Part 10 ~ Gewitter

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Am darauffolgenden Tag wachte ich schon früh auf. Ich hatte von der Geschichte mit Andrew geträumt. Als ich eins der beiden großen Fenster in meinem Zimmer öffnete, erleuchtet gerade ein Blitz den schwarzen Himmel. So ein schlimmes Unwetter hatte es schon lange nicht mehr hier gegeben, obwohl wir in einem Regenloch lebten. Die hohen Fichten hinter unserem Haus beugten sich dem Sturm. Der Regen schien nicht aufhören zu wollen, im Gegensatz. Im Laufe des Tages wurde der Sturm immer stärker. Ich schob mir zu Mittag eine Pizza ins Rohr, da ich keine Lust hatte, zu kochen und meine Mum seit acht Uhr im Büro war.

In eineinhalb Wochen begann die Schule. Jay. Ich versuchte den Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Nachdem ich mir eine Sweater-Jacke und lange Jeans angezogen hatte, ging ich in den Garten. Der Sturm peitschte die Tropfen gegen mein Gesicht. Langsam sog ich die kalte Luft in meine Lunge. Ich lehnte mich gegen den großen Nussbaum. Die dunkelblaue Kapuze wärmte mich ein wenig.

Vor einigen Jahren, saß ich fast täglich mit Andrew unter diesem Baum. Wir hatten immer über alles miteinander reden können. Eine Träne kullerte mir übers Gesicht - oder ein dicker Regentropfen, keine Ahnung. Manchmal wünschte ich mir, er würde mich einfach noch einmal bewusstlos schlagen, wenn er danach nur wieder der Alte wäre. Nasse Haarsträhnen klebten an meinen Wangen. Ich schloss die Augen und lies mich einfach fallen. Der Regen prasselte auf mich nieder. Aus allen Richtungen dröhnte lauter Donner. Wahnsinnig helle Blitze blendeten mich selbst durch die geschlossenen Augen hindurch.
Ich verstehe nicht wie ich jemals mit dir befreundet sein konnte. Hoffentlich bin ich dich jetzt los. Weißt du, wir hatten ja viel Spaß zusammen, aber ohne dich bin ich einfach besser dran. Ich gehöre zum Team, bin beliebt. Vielleicht habe ich eine Freundin verloren, aber sechs andere dazugewonnen also WHO FUCKING CARES? Hatte er im Krankenhaus zu mir gesagt. Ich glaube, er wusste nicht, dass ich wach war, denn ich stellte mich schlafend. Als er damals lachend mein Zimmer verließ und die Tür zuknallte, schnürten mir seine Worte die Kehle ab. Heute machten sie mich nur mehr traurig.

Ich atmete laut aus. Das Geräusch des Regens, der auf die Blätter klatschte, beruhigte mich sehr. Nein ich wollte einfach nicht mehr weinen. "Ach du scheiße, Kat, was machst du hier draußen?" Ich blickte erschrocken zu Jeydon auf. Sein Chevrolet Suburban stand in der Einfahrt. "Hi."
Jeydon lehnte sich neben mir an den Baum. "Hi, Süße."
"Kathleen.", ermahnte ich. Er seufzte und ließ sich zu mir auf den Boden sinken. "Was machst du hier?", fragte er erneut.
"Keine Ahnung.... Ich glaube, der Regen ist einfach lauter als mein Kopf", flüsterte ich und biss mir auf die Lippe.
"Und das ist gut?"
"Mhm."
Er nahm mich am Kinn und drehte meinen Kopf in seine Richtung. "Kat, bitte, erzähl mir, was passiert ist."
"Muss ich?", fragte ich. Er lies mein Kinn los und starrte vor sich auf den Boden. "Natürlich nicht." Seine Stimme klang tief und kehlig. Ich lehnte mich an ihn und legte meinen Kopf auf seine Schulter. "Mir geht's nicht gut."
"Ich weiß", antwortete er leise.
Meine Atmung wurde unregelmäßig. Jeydon legte einen Arm um meine Schultern. "Egal was es ist, es wird besser." Ich glaubte ihm nicht. Andrew hasste mich, Zoey verachtete mich, das ganze Footballteam konnte mich nicht ausstehen. Nichts davon würde besser werden. "Nein."
"Vertraust du mir?", flüsterte er.
"Ich kenn dich nicht einmal", antwortete ich leise und sah ihm in die Augen.
"Seit wann muss man jemanden kennen um ihm zu vertrauen?"
Irgendwo hatte er Recht. Andrew vertraute ich, ich dachte ich kannte ihn und vertraute ihm. Wie viel hatte mir das gebracht?
"Na gut, ja, ich vertraue dir."
"Dann glaub mir, dass es besser wird."
Ich nickte und tat was er sagte. Ich versuchte wirklich daran zu glauben. Nach etwas Schlimmen kommt immer etwas Gutes. Das war Annas Lebensmotto.
"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte er und schaute über meinen Kopf hinweg in die Regenwand.
"Kannst du mich einfach nur festhalten?", fragte ich unsicher.
Ohne zu antworten sah er mir kurz in die Augen und verfestigte seinen Griff. Ich drückte mein Gesicht gegen seine Brust. Poch, poch, poch. Sein Herz schlug gleichmäßig und langsam. Ich hörte zu wie er atmete. Keine von uns sprach, das war auch garnicht notwendig.

Langsam hörte der Regen auf. Klitschnass saßen wir unter dem Baum. Immer noch hielt er mich fest. "Versprich mir, wenn ich jetzt gehe, wirst du reingehen, dir warme Socken anziehen, heiße Schokolade trinken und nicht mehr an das denken, das dich so traurig macht. Von mir aus kannst du an mich denken. Du denkst vermutlich sowieso die ganze Zeit an mich." Er hatte ein eingebildetes schiefes Grinsen im Gesicht. "Du bist ein Spinner Jey." Ich lachte. Jeydon strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht. "Weißt du, vielleicht hast du Recht und ich bin ein Spinner. Dann bin ich aber zumindest ein gut aussehender Spinner." "Naaaatürlich. Du hast scharf vergessen. Ein scharfer, gut aussehender Spinner."
"Wohl wahr", sagte er ernst. Ich musste lachen. Auch er lachte glucksend und tief. "Sehen wir uns morgen?", fragte er. Ich nickte. Sein Grinsen wurde breiter und er stand ruckartig auf. "Bis morgen, Süße!", sagte er. Bevor ich mich noch gegen meinen Spitznamen wehren konnte, hatte er die Autotür zugeknallt und raste mit viel zu hoher Geschwindigkeit und quietschenden Reifen davon. Ich tat was ich versprach und ging hinein, machte mir eine heiße Schokolade und dachte an Jeydon.

running in the rainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt