Part 48 ~ Die Aussage

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Gedankenverloren starrte Jey auf einen Punkt in der Luft. Als wäre dort ein kleines Fünkchen Besonderheit. Ich wollte es auch sehen, also richtete ich meinen Blick auch dorthin, aber da war nur Luft. Durchsichtbare, kalte Oktoberluft.
"An was denkst du?", fragte ich schließlich, weil es mich neugierig machte, mit welchem Blick er auf dieses kleine Fleckchen Luft starrte.
Ich schien ihn aus den Gedanken gerissen zu haben, denn er zuckte kaum merkbar zusammen und schaute mir nun in die Augen.
"Was?"
"An was denkst du?", wiederholte ich und legte den Kopf schief.
Ein Lachen - Seufzen - kam über seine Lippen und er strich mir eine blonde Strähne hinters Ohr. Er sagte nichts, sondern sah mich lange an, bevor er sich an die Mauer hinter uns lehnte und auf die Straße starrte.
"Okay", sagte ich leise und lehnte mich neben ihn an die Mauer.
"Es ist nicht sehr leicht zu erklären an was ich-"
"denke. Ja ich weiß"
Und das wusste ich wirklich.

Schon seit zwanzig Minuten warteten wir nun hier. Gegenüber vom Police Department, bei dieser hässlichen, grauen Steinmauer, die den Park dahinter von der Straße vor uns trennte. Mir gefiel diese Steinmauer. Sie war so kalt, auf jede Weise man kalt sein konnte.
Und an dieser Mauer lehnten Jey und ich.
Die Mauer und ich hatte so ziemlich die gleiche Temperatur. Hatten eine ähnliche Farbe. Mein grauer Mantel und die blonden Haare bildeten wenig Kontrast zu dem bleichen Grau der Mauer. Und neben mir lehnte Jeydon. Er strahle solch eine Hitze aus, so viel Energie. Er passte nicht zur Mauer.

"Und du?", riss mich eine tiefe Stimme aus den Gedanken.
"Hm?"
"An was denkst du?"
"An kalte Hitze", flüsterte ich und küsste ihn.
"Meinst du sie kommt bald?", fragte ich nachdem meine Lippen nicht mehr auf seinen lagen.
"Sie ist schon da", murmelte er, den Blick hinter mich auf die Straße gerichtet.

Er drückte sich von der Mauer weg und ging auf sie zu. Ihre zärtliche Figur war in einen beigen Mantel gekleidet. Sie trug einen grünen Samtschal, hohe newtfarbene Stiefel. Ihre dunklen Locken fielen ihr über die Schulter. Sie sah umwerfend schön aus.
Ja wirklich umwerfend, neben mir in meinem grauen Mantel und den dunklen Boots. Ich war grau, sie bunt. Sie war Frühling, ich Winter. Im wahrsten Sinne des Wortes.

"Bereit?", fragte ich den wandelnden Frühling und lächelte ihr bestärkend zu.
Sie nickte nur und sah dann zu Jeydon.
"Na dann, los"

"Und dieser Mr. Jennigs hat sie also bedroht", stellte der Beamte fest und kratzte sich am Dreitagebart.
"Peter - ja. Er hat mir gedroht, er würde mich fertig machen, wenn ich... Naja jemandem davon erzählen würde"
"Wovon genau?", fragte er mit diesem nicht wirklich interessierten Tonfall. Als wären wir kleine Kinder die irgendeine Sandkastenrauferei anzeigen wollten.
"Er - er ist in mich verliebt. Aber ich, ich hab nur Angst vor ihm. Als ich ihm gesagt hab, dass aus uns nichts wird, wollte er mich mit Gewalt", sie schluckte und sprach nicht weiter.
"Er wollte sie vergewaltigen", erklärte Jey wütend und starrte den Polizeibeamten an.
"Er hat mich vergewaltigt", sagte Berni nüchtern und senkte den Kopf.
"Was?", fragte ich ungläubig.
"Ja, Kathleen. Er hat mich schon einmal vergewaltigt. Das zweite Mal hast du mich gerettet", sie klang so verbittert, das mir schlecht wurde.
"Und haben Sie irgendwelche Beweise?", wollte der braunäugige Mann wissen. Er schien plötzlich nicht mehr so desinteressiert zu sein.
"Die Bilder. Beim ersten Mal hat er danach Bilder gemacht, um mich zu erpressen. Er hat sie mir per Email geschickt und geschrieben "geh zur Polizei und das ganze Netz wird deinen süßen Arsch kennenlernen"", sagte sie beschämt.
Ich konnte es nicht fassen. Das war unmenschlich. Wie musste sie sich fühlen..
Jeydon starrte sie ungläubig an.
"Er hat was?", fragte er leise und ich sah, wie er anspannte.
"Und Sie haben diese Bilder noch? Als Beweise so zu sagen"
"Nein", schluchzte sie nun.
"Was?", fragte ich und biss die Zähne zusammen. Nein nein nein nein nein.
"Es tut mir so leid Kat", sagte sie unter Tränen, "er hat mich gezwungen sie vor seinen Augen zu löschen. Du weißt schon, als er mich letztens abgefangen und bedroht hat", entschuldigte sie sich weinend.
"Schon in Ordnung", brachte ich nur heraus und hielt meine Tränen zurück.
"Das ist ungünstig", beteuerte der Beamte ," aber wir haben ja noch immer Ihre Aussagen"
"Ja", sagte ich für Bernadette, die heftig schluchzte.

Nachdem wir Berni nach Hause gebracht hatten, saßen wir nun stillschweigend im Auto. Es lief irgendein Song, keine Ahnung wie er hieß. Aber er war schön. Ich begann zu weinen.
"Hey", flüsterte Jey und schenkte mir kurz einen besorgten Blick, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte.
"Und wenn..... Wenn wir zu wenig haben?"
"Zu wenig?"
"Zu wenig Beweise", schluchzte ich verzweifelt und krallte mich in den Sitz.
"Haben wir nicht", sagte er fest.
"Er wird es herausfinden. Er wird herausfinden, dass wir ihn angezeigt haben. Und wenn nichts geschieht, wird er es wissen und es uns büßen lassen. Jeydon er wird Bernadette weh tun. Er wird mir weh tun. Er wird mich wahrscheinlich", ich weinte zu heftig, um weiter zu sprechen, aber nach einer kurzen Pause beendete ich den Satz, "Er wird mich umbringen"
"Das wird er nicht", sagte Jeydon ganz ruhig und sah mich nicht einmal an.
"Jeydon ich hab solche Angst", brachte ich heraus und biss mir auf die Lippe um meine Tränen zu unterdrücken.
"Wenn er dich anfasst, wenn er dir nur ein einziges, blondes Haar krümmt, werde ich ihn totschlagen"
Seine Stimme war so fest, so bestimmt, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagte.
"Jeydon, ich hab Angst um dich"
"Kat. Er. Wird. Dich. Nicht. Anfassen", sagte er mit starker Stimme und sah mich nun an.
Ich erwiderte nichts, starrte ihn nur aus großen, hilflosen Augen an.
"Dir passiert nichts. Ich pass auf dich auf. Das schwör ich dir", flüsterte er und sah mich wieder kurz an.

Und alles, an das ich denken konnte, war dieser eine Spruch. Dieser Teil aus irgendeinem Buch. Ein Satz der mir nicht aus dem Kopf ging.

Und wenn Schutzengel ihr Leben riskieren, kommt Liebe ins Spiel. Liebe und große Gefahr.

Und ich tat nichts. Sprach nicht. Schaute ihn nicht an. Lies mich nicht von den gelben Lichtern der Straßenlaternen bezaubern. Ich dachte nur nach, wie immer. Und ich betete.
Liebe Gott, bitte, mein Beschützer braucht auch einen Schutzengel.

running in the rainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt