Zwei Seelen

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„Gilraen, Mäuschen, du musst wenigstens noch ein bisschen essen", bat Muriel ihre kleine Tochter eindringlich. Doch die Kleine schüttelte energisch ihren Lockenkopf. „Mag nicht!", kam die klare Ansage.

„Aber Gilraen, das sind doch die Karotten, die du mit mir im Garten eingesät hast", versuchte Muriel ihr Glück wieder. Einen Augenblick lang dachte Gilraen nach. „Meine Rotten?", fragte sie schließlich.

Muriel nickte lächelnd. „Deine Karotten", bestätigte sie. „Die sind so schön gewachsen, weil du sie so gut gegossen hast. Und jetzt wollen sie dir dabei helfen, dass du schnell wieder ganz gesund wirst."

Gespannt wartete Muriel auf die Reaktion ihrer Tochter. „Bauch schon sund", meinte die kleine Prinzessin dann. Muriel musste über die Hartnäckigkeit ihrer Tochter schmunzeln.

Sie war mehr als glücklich, dass die schlimmen Tage, in denen Gilraen nur apathisch und blass in ihrem Bettchen gelegen hatte, vorüber waren. Wie froh war sie gewesen, als Gilraen wenigstens wieder Flüssigkeit bei sich behalten hatte.

Sie war zwar noch sehr schwach gewesen, doch die unmittelbare Gefahr der Austrocknung war erst einmal in den Hintergrund getreten. Einen weiteren Tag später hatte sie schon wieder einige kleine Bissen essen können.

Trotzdem hatte die schwere Krankheit die kleine Prinzessin stark geschwächt und es würde noch einige Zeit dauern, bis sie wieder ganz hergestellt war. Dabei wollten sie doch in wenigen Tagen nach Bruchtal aufbrechen, um rechtzeitig zu Arwens Hochzeit dort zu sein.

Doch um diese Reise antreten zu können, würde Gilraens Appetit noch etwas zunehmen müssen. Als Muriel ihrer Tochter erklärte, dass sie nicht zu Tante Awi reisen könnte, wenn sie nicht ordentlich aß, war sie schließlich doch noch bereit, einige Löffel Karottengemüse zu essen.

Doch Gilraens Gesundheitszustand war nicht das Einzige, was Muriel Sorgen bereitete. Die vergangenen Tage waren hart gewesen und sie selbst hatte sich völlig verausgabt. Neben der Pflege Gilraens hatte sie immer wieder auch Arznei für die Häuser der Heilung hergestellt.

Inzwischen schien der Höhepunkt der Seuche überschritten zu sein. Es gab kaum noch Neuansteckungen und immer mehr Menschen konnten wieder aus den Häusern der Heilung entlassen werden. Und nun fühlte Muriel sich fürchterlich.

Aber so gemein konnte das Schicksal doch nicht sein, oder? Jetzt hatte Gilraen diese schlimme Krankheit so glimpflich überstanden, da konnte sie ja jetzt nicht krank werden und die Hochzeit ihrer Schwester verpassen, auf die sie sich seit Monaten freute!

Sie würde nach Bruchtal reisen! So schwieg Muriel eisern und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, dass auch sie immer wieder von starken Anfällen von Übelkeit heimgesucht wurde.

Die vergangenen Tage am Krankenbett von Gilraen hatten einfach viel zu viel Kraft gekostet. Sie hatte so wenig geschlafen und war so in Sorge gewesen, dass es doch kein Wunder war, dass sie jetzt auch erst einmal einige Tage brauchte, um sich wieder zu erholen.

Vorbeugend nahm Muriel trotzdem lieber die Kräutertropfen. Vielleicht würde sich die Krankheit dadurch ja davon abhalten lassen, ganz auszubrechen, und es würde bei der nervigen Übelkeit bleiben.

Als sie dann vier Tage später endlich unterwegs waren, war Muriel sich nicht mehr so sicher, ob ihre Entscheidung so klug gewesen war. Das ständige unruhige Schaukeln auf dem Pferderücken verbesserte ihre Laune nicht gerade.

Schon wenn sie komplett gesund war, machten ihr längere Ritte zu schaffen. Doch nun hatte sie bei jedem Schritt ihres Pferdes das hässliche Gefühl, dass ihr Magen jeden Moment rebellieren könnte.

Von Hoffnung, Angst und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt