren Teil meines geheimen Lebens war. Mein Blick wanderte zur Tür, und fast im selben Moment hörte ich es: das leise, rhythmische Klopfen, das mich wissen ließ, dass Aemond angekommen war.

Ich öffnete die Tür und ließ ihn eintreten. Seine eisblauen Augen funkelten, als er mich ansah, und ein kaum merkliches Lächeln huschte über seine Lippen. Aemond trug, wie immer an diesen Morgenden, einfache, dunkle Kleidung, die ihn in den Schatten der Stadt fast unsichtbar machte.

„Bereit?" fragte er leise, und ich nickte nur. Worte waren zwischen uns in diesen Momenten selten nötig.

Schnell zog ich meine eigenen Kleider an: eine einfache, dunkle Hose und ein eng anliegendes Hemd, das mir Bewegungsfreiheit gewährte. Ich band mein langes, silbernes Haar zurück, damit es mir nicht ins Gesicht fiel, und nahm den Ledergürtel mit dem Dolch, den Aemond mir vor zwei Jahren geschenkt hatte. Es war eine einfache Waffe, aber perfekt für unser Training.

Gemeinsam schlichen wir uns durch die Flure von Drachenstein und hinaus in die kühle Morgendämmerung. Die Wachen waren noch verschlafen, und wir kannten die Wege, die uns ungesehen in die Stadt führten. Es war nicht das erste Mal, dass wir dies taten, und unsere Bewegungen waren perfekt aufeinander abgestimmt.

Als wir die Stadtmauern hinter uns ließen und in die engen Gassen von Königsmund eintauchten, spürte ich, wie mein Herz schneller schlug. Das Adrenalin, das immer dann durch meinen Körper strömte, wenn wir auf diese Art und Weise in den frühen Morgenstunden unterwegs waren, war berauschend.

Unser Ziel war ein alter, verlassener Innenhof, der seit Jahren ungenutzt war. Er lag in einem Teil der Stadt, den kaum jemand aufsuchte, und war von hohen Mauern umgeben, die neugierige Blicke fernhielten. Hier hatten wir in den letzten drei Jahren unzählige Stunden damit verbracht, zu trainieren, zu kämpfen, zu lernen.

Aemond und ich hatten uns durch Zufall bei einem dieser morgendlichen Spaziergänge in den Gärten von Königsmund getroffen, als ich versuchte, das Kämpfen auf eigene Faust zu üben. Anfangs hatte er mich belächelt, doch schnell erkannte er mein Potenzial. Seitdem war er mein Lehrer geworden, und obwohl unser Training heimlich war, war es zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden.

Wir betraten den Hof, und ich spürte sofort die vertraute Spannung, die Vorfreude, die immer dann in mir aufstieg, wenn wir uns gegenüberstanden, bereit für das erste Duell des Tages. Aemond zog sein Schwert, eine Waffe, die er meisterhaft beherrschte, und ich folgte seinem Beispiel, zog meinen Dolch und bereitete mich vor.

„Heute arbeiten wir an deiner Geschwindigkeit", sagte Aemond mit einem scharfen Lächeln. „Du bist schnell, Yn, aber du kannst noch schneller werden."

Ich nickte, konzentriert, und positionierte mich. Wir begannen mit den ersten Angriffen – Aemond führte, und ich parierte. Der Klang von Stahl auf Stahl hallte durch den Hof, doch das Geräusch war so vertraut, dass es fast beruhigend wirkte.

Aemond war ein gnadenloser Lehrer. Er forderte das Beste von mir, und seine Angriffe waren präzise und kraftvoll, sodass ich keine andere Wahl hatte, als mich zu verbessern. Doch gerade diese Härte war es, die mich antrieb. In diesen Momenten gab es keine Prinzessin und keinen Prinzen, nur zwei Kämpfer, die ihre Fähigkeiten bis an die Grenzen trieben.

„Schneller, Yn", rief Aemond, als er einen besonders schnellen Schlag führte, den ich nur knapp abwehren konnte. „Du darfst keine Sekunde zögern."

Ich biss die Zähne zusammen und konzentrierte mich, ließ meine Gedanken los und verließ mich nur auf meine Instinkte. Mein Körper reagierte schneller, als mein Verstand denken konnte, und ich parierte seine Schläge mit einer Präzision, die ich mir vor drei Jahren nie hätte vorstellen können.

Der Schweiß rann mir über die Stirn, doch ich ignorierte ihn. Aemond drängte mich weiter, ließ mir keine Pause, und ich wusste, dass er das tat, weil er an mich glaubte – weil er wusste, dass ich es schaffen konnte.

„Gut", sagte er schließlich und ließ das Schwert sinken. „Du wirst besser, Yn. Aber du musst noch an deiner Ausdauer arbeiten."

Ich atmete schwer, doch in mir brannte ein Gefühl des Triumphs. Aemond lobte selten, und diese Worte bedeuteten, dass ich tatsächlich Fortschritte machte. „Ich werde es tun", sagte ich entschlossen und wischte mir den Schweiß von der Stirn.

Wir trainierten weiter, bis die Sonne höher am Himmel stand und die ersten Strahlen über die Mauern des Hofes krochen. Unsere Waffen blitzten im Sonnenlicht, und obwohl meine Muskeln schmerzten, fühlte ich mich lebendig und stark.

Als wir schließlich eine Pause einlegten, setzte sich Aemond auf einen der umgestürzten Steine, die im Hof verstreut lagen, und betrachtete mich nachdenklich. „Du solltest mehr sein dürfen als das, Yn", sagte er plötzlich, und ich blickte überrascht auf.

„Was meinst du?" fragte ich, obwohl ich eine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte.

„Du bist eine Kriegerin, Yn", sagte er ernst. „Besser als viele Männer, die ich kenne. Es ist eine Schande, dass du dein Talent verstecken musst. Du könntest so viel mehr erreichen."

Ich wusste, dass er recht hatte, doch die Realität war eine andere. „Das wissen wir beide, Aemond", sagte ich leise. „Aber die Welt ist nicht bereit für eine Frau, die kämpft wie ein Mann. Nicht in unserer Familie, nicht in unserem Reich. Wenn jemand davon erfahren würde, könnte das schlimme Konsequenzen haben."

Aemond schwieg einen Moment, bevor er nickte. „Vielleicht hast du recht", sagte er widerwillig. „Aber es ändert nichts daran, dass du es verdienst, anerkannt zu werden."

Seine Worte trafen mich tief, denn sie waren eine Anerkennung, die ich mir immer gewünscht hatte, aber nie laut auszusprechen gewagt hatte. Doch in diesem Moment, in dieser verlassenen Ecke der Stadt, fühlte ich mich zum ersten Mal so, als ob mein Geheimnis eine Stärke und kein Fluch war.

„Eines Tages", sagte ich langsam, „vielleicht wird sich die Welt ändern. Vielleicht werde ich dann meine Fähigkeiten offen zeigen können. Aber bis dahin...", ich sah Aemond fest an, „... werde ich weiter lernen, weiter trainieren. Und ich werde wissen, dass ich es kann."

Aemond nickte erneut und erhob sich. „Das hoffe ich, Yn", sagte er mit einem leichten Lächeln. „Und bis dahin werde ich dich weiter trainieren, bis du jeden Gegner bezwingen kannst, der dir im Weg steht."

Wir standen noch eine Weile dort, während die Sonne höher stieg und die Kälte des Morgens langsam nachließ. Der Tag begann, und mit ihm kehrte die Normalität in unser Leben zurück – zumindest nach außen hin. Doch ich wusste, dass sich unter der Oberfläche etwas verändert hatte. Die Anspannung in der Familie mochte nach außen hin verflogen sein, doch in mir wuchs ein neues Gefühl der Stärke, das ich nicht mehr ignorieren konnte.

Als wir uns schließlich auf den Weg zurück nach Drachenstein machten, durch die Gassen und Straßen von Königsmund, fühlte ich eine tiefe Zufriedenheit. Der kalte Morgen hatte uns nichts anhaben können, und das Training hatte mich stärker gemacht – nicht nur körperlich, sondern auch innerlich.

Doch ich wusste auch, dass das Geheimnis, das Aemond und ich teilten, ein gefährliches war. Es war eine Macht, die sowohl uns als auch unsere Feinde beeinflussen konnte. Und obwohl ich es nicht zeigen durfte, wusste ich, dass die Zeit kommen würde, in der ich diese Macht würde nutzen müssen – für mich, für meine Familie und für das Reich.

Bis dahin würde ich weiter trainieren, weiter wachsen und darauf warten, dass die Welt bereit war, mich so zu sehen, wie ich wirklich war: eine Kriegerin, bereit für den Kampf.

𝐲𝐧 𝐓𝐚𝐫𝐠𝐚𝐫𝐲𝐞𝐧 - 𝗺𝘆 𝗕𝗹𝗼𝗼𝗱Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt