Part 44 ~ Bernadette

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Wann kommt er endlich?
Ich wartete nun schon seit zehn Minuten in der Auffahrt. Während ich nervös an meinem schwarzen Sweater herum zupfte und darauf hoffte, dass Bernadette es sich in der Zwischenzeit nicht anders überlegt hatte, schrieb ich Anna noch kurz eine SMS was los war.
Jeydon, beeil dich!

In dem Moment bog sein Chevrolet Suburban ein. Mit gefühlten hundertzwanzig km/h, wie immer.
Ich rannte zum Auto und stieg ein.
"Hi, Sü-"
"Fahr los!"
"Ganz mit der Ruhe, sie wird sich schon nicht in Luft auflösen", gab er zurück und startete den Wagen.
Oh Gott, ich war so aufgeregt, ich hätte durchdrehen können.
"Meinst du, sie wird aussagen?", fragte ich Jeydon unsicher und kaute auf meiner Lippe herum.
Er nahm eine Hand vom Lenkrad und legte sie auf meinen Oberschenkel.
"Wir schaffen das. Wir machen Peter fertig - so oder so"
"Hoffentlich", seufzte ich und legte meine Hand auf seine.

Nach zehn Minuten kamen wir beim Rosé an.
Jeydon lies es sich nicht nehmen, mir die Tür zu öffnen, was mich trotz der Nervosität zum Schmunzeln brachte.
Erst jetzt bemerkte ich, dass er eine von diesen Camouflagehosen mit den großen Säcken trug, die sie beim Militär hatten. Das untere Ende der Hosenbeine war in geschnürte, schwarze Stiefel gesteckt. Oh Gott, wie scharf sah das bitte aus!
"Ist was?", fragte er und zog eine Augenbraue hoch, während er mich skeptisch musterte. Da ich ihm wohl schlecht sagen konnte, dass ich ihn mir gerade als Soldat vorgestellt hatte, wie er ohne Shirt in der Erde lag und Liegestütze machte, sagte ich einfach nur "die Hose ist sexy"
Er lachte und antwortete "So wie alles an mir"
Selbstverliebter Depp.
"Und du natürlich, Süße"
Mein selbstverliebter Depp.

Er öffnete mir die Tür, sodass ich als erste ins kleine Café eintrat. Es war sehr modern und freundlich eingerichtet, der Duft von Kakao und Kaffee stieg mir in die Nase.
"Wer davon ist sie?", fragte eine tiefe Stimme hinter mir.
Ich suchte den Raum mit einem Blick ab und entdeckte sie schließlich in der hinteren linken Ecke des Cafés.
Ohne etwas zu sagen zog ich Jey dorthin.

"Hi", sagte ich leise und versuchte freundlich zu lächeln.
"Hallo", antwortete das zierliche, brünette Mädchen und legte ihr Smartphone beiseite.
"Das ist Jeydon, mein Freund", stellte ich ihn vor. Er hob einen Mundwinkel und nickte.
Ich konnte förmlich sehen, wie ihre Augen zu strahlen begannen.
"Setzt euch", sagte sie und blickte wieder mich an.

Wir bestellten zwei Cappuccinos und Jeydon bestellte sich irgendeinen Cocktail. Nach einer ewig dauernden, peinlichen Stille versuchte ich schließlich ein Gespräch zu beginnen.
"Also", ich zog das o elend lang "als du sagtest, du wolltest dich mit mir treffen, hab ich natürlich gehofft"
"Dass ich mich umentschieden habe und gegen Peter aussagen will", unterbrach sie mich und sah mir in die Augen. Ich nickte lächelnd, aber als sie einfach ernst auf den Tisch starrte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.
"Es tut mir leid, aber nein. Ich wollte mich mit dir treffen um dir zu danken. Ohne dich hätte Peter mich damals wohl vergewaltigt. Danke", flüsterte sie beschämt und mein Lächeln verschwand. Ich war eher den Tränen nahe.
"Was?! Das ist alles?", rief Jeydon und starrte sie an.
"Es tut mir -"
"Das ist doch nicht dein ernst", unterbrach er sie gereizt, "warum lässt du das alles mit dir machen?"
"Ich wollte dir nur danken", wandte sie sich an mich, "sorry wenn ich dir nicht helfen kann"
Ich bekam keinen Ton raus, meine Augen wurden feucht.
"Dass kann nicht wahr sein!", rief Jey wütend und schlug mit der Faust auf den Tisch. Berni zuckte sichtlich zusammen.
"Du kannst ihr sehr wohl helfen und dir auch, wenn Peter weg wäre, hättest du nichts mehr zu befürchten"
"Nein, das kann ich nicht machen", flüsterte sie.

Ich merkte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. Gott, das Mädchen hatte Angst. Auch wenn sie mich gerade sehr enttäuscht hatte, sie tat mir unendlich leid.
"Okay, wenn du nicht willst, aber es würde mich wirklich glücklich machen", sagte ich und lächelte gezwungen.
"Tut mir leid, aber trotzdem bin ich dir dankbar", erwiderte sie und lächelte gezwungen zurück.
"Hab ich gern getan", sagte ich nur und merkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen.
Es wird für immer so bleiben. Ich werde immer Angst vor ihnen haben müssen. Er wird mich wieder schlagen. Und Andrew auch. Und wenn sie Jeydon....
"Falls du es dir anders überlegst"
"Nein! Ich werde ihn nicht anzeigen!", schrie sie mich schon fast an und strafte mich mit einem verärgerten Blick. Nun ronn mir eine Träne über die Wange.

"Das kannst du nicht machen!", sagte Jeydon so laut es ging und sah sie an.
"Du wolltest mit ihr reden um Danke zu sagen, aber du tust nichts. Du lässt sie im Stich. Wenn Kat das getan hätte, hätte Peter dich vergewaltigt"
Er klang so wütend, sein Körper war verspannt, seine Hände zu Fäusten geballt.
Sie schluckte und stand auf.
"Ich muss gehen", murmelte sie und würdigte uns keines Blickes.
Jey sprang auf und hielt sie fest.
"Nein!"
Sie zuckte zusammen, als würde sie Schläge erwarten.
Sofort wurde Jey ruhig und lockerte den Griff.
"Hey, alles ist gut. Ich werde dir nicht weh tun", flüsterte er nun leise und ruhig.
Sie nickte nur und er drückte sie sanft an den Schultern wieder in den Sessel.
"Lass uns ein bisschen reden"
Sie nickte wieder und Jey nahm neben mir auf der Bank Platz.

"Wo gehst du zur Schule?", begann Jey.
"Lakes. So wie Kathleen", antwortete sie und entspannte sie allmählich.
"Lauter wunderschöne Mädchen an der Lakes. Scheiße, warum geh ich eigentlich auf die St. Claires?", seufzte er schief grinsend. Bernadette lächelte und wurde rot.
Ich musste auch Lächeln und legte meinen Kopf an seine Schulter.
Jeydon küsste mich auf die Stirn.
"Ihr - ihr seid wirklich süß", sagte sie unsicher und ich versuchte durch meinen Blick ein Gefühl von Wärme zu schenken.
"Scharf", sagte Jey.
"Was?", fragte sie überrascht.
"Ich bin nicht süß - du meintest scharf"
Er grinste ein albernes Grinsen und verschränkte die Arme vor der Brust.
Nun lachte Berni. Ja, genau dafür liebte ich ihn.
Sie entspannte sich sichtlich und kam aus sich heraus. Unsere Gespräche wurden immer amüsanter. Nach einer guten halben Stunde, war es, als wäre ich mit einer alten Freundin zusammen.

"Wie habt ihr euch kennengelernt?", fragte sie und trank einen Schluck Kaffee.
Ich schluckte. Bevor ich antworten konnte, begann Jey zu erzählen.
"Ich hab sie nachts im Wald gefunden. Sie hatte lange geweint, war verletzt. Daraufhin habe ich sie nach Hause getragen"
"Oh Gott, was war denn passiert?", fragte sie und hielt sich schockiert eine Hand vor den Mund.
"Peter und seine Leute", gab ich nüchtern zurück.
Sie blinzelte und sagte lange nichts.
"Das tut mir leid", flüsterte sie dann aber.
"Andrew war einmal mein bester Freund gewesen, aber Peter hat ihn dazu gebracht, mich krankenhausreif zu schlagen"
Stille.
"Oh nein", wisperte sie fast unhörbar leise.
"Deshalb habe ich eben gehofft - ich will doch nur, dass ich nicht jeden Tag mit der Angst aufwachen muss, Peter und seine Schlägerfreunde könnten wieder vor meiner Tür stehen und mich totschlagen", sagte ich und hatte das Bedürfnis wieder zu weinen.
"Kathleen, es tut mir wahnsinnig leid, aber ich kann nicht -"
"Doch du kannst", mischte sich Jeydon ein und starrte ein Loch in den Tisch " - du könntest"
Er hob den Kopf und blickte ihr in die Augen.
"Sie hat einfach Angst, Jey", sagte ich und schaute ihn an.
"Du hast auch Angst", entgegnete er und wandte sich wieder Bernadette zu.
"Aber du müsstest nie wieder Angst haben. Wenn Peter verhaftet wird, kommt er für mindestens drei Jahre in den Knast. Ich meine, er ist neunzehn? Wenn du auch noch gegen ihn aussagst, dann glaubt uns die Polizei vielleicht und er ist wegen versuchtem Todschlags dran"

"Aber wenn er es herausfindet - "
"Wird er nicht!", versicherte ich ihr.
"Erst wenn es zu spät ist und sie ihn haben", ergänze Jey und schnappte sich ihre Hand.
"Bitte hilf uns, ich will nur diesen Typen hinter Gitter sehen.
Vor ein paar Monaten ist Kat auch noch so zusammengezuckt wie du vorhin, und alles nur wegen ihm. Ich hab sie damals im Wald gefunden und hab mir gedacht, was hatte sie so verletzten können. Es war Peter. Und ich hasse ihn so sehr dafür. Es ist nicht fair, was euch passiert ist. Berni, du musst uns helfen. Nie wieder soll jemand wegen ihm weinen. Bitte Bernadette, du willst es doch auch."

Sie atmete tief ein und schloss die Augen. "Okay, gut"
"Gut?"
Ich glaube es nicht.
"Ja, ich werde gegen ihn aussagen. Und  ich werde der Polizei die Bilder zeigen, mit denen er mich erpresst"
"Du hast Bilder?", fragte Jeydon.
"Ja. Die habe ich. Und die müssen Beweis genug sein"
"Du glaubst nicht wie glücklich du mich machst!", rief ich, sprang auf und umarmte sie.
"Ich bin es dir doch irgendwie schuldig. Und mir auch", meinte sie und lächelte. Sie schien Mut gefasst zu haben.
"Wir können uns also auf dich verlassen?", suchte Jeydon noch einmal Bestätigung und als sie nickte umarmte er sie auch.
Sie gab uns noch ihre Nummer und verließ dann mit selbstbewusster Haltung das Café.

An Jeys Wagen angelangt hielt ich ihn zurück, bevor er einsteigen konnte.
"Alles in Ordnung, Süße?"
"Meinst du, alles wird jetzt gut?", fragte ich wie ein kleines Kind und blickte ihn hoffnungsvoll an.
"Ja. Ja, da bin ich mir sicher"
Eine Freudenträne kullerte meine Wange hinunter und ich fiel ihm um den Hals. Plötzlich wirbelte er mich herum und küsste mich, als ich wieder auf meinen Füßen stand.
"Alles wird jetzt gut, mein Vögelchen"

running in the rainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt