Part 57 ~ Ende des Anfangs

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Es war dieser eine Moment, dieses eine Gefühl, das mich so einfach übermannte.
Dieser Druck im Kopf, diese Leere, die danach schrie, gefüllt zu werden.

Es war Hilflosigkeit.

Oder Angst.

Oder Trauer.

Lass mich doch nicht im Stich, rief ich im Stillen und weinte ohne zu weinen.
Keine Ahnung an wen das gerichtet war, an meinen Körper, an Gott, an Jeydon, an das Leben.
Vielleicht auch an alle.

Ich musste etwas tun. Er würde sterben.
Jeydon wird sterben.
Sie würden ihn umbringen. Und dann, dann wäre er weg. Er wäre tot, weg, fort, nenn es wie du willst, er wäre einfach nicht mehr hier.
Das letzte was mir bleiben würde, wäre die Erinnerung an seinen Sarg, sein Grab, oder die Bilder in meinem Kopf, die noch schlimmer waren.

Ich strenge mich so an. Ich konzentrierte mich. Ich wollte was tun. Ich wollte ihm helfen. Ich wollte ihn retten, wie er mich gerettet hatte.
Aber es ging nicht.
Verdammt noch mal es ging nicht.
Ich weinte, ich schrie, ich lag still da.
Ich hasste mich.
Jeydon, Jey hörst du mich? Jeydon... Jeydon ich kann das nicht. Es.... Ich kann nicht.

Plötzlich überkam mich eine Erinnerung.

"Jeydon, was wenn... Wenn ich nicht gut bin? Wenn ich nicht gut genug bin, für jemanden wie dich"

"Na und?"

"Was?"

"Na und ich liebe dich"

Damals hatten wir auf der Decke am Feld gesessen, nach Mums Geburtstag. Es war warm gewesen, hatte nach Herbst und Aftershave gerochen.


Komm schon, hilf ihm. Komm schon.
Wieder versuchte ich es. Versuchte mich zu bewegen. Es ging nicht, es ging schon wieder nicht.
Bitte bitte bitte.
Nichts rührte sich. Mein Körper war wie gelähmt.
Es, ich schluchzte, es tut mir so leid.


"Und du?"

Er starrte auf den Boden und trank schlürfend einen Schluck Smoothie.

"Ich glaube, dass alles aus einen bestimmten Grund passiert", sagte er, den Blick auf seine ausgestreckten langen Beine gerichtet.

"Und der wäre?"

"Keine Ahnung", murmelte er abwesend.

Natürlich. Das Krankenhaus, Steff, die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Kurz fühlte es sich an, als wäre ein Lächeln durch meine Adern gerauscht. Ein kurzes, glucksendes Lächeln.
Dann war es wieder fort.
Was ist der Grund, Jeydon? Warum muss ich Angst haben, dich nie wieder zu sehen?
Ich soll aufwachen oder? Das ist der Grund.

Und wieder probierte ich es. Ich streckte meinen Arm. Ich fühlte nichts. Da war nichts. Ich konnte nicht.


Plötzlich spürte ich es wie einen Stich im Bauch. Und dann hatte ich einen metallischen Geschmack an den Lippen und drehte mich kurz, um die Flüssigkeit auszuspucken. Es war Blut.

"Kat", flüsterte Jeydon angsterfüllt und eine Träne ronn ihm über die Wange. Ich reagierte nicht, ich konnte nicht.
"KAT!", schrie er mich nun an und schüttelte mich. "Kämpfe, Kat! Komm schon!"
Ich konnte nicht mehr, ich hatte gewaltige Schmerzen, die mich von innen zerrissen.
"Ich... Ich liebe dich, Jeydon", wisperte ich und versuchte, eine Hand an seine Wange zu legen.
Er atmete entsetzt aus und riss die intensiv blauen Augen auf.
"Du liebst mich? Du liebst mich?", er wurde immer lauter.
"Nein, du liebst mich nicht. Wenn du mich lieben würdest, würdest du endlich kämpfen"
"Bitte, ich kann nicht-", flüsterte ich mit letzter Kraft.
"KÄMPF DOCH ENDLICH!"

Es war genau wie jetzt. Nur damals, damals musste ich für mich kämpfen. Und das hatte ich nicht geschafft. Und ich würde es wieder nicht schaffen. Ich würde ihn sterben lassen. Und dann, dann würde ich auch daran sterben.

Plötzlich überkam es mich, es überkam mich wie ein finsterer Schauer.

Kat, du lässt ihn sterben. Nichteinmal für ihn kämpfst du.

Ich begann zu weinen. So schrecklich krampfhaft zu weinen, dass sich meine Lungen zusammenzogen und mein Rücken schmerzvoll verspannte.
Es tut mir so leid.

Und dann fühlte ich etwas. Etwas heißes an meiner Wange. Etwas nasses, dass sich verteilet. Ich weinte? Ich.... Ich weinte! Da war eine Träne.

Und plötzlich schien es doch nicht unmöglich. Ich streckte mich mit voller Kraft.
Nichts.
Nein nein nein! Komm schon!

Plötzlich erinnerte ich mich. Ich erinnerte mich an ein paar Sätze. Ein paar Sätze aus seinem Mund.

"Du hast mich in den Wahnsinn getrieben Kat. Ich muss irre sein. Ich muss irre sein, weil ich mich in dich so krass verliebt hab, dass ich nicht anders kann, als so etwas zu wollen.
Ich will unsere Blumenwiese.
Ich will eine heiße Hippie-Braut.
Ich will unsere Joint-Phase.
Ich will ausbrechen, aus der Welt.
Ich will mit dir ausbrechen.
Ich will dich"

Und ich will dich Jeydon.


Mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Schlag für Schlag, immer kräftiger. Es tat weh, mehr und mehr weh, immer schlimmer. Und dann schlug es mit voller Wucht gegen meine Rippen und in diesem Moment wurde es hell.
Meine Augen waren offen. Und plötzlich hörte ich ein lautes Geräusch und blickte auf den rot leuchtenden Knopf, über dem ein Schwesternsymbol gezeichnet war.

Ich lass dich nicht im Stich.

running in the rainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt