Teil 45

1.9K 97 24
                                    

Antoines Sicht:

Einen kurzen Moment lang stehe ich wie erstarrt und versuche zu fassen, was hier gerade passiert. Ich frage mich sogar, ob ich jetzt Einbildungen haben. Aber auch nach zweimal blinzeln ist das Mädchen mit den braunen, zerwuschelten Haaren, dreckigen Kleider und einer dicken Schramme im Gesicht, nicht verschwunden. Obwohl sie anders aussieht, als noch vor drei Wochen, erkenne ich sie sofort. Insbesondere an ihren leuchtend grünen Augen.

Mein Körper reagiert schliesslich, bevor es mein Verstand kann und ich ziehe Jelsa in meine Arme. Fest an mich gedrückt, halte ich sie und mein Herz pocht etwa zehn Mal so schnell wie sonst. Ich drücke mein Gesicht an ihren Nacken, halte sie so fest ich nur kann. Auch sie klammert sich an mich, ich fühle ihre Arme an meiner Hüfte. Ihren Kopf hat sie an meiner Brust vergraben. Bevor ich auch nur ein Wort in meinem Verstand formulieren kann, das ich sagen will, flüstert das Mädchen in meinen Armen: «Es tut mir so leid.» Ich drücke sie noch stärker an mich, auch wenn das unmöglich scheint. «Mir auch.», hauche ich in ihr Ohr. Alle Sorgen der letzten Wochen fallen von mir ab, weil ich sie endlich in meinen Armen halten kann. Und es scheint ihr gut zu gehen.

«Jelsa?», fragt jetzt eine Stimme hinter ihr. Sie hebt ihren Kopf, genau wie ich, und wir sehen beide zu Pogba. Ihn und die anderen habe ich total vergessen. «Wo zur Hölle warst du?», will er wissen, und schaut sie besorgt, aber auch etwas sauer an. Ich sehe zu ihr hinunter, die Frage interessiert mich ebenfalls brennend. «Lange Geschichte Pog.», murmelt sie und wirft ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. Dann sieht sie zu mir hoch. «Kann ich... vielleicht kurz mit dir alleine reden? Oder erst nach dem Spiel?», erkundigt sie sich etwas nervös.

Ich werfe einen kurzen Blick zu Coach D., der mir mit einem Kopfnicken bestätigt, dass wir kurz miteinander reden können. Das Spiel habe ich für einen Augenblick total vergessen. «Los, gehen wir.», murmle ich, nehme etwas zögerlich ihre Hand und wir gehen in den nächsten Raum. Die Duschen. Ich sehe ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht auftauchen, als sie einen kurzen Blick hoch zur Decke wirft, wo sich mittlerweile ein neues Gitter befindet. Auch ich kann nicht anders als über die Erinnerung, die hochkommt, zu schmunzeln. Aber dann sehe ich Jelsas Gesicht, das wieder ernst wird.


Jelsas Sicht:

Ich muss es ihm sagen. Alles, weswegen ich hier bin. Ich sehe kurz zu unseren Händen hinunter, die sich noch immer halten. Deswegen bin ich so froh und so erleichtert, dass ich den Mut fasse und anfange zu reden.

«Es tut mir so leid, Antoine. So verdammt leid.», sage ich leise, meine Stimme tonlos, aber unglaublich entschuldigend. Er öffnet seinen Mund um etwas zu sagen, aber ich unterbreche ihn, bevor er anfangen kann. «Nein, bitte hör mir zuerst zu.» Antoine schliesst seinen Mund und gibt mir mit einem Nicken zu verstehen, dass er mich ausreden lässt.

«Als ich nach dem Streit mit Dad zu dir gekommen bin, war ich so sauer. Nicht auf dich, sondern auf ihn. Es war mein erster grosser Streit mit ihm... und ich habe mich so seltsam gefühlt.» Ich überlege einen Moment, wie ich es beschreiben soll. «Ich hatte Angst, war so sauer, es tat mir leid, ich fühle mich so alleine und ich bin einfach wie ein kleines Kind behandelt worden. Es war nicht dein Fehler, dass wir uns ebenfalls gestritten haben, wie ich zuerst dachte. Wir sind beide daran schuld. Ich habe deine Worte einfach falsch aufgeschnappt und war zweimal so verletzt wie ich es sonst gewesen wäre. Deshalb bin ich so ausgeflippt.» Ich hole tief Luft, meine Kehle ist wie zugeschnürt.

«Du hast keine Ahnung, wie leid es mir tut, Antoine. Ich habe es nicht richtig verstanden, bis ich dein Interview im Fernseher gesehen habe. Und bis Nuria und Josh es mir klar gemacht haben.» Ich spüre wie Tränen hinter meinen Augenlider brennen. Ich will nichts mehr, als ihm verständlich zu machen, wie unglaublich leid es mir tut. Und ich wünsche mir nichts mehr, als ihn zu Umarmen und die Zeit zurück zudrehen. Ein letztes: «Es tut mir so verdammt leid, Toni.», flüstere ich, bevor meine Stimme versagt.

A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt