Part 26 ~ Kulspy

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Ich umklammerte das Lenkrad, als würde mein Leben davon abhängen. Viel zu schnell jagte ich über den Highway Richtung Kellington Hospital.
Mein Kopf schmerzte unaufhörlich und das Atmen fiel mir schwer. Ich hoffte so sehr, dass es Steffanie gut ging. Kulspy saß neben mir am Beifahrersitz. Der kleine, braune Stoffhase begleitete mich schon seit ich fünf war, aber heute sollte er ein neues Zuhause bekommen und ich wusste, dass es keinen besseren Platz für ihn geben könnte, als in Steffs Armen.
Die Sonnenstrahlen blendeten mich, sodass ich kurz den Blick auf die Straß verlor und beinahe in die Leitschiene geschlittert wäre. Hektisch riss ich das Lenkrad herum.
Das war zwar ziemlich knapp, aber ganz ehrlich, es wäre mir auch egal gewesen. Mir war alles egal.
Ich hatte den Jungen, in den ich mich hoffnungslos und unwiderruflich verliebt hatte, zutiefst enttäuscht.
Mir war klar, dass er sich nie in mich verliebt hätte, aber zumindest wäre er ein Freund geblieben und nun.... nun hasste er mich. Und er hatte alles Recht dazu.
Ich fragte mich schon oft, was der Grund war, dass gerade ich geboren wurde und nicht ein Baby-George Clooney oder eine Angela Merkel.
Irgendwann ist es mir egal geworden.
Nur eines war mir nicht egal, und zwar wie es Steff ging.

Ich fragte mich bei den Schwestern durch, bis ich im dritten Stock bei Zimmer Nummer 312 ankam. Leise klopfend betrat ich das Zimmer.
Die Wände waren in einem hellen Grau gestrichen, gekritzelte Bilder von Kindern hingen an der Wand, ein altes Stofftier, das nur mehr ein Auge hatte und trotzdem süß aussah, saß im Sessel neben dem einen Krankenbett. Ich hasste Krankenhäuser so sehr. Der Geruch und die Atmosphäre, es war schrecklich hier. Steffanie schlief, eine dicke, dunkle Strähne hing ihr ins Gesicht.
Ich schlich mich zu ihr und setzte mich auf die Bettkante. Kulspy drückte ich noch kurz an mich und lies mich in seinen Geruch fallen,den ich nur allzu gut kannte, bevor ich ihn Steff unter den Arm klemmte.
"Der ist für dich. Er heißt Kulspy, aber das steht sowieso mit Filzstift auf seinem Fuß"
Ich lachte leise, während ich ihr die Strähne hinter das Ohr strich.
"Ich kenn ihn schon sehr lange, pass gut auf ihn auf"
Im Halbschlaf murmelte sie etwas Unverständliches und drückte ihn an ihr Gesicht.
"Ihr geht's schon wieder besser. Sie braucht nur viel Schlaf", flüsterte mir eine tiefe, raue Stimme ins Ohr.
Erschrocken fuhr ich herum und rutschte am glatten Boden aus. Jey fing mich auf und stellte mich wieder auf die Beine. "Ich.... Ich hab dich garnicht gehört", stotterte ich.
Er nahm seinen Smoothie, der schwer nach Erdbeere aussah, und trank schlürfend einen Schluck. Sein schiefes Grinsen hinterließ ein warmes Gefühl in meiner Brust.
"Jeydon es tut mir so leid. Du musst mich hassen, das tue ich auch, glaub mir, aber es tut mir so leid, wie ich mich verhalten habe", wisperte ich, den Tränen nahe. "Kat, du konntest es nicht wissen"
Er stellte sein Getränk auf den Tisch und setzte sich hin. Er streckte die langen Beine aus und musterte Steff.
"Wirklich Jey, es tu...."
"Was denkst du, ist der Sinn des Lebens?"
"Was?", fragte ich irritiert. Wie kam er gerade darauf?
"Du weißt schon, die Frage nach dem Sinn des Lebens" Er machte eine abwickelnde Geste mit seiner Hand.
"Wie kommst du drauf?"
"Ich denk schon zu lange drüber nach. Ich hab gedacht du hast eine Antwort", sagte er und schaute mich kurz an.
"Ich hab es aufgegeben darüber nachzudenken. Die Frage ist mir egal geworden"
"Sag mir trotzdem, was du denkst", bestimmte er und sprach sehr leise, um Steff nicht zu wecken.
"Warum?"
"So", bemerkte er und blickte mir auffordernd in die Augen. Okay.
"Ich denke, diese egozentrische, anmaßende Frage, meint, sie sei der Grundstein aller Philosophie, dabei ist sie einfach nur so derart unwichtig, dass sie sich in unsere Köpfe schleicht und uns quält. Sie weiß genau, dass sie nicht beantwortet werden kann und trotzdem lechzt sie nach Aufmerksamkeit, um ihre unnötige Existenz etwas wichtiger erscheinen zu lassen"
Kat, das hast du jetzt nicht gesagt? Super. Jey musste jetzt denken, ich sei ein philosophierender Freak.
"Wow" Er trank grinsend einen Schluck Smoothie. Seine Augen strahlten fast genauso, wie der neonpinke Strohhalm.
Von seiner Reaktion überrascht, musste ich auch grinsen.
"Was hälst du von der Frage?", fragte ich zurück und wickelte eine blonde Strähne um meinen Finger.
"Ich glaube, das alles einen Sinn hat", erklärte er und starrte auf den Boden.
"Und welchen?"
"Keine Ahnung", flüsterte er fast unhörbar und wirkte abwesend. Plötzlich stürmte eine Schwester herein und schlug die Tür förmlich auf. Steff wachte auf und sah sich irritiert um. "Hallo", begrüßte sie uns euphorisch und gähnte.
"Besucherzeit vorbei. Sie müssen jetzt gehen", knurrte die Alte uns an und deutete uns hinauszugehen. Ich zuckte entnervt die Schultern und blickte zu Steff, um die Augen zu überdrehen. Sie lächelte. "Pass gut auf Kulspy auf"
Sie nickte wild und ich umarmte sie zum Abschied. "Morgen hol ich dich hier raus", sagte Jey zwinkernd. "Okay", antwortete Steff und grinste. "Hrm hrm", die Schwester räusperte sich ungeduldig und ich warf ihr einen Nicht-Ihr-Ernst-Blick zu. Jeydon gab Steff einen Kuss auf die Stirn und so verließen wir den Raum.

Es war schon fast sieben und die Sonne würde bald untergehen. "Steff hatte einen Asthmaanfall", sagte Jeydon während er mir über einen umgefallenen Baumstamm half. "Den letzten hatte sie vor drei Jahren und wir dachte, das Asthma wäre weg"
"Ach scheiße", gab ich zurück und sah ihn besorgt an.
"Am Sonntag hatte sie einen besonders schweren, weshalb ihr Gehirn nicht genug Sauerstoff bekam und sie ohnmächtig wurde. Am Dienstag hatte sie dann noch einen kleineren Anfall, aber jetzt geht es ihr wieder gut"
"Gott sei Dank. Ich hab mir solche Sorgen gemacht."
"Muss ein scheiß Gefühl sein, nicht atmen zu können"
Ich nickte bestätigend.
Endlich kamen wir beim Teich an. Die Sonne ging gerade unter und spiegelte sich rotorange im Wasser. Jey setzte sich ins Gras, ich setzte mich neben ihn. Mit der Hand strich ich durch die Halme.
"Was du gesagt hast, im Krankenhaus, war so dumm, Kat", sagte er und betonte das Wort dumm.
Ich musterte meine Hände. Irgendwie fühlte ich einen kleinen Stich im Herzen. Na klar, keiner hatte bis jetzt meine Auffassung von der Frage nach dem 'Sinn des Lebens' verstanden, trotzdem hoffe ich er.... Na ja.
"Hm. Naja, es ist ja nur eine Frage"
"Das meinte ich nicht"
Seine Stimme war fest und bestimmt.
Fragend sah ich ihn an.
"Deine Meinung, dass die Frage egozentrisch und unwichtig und im Grunde nur philosophischer Bullshit ist, find ich gut. Find ich sogar sehr gut und.... mutig"
Ich lächelte kurz.
"Wie kannst du nur glauben, dass ich dich hassen könnte?"
"Wie könntest du es nicht tun, nachdem wie ich mich verhalten habe" Beschämt betrachtete ich die Grashalme zwischen meinen Fingern.
Jeydon nahm mein Kinn in die Hand und drehte meinen Kopf in seine Richtung, sodass ich ihn ansehen musste. Seine blauen Augen blitzen auf. Er kam etwas näher.
"Du konntest es nicht wissen, Kat.
Ich könnte dich niemals hassen, verstehst du? Niemals.", flüsterte er mit der tiefen, rauen Stimme, die ich so liebte.
Die letzten roten Sonnenstrahlen fielen uns ins Gesicht. Seine Haare sahen fast karamellbraun aus, obwohl sie normalerweise schwarz waren. Langsam strich er mir mit dem Daumen über die Wange.
Die Berührung ließ mein Herz höher schlagen. Fast unhörbar leise flüsterte er, eher für sich, als für mich :" Ich könnte dich niemals hassen, Kat"
Er zog mein Kinn leicht zu sich und küsste mich sanft. Mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen. Ich schloss die Augen und lies mich einfach fallen.
Ich liebte ihn, Herz über Kopf.
Mir war klar, dass ich keine Ahnung von wahrer Liebe hatte, aber wenn es sie gab, dann könnte sie nicht schöner sein, als das Gefühl, das ich gerade verspürte.
Seine Lippen waren so samtweich. Der Kuss war einfach so.....perfekt. Mein junges Herz schlug viel zu schnell für meinen Körper. Ich wollte, dass er nie wieder aufhörte, doch genau das tat er.
"Tut mir leid", flüsterte er.
"Mir auch", gab ich zurück und küsste ihn erneut. Ich spürte, wie er lächelte, griff in seine weichen Haare und hielt mich daran fest. Er lehnte sich über mich und intensivierte den Kuss. Oh mein Gott, es wurde von Sekunde zu Sekunde besser. Er küsste so gut, so zärtlich. Es war, als wäre das Blut aus meinem Körper gewichen und nun strömte flüssiges Feuer durch meine Venen. Schließlich lag ich unter ihm auf dem Gras, er stützte sich sich mit einem Ellbogen ab, mir der andren Hand hielte er mein Gesicht fest und küsste mich. Kurz unterbrach er den Kuss um mich anzusehen und zu lächeln, dann küsste er mich wieder.

Keine Ahnung, ob man mit siebzehn überhaupt die Bedeutung, oder gar den Sinn von wahrer Liebe verstehen mochte. Vielleicht hätte ich wirklich nicht die leiseste Ahnung was die echt 'wahre Liebe' war, aber es war mir egal.
Jeydon war meine Definition von wahrer Liebe und Leute konnten denken was sie wollten, meine wahre Liebe, war genau das, was ich gerade fühlte. Jey war meine. Echte. Wahre. Liebe.

running in the rainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt