Teil 4

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Am Morgen wache ich um sechs Uhr auf... um sechs Uhr! Ich glaube, irgendeine höhere Macht hasst mich. Stöhnend vergrabe ich mein Gesicht im Kissen und versuche weiter zu schlafen, aber das geht leider nicht, weil mein Dad ausgerechnet um sechs Uhr früh duschen muss. Und dabei total schief Skyfall singen muss. Echt jetzt, dass kann man doch niemandem antun! Endlich weiss Dad den Text nicht mehr, und hört auf. Wurde auch mal Zeit.

Dabei konnte ich gestern schon fast nicht mehr einschlafen, weil ständig das Bild einer riesigen, fetten und sehr haarigen Spinne und einem Marder-Bär die mich verfolgten, in meinem Kopf rumgeisterten. Nach der Spinnenpanne und meiner Blamage im Esszimmer habe ich beschlossen, in Dads Zimmer zu ziehen. Ich bereue es richtig, dass ich nicht schon früher nachgeben konnte. Dad war ziemlich begeistert über meine Idee, so kann er mich noch besser im Auge behalten. Am liebsten wäre ich zwar in ein anderes Hotel gegangen, aber dass liess Dad nicht zu. Etwas Gutes hatten die ganzen Sachen gestern jedoch: Dem Hotelchef und dem Personal ist es total peinlich, dass mir so viel Schlimmes hier passiert ist, sodass ich jetzt die ganze Zeit Extras bekomme. Gestern wollten sie mir sogar einen Drink spendieren, aber auf Dads Blick hin, haben sie es nicht getan.

Aber jetzt kann ich mir praktisch alles erlauben, also ist es egal was für peinliche Dinge ich noch anstelle, oder wie viele Gläser ich noch fallen lasse. (Das passiert mir leider öfters...) „Jelsa, ich weiss das du wach bist!", meint Dad und zieht mir die Decke weg. Ich knurre laut. „Gib. Mir. Sofort. Wieder. Die. Decke. Zurück." Dad lacht laut. „Hol sie dir doch!" Stöhnend setze ich mich auf. „Es holt mich wohl eher zuerst eine Spinne.", brumme ich schlecht gelaunt. Dad verkneift sich sichtlich amüsiert ein Grinsen. „Oder ein Marder.", murmelt er. „Oder dieser verfluchte Marderbär.", stimme ich wütend zu. „Ich kille dieses Tier!" Dad grinst mich an. „Ich würde aufpassen Jel, vielleicht ist es ein ganz seltenes Exemplar und du wirst von Tierschützern angeklagt." Ich verdrehe die Augen. „Bei meinem Glück könnte das gut passieren.", meine ich müde. Dad lacht meint: „Sicher ein spezieller und seltener Russischer-Hotelraum-Marder-Bär." Ich muss ein bisschen grinsen, versuche es mir aber nicht anmerken zu lassen. „Haha, wirklich sehr lustig."

„Was machst du heute, Jel?", erkundigt sich Dad, als ich aufgestanden und mich angezogen habe. „Keine Ahnung. Wer spielt heute Abend?", frage ich zurück. Vom Spielplan habe ich absolut keine Ahnung, aber Dad und die anderen sind praktisch wandelnde Spielpläne. „Heute spielt Ungarn gegen Island. Und hier im Stadion spielt Frankreich gegen Albanien", antwortet er. Ich verziehe mein Gesicht. „Da kenn ich ja keinen...", seufze ich. „Ich denke ich werde lesen und nichts machen.", stelle ich dann fest. Dad schüttelt den Kopf. „Du kannst nicht immer nur lesen, Jel! Wieso kommst du nicht mit Fussballspielen? Du kannst bei uns im Training mitmachen. Der Trainer liebt dich!" Aber ich zucke nur mit meinen Schultern. „Ich habe keine Lust, mit euch zu trainieren, das ist viel zu anstrengend und ernst." Dad lächelt: „Du kannst immer noch auf das Angebot zurückgreifen, wenn du willst. Aber bitte mach sonst noch irgendwas." Ich verdrehe meine Augen. „Jaja Dad. Solltest du nicht mal langsam gehen?", frage ich dann und deute auf die Uhr. Dad reisst die Augen auf, schnappt sich seine Fussballschuhe und die Tasche, drückt mir rasch einen Kuss auf die Stirne und verschwindet mit den Worten: „Hab dich lieb, Prinzessin!"

Ich überlege kurz, ob ich Nuria anrufen soll, da aber bei uns erst kurz nach sechs Uhr ist, wird sie ganz sicher noch nicht auf sein. Deshalb nehme ich mir eines der vielen Bücher, die ich mitgenommen habe und fange an zu lesen.

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Gegen Abend habe ich dann beschlossen, dass ich doch noch irgendetwas unternehmen muss. Und nach langen Abwägen (und Nurias Befehl: Wenn du die Chance hast gratis oberkörperfreie, muskulöse Jungs zu sehen, dann geh!) lasse ich mir einen Platz im Stadion buchen. Frankreich gegen was nochmal? Egal, denn zum Stadion darf ich sogar ohne Dads Aufsicht. Oder besser gesagt, Dad will nicht kommen, weil es sonst aussehen würde, als ob er ein anderes Team anfeuert. Und ausserdem gibt es im Stadion gutes, billiges Essen.

In einem stinknormalen Pullover, einer Jeans und Turnschuhen laufe ich zu meinem Platz im Stadion. Ich bin allerdings viel zu früh da, deshalb beschliesse ich, mir noch Popcorn oder etwas anderes zum Essen zu besorgen. Ich frage einen Typ nach dem Weg, aber irgendwie reden wir beide aneinander vorbei, weil er Russisch spricht, und sein Englisch auf wenige Worte beschränkt ist. Aber er deutet die ganze Zeit auf eine Treppe, also beschliesse ich, dort hinunter zu gehen. Kann ja nur schief gehen... Ich bin mit Dad ja schon öfters in Stadien gewesen, aber immer in Begleitung und die Leute haben mir gebracht, was ich wollte. Okay, jetzt höre ich mich ein bisschen wie ein verwöhntes, reiches Kind an. Aber ja.

Heute bin ich im Gegensatz zu sonst ganz alleine, und dementsprechend hilflos. Irgendwann, habe ich schliesslich endgültig die Orientierung verloren und stehe hilflos und verloren in einem langen Gang. „Scheisse!", fluche ich leise. Wohin soll ich nur gehen? Kurzerhand biege ich in den nächsten Gang ein, und versuche eine Tür zu öffnen. Zu. Also versuche ich es bei der nächsten und übernächsten. Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich Glück, eine Tür lässt sich öffnen. Voller neuer Hoffnung betrete ich den Raum und sehe mich um. Ein Raum mit diversen Geräten und mehreren älteren Fussbällen. Sonst nichts. Hinter mir geht die Türe zu. Ich verdrehe die Augen und will den Raum wieder verlassen, als ich auf ein neues Problem stosse. Die Tür geht nicht auf. Egal wie fest ich an der Tür rüttle, sie bleibt geschlossen. „Das darf jetzt echt nicht sein...", stöhne ich und lasse mich auf den Boden fallen. „Hier wird mich nie jemand finden!", murmle ich.

Mein Handy habe ich nämlich im Hotel gelassen, weil es kein Akku mehr hatte, nach einem dreistündigen Gespräch mit Nuria. Dann fällt mir auf einmal die kleine Türe in der Ecke auf. Aber ihr dürft dreimal raten, wie viel Glück ich habe... Genau, die Türe ist abgeschlossen! Weil ich wütend bin, trette ich gegen die Türe und hüpfe in der nächsten Sekunde fluchend auf einem Fuss herum. Wieso tut das nur so weh? Während ich also mit höllischen Schmerzen auf und ab hüpfe, denke ich daran, dass das hier vielleicht der letzte Ort ist, den ich je sehen werde. Wahrscheinlich werden sie mich suchen und nie finden. Und wenn sie mich finden, dann wird wahrscheinlich nur noch ein Skelett von mir übrig sein.

Ich seufze leise. Armer Dad. Dabei fällt mir der Lüftungsschacht in der Decke auf und ich bekomme einen Geistesblitz. Okay, vielleicht habe ich auch einfach zu viele Bücher glesen. Dennoch muss ich es versuchen. Ich suche also alle Geräte zusammen, die ich aufeinander stapeln kann. Mit einiger Mühe klettere ich hinauf. Ich erreiche die Decke gerade so und versuche das Gitter hinaus zu schlagen. Nach einiger Zeit funktioniert es sogar, auch wenn es auf meinen Kopf fällt und ich beinahe herunterfalle. Mit aller Kraft kann ich mich hinaufziehen, wobei das Metall in meine Hände schneidet. Zum ersten Mal danke ich meinem Trainer, der mich dazu zwingt, jedes Mal einige Klemmzüge zu machen.

In dem Lüftungsschacht ist gerade knapp Platz für mich. Auf allen vieren krieche ich los, auch wenn ich nichts sehen kann, da es ganz dunkel ist. Ich glaube, ich komme nur ganz langsam voran, aber das kann ich nicht wirklich einschätzen. In Gedanken überlege ich mir, wie ich die Story am spannendsten erzählen soll. Am besten ich erzähle es wie eine Agentenstory, wie ich heldenhaft in den Lüftungsschacht geklettert bin und so. Bei den Gedanken, wie cool das meine Freunde finden werden, grinse ich.

Dann, völlig ohne Vorwarnung, verschwindet der Boden plötzlich unter mir, und ich stürze.

„Madame?", höre ich eine Stimme, während ich dass Gefühl habe, ich hätte mir jeden Knochen gebrochen. „Auuuu", stöhne ich nur. Dann öffne ich vorsichtig meine Augenlieder und sehe in die schönsten Augen, die ich je gesehen habe.


A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt