Teil 59

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Auf dem Weg zum Krankenhaus schweigt Toni. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und umklammere die Sicherheitsgurte, als wäre sie mein Rettungsring, während ich am Ertrinken bin. Und gewissermassen fühle ich mich auch so. Ich will nicht in dieser Situation sein, keine Ahnung haben, was los ist und wie es jetzt weitergehen soll. Im Nachhinein wird mir klar, dass ich fast gehofft habe, schwanger zu sein. Dann wüsste ich was los ist. Jetzt habe ich aber Angst, dass sonst etwas nicht mit mir stimmen könnte.

Vielleicht übertreibe ich es einfach, interpretiere zu viel hinein. Aber wenn man seine eigene Mutter durch Krebs verloren hat, dann wird man vorsichtig. Man lernt auf den Körper zu hören und Anzeichen zu bemerken. Auch wenn ich diese Tatsachen immer zu verdrängen versucht habe, habe ich doch immer daran gedacht und versucht auf mich aufzupassen.

Ich hebe einen Moment lang meinen Kopf, sehe zu Toni, dessen Gesicht keine einzige Regung zeigt. Seine Hände umklammern das Lenkrad, aber ansonsten zeigt er keine Reaktion. Nachdem wir die Testergebnisse erfahren haben und Maud die beängstigende neue Tatsache laut ausgesprochen hat, befahl Toni mir, mich ins Auto zu setzten. Er hat sich kurzerhand das Mietauto von Maud ausgeliehen, obwohl diese jetzt gerade auf dem Rücksitz sitzt und nervös auf ihrem Handy herumdrückt. Er hat nichts Weiteres zu uns gesagt, als dass wir jetzt zum Krankenhaus fahren.

Ich weiss, dass er mich wohl nur kurz abladen wird, weil er zum Flughafen muss. Und ich bin auch froh. Dann muss ich nicht mehr diesen ausdruckslosen Gesichtsausdruck sehen. Dieser verunsichert mich so sehr, dass ich kaum stillsitzen kann.

«Wir sind da.», stellt Toni fest, sobald er das Auto auf einem der Parkplätze neben dem nächsten Krankenhaus hält. Es ist dasselbe, in dem Paul auch war. Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel zu Maud. Sie wirft mir einen aufmunternden Blick zu, ehe sie rasch aussteigt. Sobald die Türe zufällt, drehe ich mich zu Toni.

«Wirst du...» Ich schaffe es gar nicht, den Satz zu beenden. «Ich komme noch mit rein. Dann nehme ich ein Taxi zum Flughafen.», meint er. Seine Stimme ist so trocken und sachlich, dass es mir ganz kalt wird. Ich hätte irgendeine Reaktion von ihm erwartet. Dass er wütend ist, mich anschreit, oder auch verständnisvoll ist. Das hätte ich mir so sehr gewünscht. Aber diesen kalten, reglosen, fremden Toni verunsichert mich noch einmal mehr. Ja, es verletzt mich sogar.

Toni stösst die Autotür auf und steigt rasch aus, ehe ich etwas erwidern kann. Ich stosse einen winzigen traurigen Seufzer aus, aber mehr Selbstmitleid erlaube ich mir nicht. Es gibt jetzt wichtigeres, auf das ich mich konzentrieren sollte. Versuche ich mir zumindest einzureden.

Ich öffne ebenfalls meine Türe. Gerade als ich mich daranmache, auszusteigen, steht Toni neben mir, ergreift meine Hand und hilft mir beim Aussteigen. Seine Berührung jagt einen kleinen Schauer durch meinen Körper, daran hat sich nichts geändert. Nur scheint Toni ihn dieses Mal nicht zu spüren, oder ihn komplett zu ignorieren. Sobald ich stehe, nimmt er seine Hand aus meiner, und stütz jetzt nur noch meinen Rücken. Mit gesenktem Kopf gehen wir alle langsam auf den Eingang des Krankenhauses zu. Maud geht auf meiner anderen Seite, ihre Anwesenheit ist eine grosse Unterstützung für mich. Ich wünschte nur, Nuria könnte jetzt ebenfalls hier sein. Sie würde irgendwas Lustiges sagen und damit die Lage entschärfen.

So aber gehen wir still ins Krankenhaus. Am Eingang halten wir in Richtung der Rezeption, wo etwa fünf Personen anstehen. Toni wirft einen kurzen Blick auf seine Uhr. Ich kann erkennen, dass er schon lange auf dem Weg zum Flughafen sein sollte. Auch Maud scheint es zu bemerken. «Ich stehe sonst für Jelsa an. Wie wäre es, wenn ihr kurz miteinander redet?», meint sie sanft.

A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt