Part 41 ~ Testosteron

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Ein Sonnenstrahl drang durch das Fenster und weckte mich. Ich öffnete die Augen und wachte langsam auf. Mein Polster bewegte sich ruhig auf und ab, hob und senkte sich.
Was für ein Polster. Jeydon schien es nicht gestört zu haben, dass ich ihn als Kissen benutz hatte. Im Gegenteil, er sah ziemlich zufrieden aus. Schlief mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich legte meinen Kopf wieder auf seine Brust, lauschte seinem starken Herzschlag. Poch poch poch.
In diesem Moment wagte ich es nicht zu atmen. Ich dachte irgendwie, wenn ich meine Atmung stoppte, würde der Moment kurz angehalten werden. Und das wollte ich, diesen Moment, für immer. Aber die Zeit blieb natürlich nicht stehen und ich atmete wieder und ja, Jeydon wachte auch auf. Wäre auch zu schön gewesen.

"Guten Morgen, Süße", flüsterte er und öffnete ein Auge. Ein Lächeln schoss mir ins Gesicht. Vielleicht himmelte ich ihn gerade an, wie ein kleines Kind seinen Teddy, aber das war mir egal. Kein Teddy der Welt konnte es mit ihm aufnehmen. Mit meiner echten, wahren Liebe. Selbst wenn ich keine Ahnung davon hatte, das stellte ich mir eben darunter vor.

"Guten Morgen", antwortete ich und küsste ihn.
Er grinste breit und seufzte dann, bevor er die Augen wieder schloss.
"Ich will nicht aufstehen. Wir könnten hier bleiben", sagte er mit geschlossenen Augen, immer noch das Lächeln im Gesicht "den ganzen Tag, hier im Bett. Den ganzen Tag und die ganze Nacht für immer und ewig"
Ich glaube, er war gerade wieder eingeschlafen. Hatte er meine Gedanken gelesen?
Schmunzelnd stand ich leise auf und ging ins Bad. Ich wusste, Mum und Dad würden schon in der Küche sitzen und sehnlichst darauf warten, dass wir aufstanden. Vermutlich hatten sie uns nur nicht wecken wollen.

Als ich mich im Spiegel betrachtete, erkannte ich mich im ersten Moment nicht einmal. Meine Lippe war geschwollen, mein linker Wangenknochen dunkelblau und meine blonden Haare standen in alle Richtungen ab. Wow.
"Ich seh ja so scheiße aus", murmelte ich vor mich hin und spritze mir Wasser ins Gesicht.
"Ach Süße, wenn du wüsstest wie scharf du aussiehst. Wie eine Rebellin, eine draufgängerische, sexy Rebellin. Meine Rebellin", sagte eine tiefe Stimme und ich erblickte Jeydon im Spiegel, der lässig am Türrahmen lehnte. Ich lachte auf.
"Weißt du, wie sehr ich dich liebe?"
"Ja", antwortete er schief grinsend und ich fiel ihm um den Hals. Er hielt mich fest, in einer dieser Umarmungen, die wirkliche Umarmungen waren. Fest und eng, beschützend.

Als wir schließlich unten in der Küche ankamen, war alles so wie ich es erwartet hatte. Mum war völlig entsetzt von meinem lädierten Gesicht, Dad total in Rage und Jeydon, er versuchte in erster Linie ruhig zu bleiben. Und damit meinte ich wirklich versuchen. Er stand da und war völlig angespannt, seine Hände waren zu Fäusten geballt, die Lippen fest aufeinander gepresst, aber er sagte kein Wort. Er blieb ruhig.

"Wir gehen heute zur Polizei", bestimmte Mum und strich mir über den Kopf.
"Das wird nichts bringen, Su", sagte Dad und wirkte noch immer aufgebracht.
"Einen Versuch ist es wert okay? Wir gehen dahin Kathleen!"
"Aber Mum, Dad ist doch nur realistisch", versuchte ich sie zu beruhigen. Keine Chance.
"Wir gehen dahin, und Punkt. Das können die doch nicht machen"
Ich wollte gerade was sagen, aber jemand fiel mir ins Wort.
"Was hast du zu verlieren, Kat?"
Mein Blick ging zuerst zu Jey, der seine Hände in den Taschen seiner Jeans vergrub, dann schaute ich meine Mum und meinen Dad an. Mums flehender Blick überzeugte mich schließlich.

"Was ist nur los mit Ihnen?!", brüllte Mum den Polizisten an, nachdem dieser genau das gesagt hatte, was schon mein Dad gesagt hatte. Aussage gegen Aussage.
"Tut mir leid, uns sind die Hände gebunden, Ma'am"
"Müssen die mich eigentlich erst vergewaltigen oder totschlagen, bevor etwas passiert?", fragte ich ruhig und auch etwas enttäuscht. Das alles würde nie ein Ende haben.
Jeydon, den natürlich niemand davon abhalten konnte, mit aufs Präsidium zu kommen, schluckte, als er meine Worte hörte. Er hatte natürlich die Schule geschwänzt, aber er war fast achtzehn, also wer sollte es ihm verbieten? Mum und Dad hatten sowieso das Gefühl, ihm was schuldig zu sein, dafür dass er sich gestern um mich gekümmert hatte.
"Es tut mir wirklich leid, ohne Beweise und ohne Zeugen, können wir leider nichts für sie tun"
Mum warf ihm einen missbilligenden Blick zu und verließ wutentbrannt den Raum.
Jeydon legte den Arm um meine Schulter, warf mir einen wissenden Blick zu und wir gingen ihr nach.

Als wir bei der Tür draußen waren, begann sie zu fluchen. Meine Mum fluchte.
"Wir wussten ja, was passieren würde", versuchte ich sie zu beruhigen. Ich war momentan die einzige, die das ganze nicht komplett zu verärgern schien. Oder ich konnte einfach am besten damit umgehen.
"Das ist doch lächerlich. Aussage gegen Aussage", äffte sie den Polizisten nach und der Spott in ihrer Stimme war ziemlich bitter.
"So ist es nunmal", sagte ich schlicht und lehnte mich an Jey, der immer noch den Arm um meine Schulter gelegt hatte. Er war merkwürdig ruhig.

"Ich bring Kat in die Schule, wenn das okay ist", sagte er und meine Mum nickte.
"Ich muss sowieso in die Arbeit. Pass gut auf dich auf, Schatz", verabschiedete sie sich mit einem Kuss.

Die ganze Fahrt über war Jeydon ziemlich ruhig. Wir sprachen fast nichts, die meiste Zeit musterte ich nur sein perfektes Gesicht und er die Straße.
Als wir bei der Lakes Highschool ankamen, dachte ich, er würde anhalten und mich aussteigen lassen. Falsch gedacht. Er stieg selbst aus und ging schweigend auf den Eingang zu.
"Was zur Hölle..." Ich schnallte mich ab und spurtete ihm hinterher.
"Was tust du da?", rief ich, als er schon beinahe bei meiner Klasse war.
"Ich werde kurz ein Gespräch mit Andrew führen", antwortete er kalt.
Entsetzt packte ich ihn an der Schulter.
"Was?"
"Versuch nicht mich abzuhalten. Versuchs erst garnicht!", sagte er bestimmt und ich wagte es nicht, einen Mucks von mir zu geben.

Ohne ein weiteres Wort öffnete er die Klassentür und wir traten ein. Alle Blicke auf uns gerichtet. Ein paar - okay außer Anna so gut wie alle - Mädchen setzten sich gerade hin, bissen sich auf die Lippe oder wickelten eine Haarsträhne um den Finger. Die Jungs steckten die Brust raus, um sich größer zu machen und ich musste instinktiv an Gorillas denken, was mich schmunzeln lies.
"Mrs. Nash, schön, dass Sie auch noch kommen", sagte meine Englisch Lehrerin spitz und schob sich die Brille zurecht.
Ich wollte gerade antworten, aber Jey fiel mir ins Wort.
"Sie sollen augenblicklich in die Direktion kommen. Anordnung vom Direktor"
"Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?"
"Jakob Danley. 11B", antwortete er.
Nach kurzer Bedenkpause machte sie sich schließlich auf.

Alle im Raum waren still, keiner sagte ein Wort.
"Ach Kat, du siehst gut aus", brach Andrew schließlich die Stille und grinste boshaft.
Ich merkte wie Jey verspannte.
"Du hälst jetzt besser dein Maul, Kleiner", presste Jey heraus und starrte ihn an. Oh oh, gleich geht die Bombe hoch.
Andrew lachte nur und fügte hinzu:"Du hast deinen Freund mitgebracht, Leenchen! Angst?"
Jap, genau jetzt.
Jeydon explodierte innerlich, das wusste ich, aber er ging ruhig auf ihn zu, grinste ihn an.
Andrew schien das zu verwirren.
"Ach Andrew, Kumpel", meinte Jey und grinste breit, bevor er ihm am Genick packte und seinen Kopf unsanft auf die Tischplatte drückte. "Du sollst die Klappe halten" Einige sogen scharf die Luft ein, Liz hielt eine Hand vor den Mund um ihr Entsetzten auszudrücken.
Andrew stöhnte auf.
"Ich rate dir etwas, lass Kat in Ruhe. Wenn du sie je wieder anfasst", er erhöhte den Druck anscheinend, den Andrew stöhnte erneut auf "wirst du den Tag bereuen, an dem du geboren wurdest"
Andrew klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch. Er konnte wohl nicht sprechen. Wie fest drückte er gerade zu?
"Jey, bring ihn nicht um", versuchte ich ihn runterzubringen, stand aber immer noch bei der Tür und beobachtete das Geschehen. Jey lies in los.
Andrew sagte kein Wort, hielt sich nur das Genick und presste die Lippen aufeinander.

Dann drehte Jey sich um und ging einfach, natürlich nicht ohne mich zu küssen und Andrew noch einen tödlichen Blick zuzuwerfen.
"Ich liebe dich", flüsterte er mir ins Ohr und verließ die Klasse.

Schweigend setzte ich mich auf meinen Platz, Andrew sagte kein Wort. Auch sonst war es ungewöhnlich still.
"Ich zeig den an", brach es schließlich aus Andrew heraus. Ich lachte auf.
"Aussage gegen Aussage, Süßer", sagte Anna und grinste ihn an.
Ich tat es ihr nach.
Und dann sagte wieder niemand etwas.
Die Lehrerin kam wieder zurück, verwirrt von der ganzen Situation und alles nahm wieder seinen Lauf.
Das letzte das ich hörte, war das Geflüster von irgendwem.
"Was würd ich für so einen Kerl geben?"

running in the rainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt