Kapitel 20

7 2 0
                                    



Die Erkenntnis, dass Charles mein Bruder war, hatte meine Welt auf den Kopf gestellt. Tage vergingen, und ich versuchte immer noch, die Wahrheit in meinen Gedanken zu verankern. Charles und ich verbrachten mehr Zeit miteinander, er half mir, das Leben der Leclercs zu verstehen, die Familie, die ich nie gekannt hatte, und doch immer zu mir gehört hatte. Es war ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Erleichterung und Verwirrung, und jeder Tag brachte neue Fragen und Gedanken, die ich erst langsam ordnen konnte.

Doch nicht jeder schien mit unserer neuen Nähe zufrieden zu sein. Lando, der sich schon seit Wochen distanziert hatte, schien noch verschlossener und kälter, wenn ich in seiner Nähe war. Seine Blicke waren kurz und hart, voller Missbilligung, und er sprach kaum noch mit mir, als ob ich ihm fremd geworden wäre. Anfangs dachte ich, er würde einfach weiterhin seine eigene Mauer aufrechterhalten – dass es nur seine Art war, mit dem Druck und den Erwartungen umzugehen.

Doch eines Abends, als ich gerade die Boxengasse verlassen wollte, kam Lando auf mich zu, seine Augen funkelten vor Entschlossenheit und einem Hauch von Zorn. Es war, als könnte er es nicht mehr länger in sich halten, als ob etwas in ihm übergelaufen war.

„Sarah," begann er und hielt mich fest mit seinem Blick gefangen. „Wir müssen reden. Jetzt."

Ich schluckte, spürte die Anspannung, die in der Luft lag. „Worüber möchtest du sprechen, Lando?"

Er schnaubte leise, seine Stimme war voller Bitterkeit. „Worüber wohl? Über Charles. Über dich und Charles. Seit wann seid ihr... so vertraut?" Seine Stimme tropfte förmlich vor Missgunst.

Ich sah ihn verwirrt an. „Lando, es ist nicht das, was du denkst. Charles und ich..."

Doch er unterbrach mich, seine Worte scharf wie ein Messer. „Erspar mir das, Sarah. Ich sehe, wie er dich ansieht, wie du bei ihm bist. Es ist, als würde ich nicht mehr existieren. Erst war es die Academy, dann die Wahrheit über dich, und jetzt er... Ich dachte, du wärst anders."

Seine Worte trafen mich tief, und ich spürte, wie eine Mischung aus Wut und Enttäuschung in mir aufstieg. „Du verstehst das nicht, Lando. Charles und ich... er ist mein Bruder."

Lando starrte mich an, als ob er die Worte nicht fassen konnte. Ein Moment der Stille verstrich, bevor er leise lachte, doch sein Lachen klang leer und ungläubig. „Dein Bruder? Also das ist das große Geheimnis?" Er schüttelte den Kopf und sah mich mit einem Blick an, den ich noch nie von ihm gesehen hatte. „Wieso hast du mir das nicht gesagt? Wieso habe ich erst durch deine Blicke und sein Verhalten bemerkt, dass hier etwas nicht stimmt?"

Ich wollte etwas erwidern, wollte ihm erklären, dass ich selbst noch dabei war, die Wahrheit zu verarbeiten, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Lando sah mich an, seine Augen voller Schmerz und Verrat, als hätte ich ihn auf eine Weise verletzt, die ich mir nicht vorstellen konnte.

„Du weißt nicht, wie es ist, Sarah", fuhr er schließlich leise fort, seine Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. „Ich dachte, dass wir... dass ich für dich wichtig war. Aber jetzt merke ich, dass ich dir nie nahe genug war, um etwas wirklich Bedeutendes zu sein."

„Lando, das ist nicht wahr!" rief ich verzweifelt, spürte, wie die Tränen in meine Augen stiegen. „Ich habe dir vertraut, ich... ich wollte dich nicht verletzen."

Doch er schüttelte nur den Kopf und wich einen Schritt zurück. „Vertrauen? Du hast mir nicht vertraut, Sarah. Du hast mir nie die Wahrheit gesagt. Stattdessen hast du dich an ihn gewandt, an Charles – den Leclerc. Natürlich. Ich hätte wissen müssen, dass ich für dich nicht genug bin."

„Das ist nicht wahr, Lando", flüsterte ich, doch meine Worte schienen ihn nicht zu erreichen.

In diesem Moment hörten wir Schritte hinter uns, und ich sah Charles herankommen. Sein Gesichtsausdruck war wachsam und ernst, als ob er die Anspannung in der Luft spürte. „Was ist hier los?" fragte er, seine Augen wanderten zwischen uns hin und her, und er spürte sofort, dass die Stimmung angespannt war.

Lando wandte sich Charles zu, sein Blick kalt und durchdringend. „Das würde ich auch gerne wissen. Hast du Sarah das mit uns absichtlich verschwiegen, oder war das nur ein weiteres Machtspiel der Leclercs?"

Charles blieb ruhig, doch ich konnte die Spannung in seiner Haltung sehen. „Lando, ich habe Sarah nichts verschwiegen. Sie wusste es selbst nicht. Sie ist meine Schwester, ob es dir passt oder nicht. Und ich werde alles tun, um sie zu schützen."

„Schützen?" Lando lachte bitter. „Wie edel von dir. Aber wo warst du die ganze Zeit, als Sarah allein gekämpft hat? Jetzt, wo sie sich behauptet hat, kommst du plötzlich und willst die Rolle des großen Bruders spielen?"

Charles' Gesicht verhärtete sich, und sein Blick wurde dunkel. „Ich war nicht da, weil ich es nicht wusste, Lando. Das ist etwas, das wir beide erst kürzlich erfahren haben. Aber ich stehe jetzt hier, und ich werde nicht zulassen, dass jemand – auch du nicht – sie verletzt."

Ich spürte, wie die Situation zu eskalieren drohte, die Spannung zwischen den beiden war fast greifbar, als ob ein Funke genügen würde, um alles in Flammen aufgehen zu lassen. „Hört auf! Bitte!" rief ich, doch meine Worte prallten an ihren harten Blicken ab.

Lando trat einen Schritt näher, sein Gesicht war nur noch eine Handbreit von Charles entfernt. „Vielleicht magst du ihr Bruder sein, Charles, aber du wirst niemals verstehen, was sie hier durchgemacht hat. Du hast keine Ahnung, was sie bedeutet – für mich, für die Academy. Du bist nur ein Name, eine Rolle, die du ausfüllst. Und du hast keine Ahnung, wer Sarah wirklich ist."

Charles wich nicht zurück, und sein Blick war ebenso entschlossen wie der von Lando. „Vielleicht hast du recht, Lando. Aber ich werde nicht zulassen, dass du ihr mit deinem Ego schadest. Sarah ist keine Trophäe, die du gewinnen kannst."

Lando ballte die Fäuste, und für einen Moment dachte ich, dass die beiden tatsächlich aufeinander losgehen würden. „Das geht dich nichts an, Charles," zischte er. „Ich werde tun, was ich für richtig halte. Du magst ihr Bruder sein, aber das gibt dir nicht das Recht, dich zwischen uns zu drängen."

„Ich dränge mich nicht zwischen euch," erwiderte Charles mit fester Stimme. „Ich stehe nur an ihrer Seite. Etwas, das du vielleicht lernen solltest."

Die Spannung war unerträglich, die Worte hingen in der Luft wie ein explosives Gemisch, und ich konnte nur hilflos zusehen, wie die beiden Männer, die mir am meisten bedeuteten, sich gegenseitig mit Hass erfüllten Blicken ansahen. Ich wusste, dass dies ein Moment war, der alles verändern könnte – dass das, was hier zwischen ihnen entstand, ein unüberbrückbarer Graben sein könnte.

Plötzlich drehte sich Lando um, sah mich an, seine Augen voller Schmerz und Zorn. „Entscheide dich, Sarah," sagte er leise, seine Stimme rau. „Entscheide dich, ob du mit deinem neuen Bruder auf deiner Seite glücklich bist, oder ob du wirklich Teil von etwas Größerem sein willst."

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit, ließ mich mit einem gebrochenen Herzen und einer Entscheidung zurück, die mein Leben in der Academy für immer verändern würde.

Gebrochene Flügel, rasende Herzen  //Lando Norris FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt