Teil 5

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„Madame? Comment allez-vous?", fragt mich der Typ mit den blausten Augen der Welt. „Ich bin okay", antworte ich auf Französisch. Zum Glück hat Dad darauf bestanden, dass ich Französisch so gut lerne, dass ich es fliessend spreche. „Wirklich?", erkundigt sich der Typ und deutet auf meine Hände. Von dem Luftschacht her sind sie schmutzig und von meinem Sturz her bluten sie jetzt auch noch. „Es geht... und wenn ich sterbe macht es ja nichts. Ist dann nur weniger peinlich.", murmle ich auf Deutsch vor mich hin. Jetzt kann ich nämlich wieder richtige Gedanken fassen und mir wird schmerzhaft bewusst, dass ich gerade von der Decke her beinahe auf einen Typ gestürzt bin. Aus einem Luftschacht. „Antoine? Was zur Hölle war das für ein Lärm? Bist du...", ein dunkelhäutiger, sehr grosser Typ öffnet die Türe zu dem Raum, wo dieser Antoine und ich drin sind.

Der Typ steht jetzt mit offenem Mund an der Türe. „Was zur Hölle macht die Kleine in der Dusche?", fragt er auch auf Französisch. Dann sieht er wie dreckig ich bin, und dass das Gitter des Luftschachtes neben mir liegt. „Ist sie durch den Luftschacht in die Dusche eingestiegen?", stammelt er entsetzt. Antoine und der Typ sehen mich erwartungsvoll an. Vermutlich sollte ich ihnen wirklich erklären, wieso ich hier gelandet bin. In der verdammten Dusche. Ehrlich Schicksal?! Ich lande in der Männerdusche?! Ich mustere die Jungs noch mal. Anhand der dunkelblauen Shirts erkenne ich, das die Jungs zu dem Französischen Team gehören. Scheisse! Ich lande mitten in der Dusche unseres Konkurrenten?

„Ehm ja... das ist kompliziert. Also wieso ich hier gelandet bin.", stammle ich peinlich berührt. Antoine hebt eine Augenbraue und der andere Typ schliesst die Türe. Auf meinen beinahe panischen Blick hin erklärt er: „Nur damit die anderen nicht hineinkommen. Zu deinem Schutz." Ich nicke froh. „Bist du ein Fangirl?", fragt Antoine und mustert mich interessiert. Ich schüttle meinen Kopf. „Nein... ehm ich habe mich irgendwie verlaufen..." Der dunkelhäutige Typ, dessen Namen ich immer noch nicht weiss, grinst belustigt: „Und deshalb bist du durch den Lüftungsschacht in die Dusche geklettert?" Ich grinse leicht. „Naja. Irgendwie habe ich mich in einen Raum eingesperrt und ich habe mein Handy im Hotel gelassen. Ich musste da irgendwie raus!", erkläre ich. Antoine sieht mich mit einem verschmitzten Grinsen an.

„Glück im Unglück das du hier gelandet bist, stimmt's?" Ich lächle ihn schüchtern an. „Ich schätze schon." Der andere Typ grinst uns beide breit an. „Irgendwie kann ich die Story zwar nicht wirklich glauben, aber zum Glück ist ein hübsches Mädchen hier gelandet, richtig Grizou?", zwinkert er. Antoine oder Grizou oder wie auch immer, grinst breit zurück. Dann wendet er sich wieder an mich: „Von wo kommst du?" „Aus der Schweiz.", antworte ich und höre Nuria in Gedanken, wie sie mich fragt, welche Nummer die beiden Jungs auf der eins bis zehn Skala sind. Antoine mit den blauen Augen auf jeden Fall eine acht. Mindestens. „Stimmt! Ich hab' dich im Fernseher gesehen. Bist du nicht die Tochter des Torwarts? Yann Sommer?", fragt mich auf einmal der namenlose Typ.

Ich nicke und frage mich, wie ich wohl am besten hier fort komme. Jetzt wissen sie auch schon, wer ich bin, am Ende erpressen sie mich noch mit dieser peinlichen Story... „Eh ja, aber... ich sollte jetzt gehen", murmle ich und versuche so den Fragen, die Antoine und seinem Freund ins Gesicht geschrieben stehen, zu entkommen. Ich stehe auf und kämpfe gegen den Schmerz in meinem rechten Bein an. Auf diesem bin ich nämlich gelandet und es tut immer noch ziemlich weh. Vorsichtig belaste ich es und ich falle beinahe um, als der Schmerz einen Moment lang richtig schlimm wird. „Ahhhh", stosse ich hervor und Antoine, der bis eben noch neben mir gesessen hat, springt auf, um mich zu stützen.

„Geht's?", fragt er besorgt. Ich nicke mit zusammen gebissenen Zähnen, meine Flucht ist vergessen. „Sie sollte zum Arzt", meint Antoines Kollege. Antoine nickt, während ich ganz damit beschäftigt bin, nicht in Tränen auszubrechen. Die beiden stützen mich, und führen mich durch eine Verbindungstüre in eine Garderobe und von dort in einen Gang. Trotz ihrer Hilfe, bin ich unglaublich langsam. Im Gang bleibt Antoine stehen und schüttelt den Kopf. „So geht das nicht!", sagt er bestimmend. Ich und sein Freund sehen ihn an. „Was?", frage ich schliesslich. Als Antwort befinde ich mich auf einmal auf Antoines Rücken. Er hat mich einfach so Huckepack genommen! Echt jetzt, das geht doch nicht! Wir kennen uns gerade mal seit ein paar Minuten! Und ausserdem hasse ich das! „Lass mich runter!", fauche ich, aber Antoine trägt mich einfach den Gang entlang. Sein Freund mustert uns sichtbar belustigt. „Hör auf dich zu wehren, je schneller wir im Medizinraum sind, desto schneller können Pogba und ich zurück. Wir müssen schliesslich noch Fussballspielen.", sagt Antoine sanft. Ich bekomme allerdings sofort ein schlechtes Gewissen. „Lass mich runter, dann könnt ihr zurück. Ich weiss wie wichtig die Vorbereitungszeit ist.", versuche ich die beiden zu überreden. Tatsächlich weiss ich, wie wichtig diese Zeit ist. Wenn man völlig unvorbereitet startet, kann ein super Team an einem kleineren, schlechteren Team scheitern.

Pogba sieht Antoine zustimmend an. „Stimmt Grizou, wir sollten wirklich zurück. Der Trainer bringt uns um, wenn wir die letzte Besprechung verpassen."

Zögerlich lässt mich Antoine herunter und ich starre sofort auf meine Schuhe. Das Getragen-werden ist mir ziemlich peinlich. Aber noch viel peinlicher ist mir die ganze Geschichte, wie es dazu gekommen ist. „Na gut...", gibt Antoine nach. „Einfach immer geradeaus, dann kommst du zu dem Medizinraum. Etwas weiter ist dann die Treppe, zum Eingang. Du solltest dich nicht mehr verlaufen.", grinst er mich an. Ich fühle richtig, wie mein ganzes Gesicht rot anläuft. „Danke...", stammle ich etwas unbeholfen. Pogba zwinkert mir zu und ruft laut: „Man sieht sich", bevor er Antoine in die Richtung zurückzieht, aus der wir eben gekommen sind. Antoine ruft mir ebenfalls noch ein „Tschüss", zu, ehe sie um eine Ecke biegen.

Ich glaube ich täusche mich, aber ich habe das Gefühl, dass ich Antoine etwas sagen höre wie: „Man, hätten wir sie nicht dorthin begleiten können?" Aber da habe ich mich wohl getäuscht.

Mit schmerzverzehrtem Gesicht schleppe ich mich immer gerade aus, den Gang entlang und fühle mich auf einmal gar nicht mehr wie ein Agent. Mehr wie der Bösewicht, der von dem Guten zerstört worden ist. Kann nicht einmal etwas gut laufen? Hätte ich nicht in den Gang stürzen können, wo niemand je erfahren hätte, was passiert ist? Dann hätte ich allerdings die beiden nicht kennen gelernt... und Antoine, ich gebe zu, dass er der bestaussehendste Junge (oder Mann, wie man's nimmt) ist, denn ich je gesehen habe. Er schlägt um Längen jedes Model... ich unterbreche den Gedanken rasch. Er hat einer meiner peinlichsten Momente erlebt, was schon etwas heisst und da er weder Dad, Rico oder Nuria ist, muss ich ihn von jetzt an für immer meiden. Ich denke das wird auch ganz gut klappen. Die Chance, dass man einen Fussballspieler, von einem anderen Land, zweimal trifft, muss doch gering sein, oder?

Endlich habe ich das Ende des Ganges erreicht und stehe vor der Treppe. Am Medizinraum bin ich ohne weitere Gedanken vorbeigelaufen. Klar wäre es wohl besser, das Bein einem Arzt zu zeigen, aber hier würden die Leute bloß doofe Fragen stellen. Und das einzige, was ich momentan will, ist nach Hause und mich tot-schämen. Nicht ins Hotel, sondern nach Hause. Ich seufze und schleppe mich am Geländer die Treppe hoch. Alles an mir tut mir weh. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass ich mindestens drei Meter hinuntergestürzt bin. Es ist eher ein Wunder, dass ich mir nichts gebrochen habe.

Es sollte eigentlich nur ein normaler Abend werden, mit ein bisschen Fussball und so, und am Ende schleppe ich mich, bevor das Spiel angefangen hat, eine doofe Treppe hinauf. Auf das Spiel habe ich jetzt wirklich keine Lust mehr. Nachdem ich wieder im öffentlichen Teil des Stadions angelangt bin, versuche ich mich unauffälliger zu bewegen. Das heisst, ich versuche weniger zu humpeln und zu hoffen, dass niemand mich erkennt.

Irgendwie schaffe ich es, aus dem Stadion zu kommen, auch wenn ich ziemlich seltsam angestarrt werde und ich kaum einen Schritt gehen kann, ohne nicht das Gesicht vor Schmerzen zu verziehen. Aber irgendwie geht es und ich rufe mir ein Taxi. Zurück zum Hotel zu laufen ist für mich undenkbar. Nicht so. Im Hotel schleppe ich mich zur Rezeption und nutze meinen <verdienten> Status, damit der Rezeptionist auf Dads Zimmer anruft.

„Jelsa?", höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und stehe Granii, Rico, Breel und Shaq gegenüber. „Hii", begrüsse ich sie gequält. „Was ist denn mit dir passiert?", fragt Breel mich entsetzt. „Lange Geschichte.", seufze ich. Shaq mustert mich genau wie die anderen von Oben bis Unten. Dann fragt er verwirrt: „Wolltest du nicht das Spiel ansehen? Im Stadion?" Ich verziehe mein Gesicht zustimmen."Es ist was dazwischen gekommen...", erkläre ich. Die Jungs sehen mich verwirrt an, aber da ist Dad schon da. „Jelsa, Prinzessin, was ist passiert?", will Dad wissen. „Bist du überfallen worden?", ruft er entsetzt. Ich schüttle meinen Kopf. „Nein... ziemlich peinliche Story, Leute. Kann ich einfach bitte ins Zimmer? Und sterben gehen, oder so?", bitte ich verzweifelt. Sie sehen mich alle noch verwirrter an. Dad sagt dann als erster wieder etwas: „Ja, klar. Brauchst du den Artzt? Du siehst... verletzt aus.", redet er sich raus. Ich nicke müde. „Keine schlechte Idee.", murmle ich. Dad legt einen Arm um meine Hüfte und schiebt mich Richtung Lift. Ich humple langsam los und versuche Dads fragendem Blick auszuweichen. „Soll ich dich tragen?", fragt er schliesslich. Und weil ich einfach müde und fertig bin, nicke ich. Dad hebt mich hoch und trägt mich in den Lift. So erschöpft wie ich von diesen letzten zwei Tagen bin, schlafe ich beinahe sofort in Dads Armen ein.


A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt