Kapitel 16

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Der Morgen nach meiner Begegnung mit George fühlte sich anders an. Die Dunkelheit, die so lange in mir gewütet hatte, war immer noch da, doch sie schien sich zurückgezogen zu haben, als hätte sie ihre Macht über mich verloren. Es war, als ob Georges Worte und seine stille, unaufdringliche Präsenz mir den Raum gegeben hätten, in dem ich meine Gedanken und Gefühle neu ordnen konnte. Zum ersten Mal seit Wochen verspürte ich eine leichte Hoffnung, ein flüchtiges Gefühl, dass ich das alles vielleicht doch durchstehen könnte.

Ich machte mich früh auf den Weg zur Strecke, bevor die anderen Fahrer auftauchten. Die kühle Morgenluft weckte mich und schärfte meinen Fokus, und ich spürte, wie mein Herz vor Aufregung schneller schlug. Es war das erste Mal seit Langem, dass ich mich tatsächlich auf das Training freute. Die Strecke war mein Zufluchtsort, ein Ort, an dem ich meine inneren Kämpfe für einen Moment vergessen und ganz in den Rhythmus des Fahrens eintauchen konnte.

Als ich den Wagen startete und den Motor aufheulen ließ, erfüllte mich ein Gefühl von Kontrolle und Freiheit, das ich in den letzten Wochen so sehr vermisst hatte. Die Strecke zog sich vor mir hin wie ein leeres Blatt Papier, bereit, von mir beschrieben zu werden. Jeder Meter, den ich fuhr, schien ein Stück der Dunkelheit aus meinem Kopf zu vertreiben, und ich spürte, wie die Spannung in meinem Körper nachließ.

Nach ein paar Runden wurde ich mutiger, drückte das Gaspedal durch und ließ mich tiefer in die Kurven fallen. Der Rausch der Geschwindigkeit, das Adrenalin, das durch meinen Körper schoss – es war genau das, was ich brauchte, um mich wieder lebendig zu fühlen. Ich konzentrierte mich auf jede Bewegung, auf jedes Geräusch, das die Reifen auf dem Asphalt machten. Die Strecke und ich waren eins, und in diesem Moment gab es nichts anderes, das zählte.

Doch in der dritten Runde, gerade als ich in eine enge Kurve einbog, bemerkte ich einen Wagen im Rückspiegel. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Die Angst blitzte für einen kurzen Moment in mir auf – die Erinnerung an Eric und die Drohungen. Doch dann erkannte ich den Wagen und atmete erleichtert auf. Es war George.

Er hatte mich eingeholt und fuhr nun dicht hinter mir. Ein leichtes Lächeln huschte über mein Gesicht, und ich spürte, wie mein Herz ein wenig schneller schlug – nicht aus Angst, sondern aus der Freude, jemanden an meiner Seite zu wissen. George hielt den Abstand, als wolle er sicherstellen, dass ich ihn bemerkt hatte. Schließlich gab ich ein wenig Gas und signalisierte ihm damit, dass ich bereit war, mich auf ein kleines Rennen einzulassen.

Wir jagten über die Strecke, Runde um Runde, unsere Wagen nur wenige Meter voneinander entfernt. Es war, als würde George mich mit jedem Meter, den wir fuhren, daran erinnern, dass ich nicht allein war, dass ich in diesem Kampf jemanden hatte, der an meiner Seite blieb. Die Freude, die ich dabei empfand, fühlte sich fast überwältigend an. Es war, als ob die Strecke, die Geschwindigkeit und Georges Präsenz all meine Zweifel und Ängste in den Hintergrund drängten.

Nach ein paar weiteren Runden ließ ich das Tempo nach, und wir rollten gemeinsam in die Boxengasse zurück. Ich zog meinen Helm ab, und als ich George ansah, konnte ich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht sehen.

„Nicht schlecht, Sarah," sagte er, seine Augen funkelten vor Freude und Stolz. „Du hast heute alles gegeben."

Ich lachte, fühlte mich leicht und frei, als hätte ich die Dunkelheit für diesen Moment besiegt. „Danke, George. Ich weiß nicht, wie ich dir das jemals zurückzahlen kann."

Er schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf meine Schulter. „Du musst mir gar nichts zurückzahlen. Ich bin hier, weil ich es will. Und weil ich an dich glaube." Seine Stimme war warm und ehrlich, und ich konnte spüren, dass er es wirklich so meinte.

Die Tage danach verliefen in einer neuen, unerwarteten Normalität. Ich begann, mich langsam wieder zu öffnen, sprach öfter mit den anderen Fahrern und nahm am Training teil, ohne das schwere Gefühl von Hoffnungslosigkeit in mir zu tragen. Die dunklen Gedanken waren nicht verschwunden, doch sie schienen in den Hintergrund zu treten, überlagert von dem neuen Vertrauen, das ich in mir spürte – das Vertrauen, dass ich hierhergehöre und dass ich das alles durchstehen konnte.

Lando hielt jedoch weiterhin seine Distanz. Es war, als würde er sich absichtlich von mir fernhalten, als wollte er vermeiden, noch einmal in meine Nähe zu kommen. Es tat weh, aber ich spürte, dass ich diese Enttäuschung nicht mehr in mich hineinfressen musste. Ich hatte meine eigenen Freunde gefunden, Menschen wie George, die mich unterstützten, und ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte.

Eines Abends, kurz nach dem Training, lief ich durch die langen Flure der Academy zurück zu meinem Zimmer. Die Dämmerung legte sich über das Gebäude, und das leise Summen der Neonlichter war das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. Als ich mich umdrehte, stand Lando im Flur, seine Hände in den Taschen, sein Blick auf den Boden gerichtet.

Er sah auf, und für einen Moment dachte ich, dass er etwas sagen würde. Doch er blieb stumm, und ein Ausdruck der Unentschlossenheit lag in seinem Gesicht. Es war, als würde er mit sich ringen, als wollte er etwas erklären, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Ich wartete, meine Augen fragend auf ihn gerichtet, doch er sagte nichts. Stattdessen nickte er nur knapp und ging an mir vorbei, ohne ein weiteres Wort.

Als ich ihm nachsah, spürte ich einen Stich in meinem Herzen, doch diesmal blieb die Dunkelheit aus. Vielleicht hatte ich mich zu sehr an ihn geklammert, hatte ihn zum Anker meines Lebens hier in der Academy gemacht. Doch jetzt wusste ich, dass ich mich auf mich selbst verlassen konnte – und auf die Menschen, die wirklich an meiner Seite waren.

Ich atmete tief durch und ließ ihn ziehen, spürte die Last, die von mir abfiel, und ein leises Gefühl von Frieden, das in mir aufstieg. Ich würde meinen Weg hier allein gehen, doch diesmal ohne die Angst, zu scheitern.

Gebrochene Flügel, rasende Herzen  //Lando Norris FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt