Muriel sprang aus dem Bett und lief zum Fenster. Sie zog die Gardinen zurück und seufzte enttäuscht. Draußen regnete es, wie fast immer. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn gerade heute ein trockener Tag gewesen wäre. Muriel beschloss, sich den Tag nicht durch das Wetter vermiesen zu lassen. Immerhin war heute ihr Geburtstag. Und zwar ein ganz besonderer. Sie wurde heute 21 Jahre alt. Volljährig!
Ab heute würde sie eigene Entscheidungen treffen können und eigene Wege gehen.
Wie diese Wege aussehen sollten? Das wusste sie selber noch nicht so ganz genau. Eigentlich hatte sie ja nicht viel auszusuchen. Sie war die einzige Tochter des Gastwirts von Bree und da war es wohl ihr vorherbestimmter Weg, irgendwann einen tüchtigen Mann zu heiraten, der möglichst gutes Bier brauen konnte und dann den Gasthof ihrer Eltern weiter zu führen.
Sie konnte sich wirklich nicht beklagen. Sie liebte ihre Eltern und auch im Gasthaus in Bree fühlte sie sich eigentlich sehr wohl. Also sollte sie froh und zufrieden sein. Doch manches Mal kam ihr Bree so klein und der Gasthof so spießig vor. Sollte alles, was sie im Leben sah, eine Gaststube sein?
Wie gerne würde sie erst einmal etwas von der Welt sehen. Vielleicht nach Westen in das Auenland reisen, um mit eigenen Augen zu sehen, wo und wie die Hobbits dort lebten. Oder in den Osten, wo viele Elben leben sollten. Es sprach ja nichts dagegen, irgendwann wieder nach Hause zurück zu kehren. Und den Gasthof könnte sie auch dann noch übernehmen, wenn es denn unbedingt sein musste. Am allerliebsten wäre es ihr ja ohnehin, wenn ihre Eltern ganz einfach gesund und munter uralt würden und den Gasthof immer selbst weiterführen könnten.
Aber das Leben war nun einmal kein Wunschkonzert. So wirklich alt waren ihre Eltern ja noch nicht, aber Muriel machte sich in letzter Zeit öfters Sorgen um die Beiden. Irgendetwas schien sie zu bedrücken, und der Schatten, der auf ihren Seelen lag, wurde mit jeder Woche größer.
Angefangen hatte alles mit dem überraschenden Besuch von Gandalf dem grauen Wanderer vor zwei Monaten. An diesem Tag musste irgendetwas geschehen sein, was die beiden schwer bedrückte. Aber Muriel hatte bis zum heutigen Tage nichts aus ihnen herausbekommen. Sie wichen jeder Frage aus und wollten sie glauben machen, dass alles in bester Ordnung sei. Aber sie hörte ihren Vater kaum mehr mit den Gästen in der Gaststube lachen und die Mutter, die sonst in der Küche oft vor sich hin gesungen hatte, schwieg nun die meiste Zeit. Und oft, wenn Muriel in die Küche kam, wischte sie sich mit einem Schürzenzipfel über die Augen, obwohl sie in diesem Moment keine Zwiebeln schnitt.
Muriel schüttelte die trüben Gedanken ab. Sie hatte ihr schönstes Kleid angezogen und freute sich darauf, mit ihren Eltern in aller Ruhe ausgiebig zu frühstücken.
Schon im Treppenhaus duftete es nach frisch gebackenen Zimtschnecken. Muriel lächelte. Seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihre Mutter immer an ihrem Geburtstag zum Frühstück Zimtschnecken gemacht.
Fröhlich betrat sie die Küche. Ihre Mutter stand noch am Herd und brühte den Kaffee auf und ihr Vater saß schon am Frühstückstisch. Er erhob sich, als Muriel zur Tür hereinkam. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!" rief er drückte sie an sich. Auch ihre Mutter nahm sie in die Arme und gratulierte ihr: „Ich wünsche dir alles Gute, mein Kind!". Dann drehte sie sich schnell wieder zum Herd und machte sich an der Kaffeekanne zu schaffen. Muriel hätte schwören können, dass sie Tränen in den Augen ihrer Mutter gesehen hatte.
Hallo? Sie war nicht im Begriff zu sterben, sie wurde einfach nur erwachsen! Aber das war doch wohl kein Weltuntergang!
Sie schnappte sich eine Zimtschnecke und biss genüsslich hinein.
Ihre Eltern saßen schweigend am Tisch und ihnen schienen nicht einmal die Zimtschnecken zu schmecken. Sie starrten einfach nur vor sich hin auf den Tisch.
DU LIEST GERADE
Von Hoffnung, Angst und Liebe
أدب الهواةMuriel ist eine junge Frau, die im Städtchen Bree nahe der Grenze zum Auenland aufgewachsen ist. Sie führt ein ganz normales Leben und unterstützt ihre Eltern bei der täglichen Arbeit. Doch dann erfährt sie Dinge, die sie niemals für möglich gehalte...