Erkenntnisse

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Als Muriel langsam aus einem tiefen Schlaf erwachte, krochen schon die ersten Strahlen der herbstlichen Sonne durch das Bleiglasfenster ins Zimmer.

Langsam drehte sie den Kopf. Der Platz neben ihr war leer. Ein plötzlicher Schreck durchfuhr sie. Hatte sie nur geträumt, dass Aragorn in Sicherheit war? War er gar nicht hierher zu ihr auf die Burg gekommen?

Rasch drehte Muriel sich auf die Seite, zu rasch. Von dem plötzlichen Schmerz überrascht, der durch ihre Glieder fuhr, stöhnte sie leise auf und ließ sich vorsichtig zurück in die Kissen sinken.

Behutsam versuchte sie nacheinander, ihre Arme und Beine zu bewegen. Alle Gliedmaßen fühlten sich an, wie mit Blei ausgegossen und Muriel glaubte, keine einzige Stelle an ihrem ganzen Körper finden zu können, die nicht schmerzte.

Das Brennen der Kratzer und Striemen war nicht mehr so schlimm wie am Vortag. Da hatten die Salben, mit denen Morwen sie behandelt hatte, wirklich schon einiges bewirkt. Dafür spürte sie nun jede einzelne Muskelfaser in ihrem Körper, als hätte sie eine tagelange sportliche Höchstleistung hinter sich gebracht.

Im Grunde waren die vergangenen Tage ja auch nichts anderes gewesen. Sie war nicht nur einmal durch den Wald gerannt, durch unebenes Gelände und hatte mehrere Stunden auf Pferderücken zugebracht, was sie ja ohnehin nicht besonders schätzte.

Und diese ungewohnte, wenn auch unfreiwillig erbrachte, sportliche Leistung forderte nun in Form eines schmerzhaften Muskelkaters unerbittlich ihren Tribut.

Ganz langsam und so vorsichtig wie möglich versuchte Muriel sich nun noch einmal auf die Seite zu drehen, was ihr mit einiger Mühe auch gelang.

Nein, es schien doch kein Traum gewesen zu sein. Neben ihr hatte eindeutig jemand im Bett gelegen. Also musste Aragorn hier sein. Muriel beschloss, aufzustehen und nach ihm zu suchen.

Als sie sich gerade mühsam aufgesetzt hatte und ihre Beine aus dem Bett schwingen wollte, wenn man das bei dem Tempo, dessen sie mächtig war, überhaupt so nennen konnte, ging ganz leise die Zimmertür auf und Eowyn streckte ihren Kopf herein.

„Muriel, du solltest liegen bleiben!", rief sie erschrocken aus und trat mit schnellen Schritten ans Bett ihrer Freundin.

„Jetzt, wo ich es gerade mit Müh und Not geschafft habe, mich hinzusetzen, werde ich mich bestimmt nicht wieder ins Bett legen", gab Muriel zurück und lächelte Eowyn unsicher an.

„Wie fühlst du dich?", fragte die blonde Fürstin und musterte sie besorgt, als sie sich neben Muriel auf das Bett setzte.

„Glaub mir, das willst du nicht wissen!", meinte Muriel sarkastisch. „Ich weiß gar nicht, ob es irgend einen Muskel in meinem Körper gibt, der nicht weh tut", fügte sie mit leidender Miene hinzu.

Eowyn lächelte. „Wie ich sehe, hast du wenigstens den Humor nicht ganz verloren", sagte sie dann und zwinkerte Muriel aufmunternd zu.

„Weißt du, wo Aragorn ist?", fragte Muriel dann plötzlich wieder beunruhigt.

„Er ist mit Morwen bei der jungen Frau, die Faramir und seine Soldaten im Wald gefunden haben", antwortete Eowyn.

Muriel sah sie erschrocken an. „Layla?", fragte sie atemlos. „Was ist mit ihr, wie geht es ihr?", wollte sie ängstlich wissen.

„Ich weiß nicht, wie sie heißt", gab Eowyn zurück. „Einige der Soldaten kehrten heute Nacht schon zurück und brachten sie mit. Sie war bewusstlos und scheint sehr schwer verletzt zu sein", fügte sie noch hinzu.

„Seither versucht Morwen alles, um sie zu retten, aber noch will sie keine Prognose abgeben, ob das Mädchen den Tag überleben wird. Daher hat sie heute früh Aragorns Hilfe angefordert, als du noch geschlafen hast. "

Von Hoffnung, Angst und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt