Gespräch

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Das Wiehern eines Pferdes drang von weit her in sein Bewusstsein. Wie lange er bewegungslos auf dem moosigen Boden gelegen hatte, wusste Aragorn nicht. Auch nicht, ob er geschlafen hatte. Es war ohnehin egal.

Er zwang sich, die schweren Augenlider zu öffnen. Es war schon dunkel geworden, doch der Widerschein eines Feuers flackerte über die ihn umgebenden Bäume.

Nicht weit von ihm standen zwei Pferde. Brego war also hier geblieben, stellte Aragorn fest. Sein Hengst begrüßte gerade mit einem leichten Schnauben das andere Pferd. Es war gesattelt.

Schwerfällig hob Aragorn seinen schmerzenden Kopf. Auf einem Baumstumpf, keine drei Meter entfernt von den beiden Pferden, saß eine Gestalt, vor sich ein kleines Lagerfeuer. Sie trug einen dunklen Umhang und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.

Aragorn musste nicht fragen, wer es war, und er wusste, dass sein Gegenüber ihn beobachtete.

„So lässt nun also der Thronerbe Gondors alle Hoffnung fahren und liegt im Staube?", hörte er Elronds Stimme.

Mühsam setzte Aragorn sich auf. „Der Thronerbe Gondors ist tot! Es gab nie Hoffnung!", stieß er leise hervor.

Elrond streifte nun seine Kapuze ab und sah Aragorn lange und ernst an, bevor er wieder sprach: „Estel, so habe ich dich genannt! Hoffnung! Du warst es, in den deine Eltern alle ihre Hoffnung setzten. Auf dir ruhen die Hoffnungen eines ganzen Volkes!"

„Ich kann sie nicht erfüllen!", rief Aragorn ungehalten. „Wie soll ein Hoffnungsloser anderen die Hoffnung bringen?", fügte er bitter hinzu.

„Setze dich zu mir und rede mit mir", hörte er Elrond sagen.

„Es gibt nichts mehr zu reden!", schleuderte Aragorn ihm entgegen. „Du kannst wieder nach Hause reiten!" Mit diesen Worten ließ er seinen Blick wieder zu Boden sinken und sah das Gespräch für sich als beendet an.

„Havu dat, Aragorn!" (Setz' dich, Aragorn!). Elronds Stimme duldete keinen Widerspruch. Und obwohl der Elbenfürst weder laut geworden war, noch sich seine Haltung sonst verändert hatte, spürte Aragorn den Zorn in seiner Stimme.

Widerwillig erhob er sich, ging auf den Elbenfürsten zu und setzte sich neben ihm auf einen großen Stein, ohne den Elben, der ihm immer wie ein Vater gewesen war, auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Deine Sinne sind verblendet von Wut und verletztem Stolz!" fing Elrond wieder an zu sprechen. „Du siehst nicht mehr die Wahrheit, sondern nur noch das, was du für die Wahrheit hältst!"

Aragorn schnaubte verächtlich. Er kannte die Wahrheit. Was wusste Elrond schon darüber? „Die Wahrheit lässt sich nun einmal nicht umdeuten." Trauer klang aus Aragorns Stimme, als er das sagte.

Er hörte Elrond leise seufzen. „Du liebst sie sehr, Aragorn, Arathorns Sohn." Wie ein Dolchstoß durchbohrten diese Worte Elronds sein Herz.

„Ich HABE sie geliebt!" Aragorns Stimme bebte. „Mehr als mein Leben. Doch sie liebte mich nicht einmal genug, um auf meine Rückkehr zu warten!"

Aragorn stützte seinen Kopf in die Hände und starrte auf den Boden vor seinen Füßen.

„Sie hat so sehr gelitten, seit du mit den Gefährten aufgebrochen bist", hörte er Elrond sagen. Aragorn rührte sich nicht. Hoffentlich hatte ihr Gewissen ihr Höllenqualen bereitet!

Aragorn erschrak, als ihm dieser Gedanke bewusst wurde. Niemals hätte er geglaubt, Muriel etwas Böses wünschen zu können.

„Sie hat dich nicht betrogen", sagte Elrond ruhig. „Das hätte sie niemals getan! Eher wäre sie gestorben! Das kann dir auch Gandalf bestätigen!"

Aragorn fuhr auf und blickte seinen Ziehvater zornig an. „Ach ja? Der müsste es eigentlich besser wissen!"

Elrond rieb sich mit einer Hand sorgenvoll die Stirn. Dass dieser verdammte Waldläufer auch eine derart harte Nuss sein musste!

„Dein Selbstmitleid ist deiner nicht würdig, Aragorn", sagte Elrond schließlich. „Nur wenn du sehen WILLST, wirst du erkennen! Nur wenn du bereit bist, jedes Wissen zu hinterfragen, wirst du die Wahrheit finden!"

Mit diesen Worten erhob sich Elrond langsam und Aragorn hob den Kopf. Was sollte das denn nun wieder heißen? Musste dieser Elbenfürst in Rätseln sprechen? Er war ja schon fast so schlimm wie die Herrin Galadriel von Lothlorien!

„Dann sag du mir doch, was die Wahrheit ist", brachte Aragorn nur mühsam hervor. Elrond schüttelte den Kopf.

„Nein. Du wirst es selbst herausfinden müssen. Dein Herz wird dir den Weg zeigen." Elrond ging zwei Schritte auf sein Pferd zu, bevor er sich noch einmal zu Aragorn umdrehte.

„Ich für meinen Teil werde nach Bruchtal zurück reiten und sehen, was ich für meine Tochter tun kann. Ich bin in großer Sorge um sie und ihr Kind!"

„Deine TOCHTER?" Aragorn starrte Elrond entgeistert an. Was ging hier vor? Muriel hatte doch gesagt, ihr Vater sei tot... und nun sagte Elrond...das konnte doch nicht...?

„Nein, Aragorn", meinte der Elbenfürst fast schon belustigt, und Aragorn hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieser genau wusste, was er eben gedacht hatte.

Elronds Miene wurde wieder ernst, als er weitersprach: „Vor Zeiten habe ich dich, Estel, in meinem Hause aufgenommen und dich wie meinen eigenen Sohn erzogen, weil du von je her mein Herz berührt hast."

Bei diesen Worten musste Aragorn schlucken.

„Muriel hat auf ihre Weise mein Vaterherz ebenso berührt und ich nahm sie als eine weitere Tochter in meinem Hause auf", beendete der Elb seine Erklärung.

Aragorn saß immer noch wie festgewachsen da und starrte Elrond an, als dieser sein Pferd bestieg.

„Und eine Familie wird sie jetzt ganz besonders nötig haben, scheint mir", knurrte Elrond noch leise, bevor er seinem Pferd die Sporen gab und durch den dunklen Wald davon galoppierte.


Von Hoffnung, Angst und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt