Teil 43

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«Da hinten ist sie!», schreit einer der Typen auf Russisch. Jedenfalls denke ich das es das heisst. In der letzten Woche habe ich einiges an Russisch aufgeschnappt. letztlich geben mir diese Worte einen schönen Kick und ich renne so schnell ich kann von meiner vorherigen Position, wo ich mich eine halbe Minute erholt habe, in Richtung der Stadtmitte. Während ich den Menschen auf dem Trottoir ausweiche, suche ich hektisch nach dem Wegweiser, der mich zum Bahnhof führt. Ich höre die Männer, die hinter mir her sind etwas schreien.

Sie versuchen mich einzuholen, aber in der dichten Menschenmenge haben sie fast keine Chance. Dann endlich sehe ich das bekannte Schild und biege sofort nach rechts ab. Ich erkenne sofort, dass der Bahnhof noch ausser Sichtweite ist und ich noch gut einen halben Kilometer hätte rennen müssen, deshalb entscheide ich mich kurzfristig um. Meine Verfolger, die wohl ahnen, dass mein eigentliches Ziel der Bahnhof war, scheinen Mut zufassen und schneller zu rennen, weshalb ich kurzerhand meine Instinkte übernehmen lassen. In der letzten Woche habe ich gelernt, dass diese ausgeprägter sind als ich dachte und sie haben mich bis jetzt «überleben» lassen.

Gedankenlos schwenke ich deshalb vom Fussgängerweg ab, springe auf die mehrspurige, befahrene Strasse. Wie in einem Actionfilm höre ich Bremsen quietschen und Leute empört und entsetzt schreien und hupen. Aber ich kümmere mich nicht darum. So schnell ich nur kann sprinte ich zu dem U-Bahn Eingang, den ich eben entdeckt habe. Ich fühle mein Herz gegen meine Rippen hämmern, als ich die Stufen mehr hinab fliege und stolpere, als zu laufen. Menschen weichen mir fluchend aus, aber ich höre nur die Schritte meiner Verfolger hinter mir. Zum Glück habe ich schon heute Morgen gesehen, dass die Hauptstadt Russlands ein grosses unterirdisches U-Bahnnetz hat.

Ohne auch nur einen Gedanken an mein fehlendes Ticket zu verschwenden, renne ich in die Richtung, wo ich andere Menschen hinrennen sehe. Da muss eine abfahrende Metro sein. Die Männer hinter mir rufen laute Worte, versuchen andere Leute auf mich aufmerksam zu machen, aber sie haben fast keine Chance. Ich renne eine weitere, etwas kürzere Treppe hinunter zu einem der Gleise, wo ein langer U-Bahnwagen steht.

Leute drücken sich hinein und ich weiss das die Bahn in wenigen Sekunden wegfahren wird. Mit letzter Kraft springe ich hinein, drehe mich um, um mit zu verfolgen, wie die Männer, die hinter mir her sind, die Treppen hinunter laufen und auf mich zeigen. Dann endlich, wie im Schneckentempo, schliessen sich die U-Bahntüren. Keuchend lehne ich mich gegen die Türe, spüre die fragenden und misstrauischen Blicke der anderen Fahrgäste auf mir, die die Russischen Worte wohl verstanden haben. Aber niemand macht sich die Mühe, mich festzuhalten, oder etwas zu fragen.

Also werfe ich einen raschen Blick auf die Anzeigetafel, um zu sehen, wohin es geht. Zu meinem unfassbaren Glück, ist der nächste Halt der Bahnhof, was ich natürlich sofort als meine Chance betrachte. Ich muss aus Moskau hinaus und endlich zur Stadt Samara, wo sich Antoine laut den Medien momentan befindet. Und ich hoffe sehr, dass ich nie mehr hier hin zurückmuss. Wenn ich es sogar ohne irgendwelche Umstände schaffe, diese verfluchte Stadt zu verlassen, komme ich vielleicht vor ihrem nächsten Spiel morgen an. Ich seufze bei den Gedanken an Toni und meine Familie. Ich frage mich, wie sauer Dad sein wird, wenn er irgendwie von dem Geschehen hier erfährt. Bevor ich den Gedanken weiterdenken kann, halten wir schon bei der nächsten Station. Ich bin froh, dass es jetzt wichtigeres gibt, an das ich jetzt gerade denken muss, so dass ich mir nicht noch mehr Sorgen machen muss. Zuerst muss ich hier mal mein Arsch aus der Scheisse reiten, wenn ich das so sagen darf.

Ich hole noch einmal tief Luft und verlasse mit etwa zwei Duzend Menschen die U-Bahn. Den Kopf gesenkt, folge ich der Menschenmenge die Treppe hinauf, verhalte mich so unauffällig wie es nur geht. Klar weiss ich, dass ich auffalle, mit meinem momentanen Aussehen, aber mich beruhigt es zu wissen, dass mich niemand als Yann Sommers Tochter erkennen wird. Sogar Nuria würde mich wohl jetzt nicht erkennen. Ich grinse leicht bei dem Gedanken und betrete dann durch eine Treppe den riesigen Bahnhof von Moskau. Unzählige Menschen sind hier drinnen, hasten zu ihren Zügen oder Terminen, Durchsagen um Durchsagen dröhnen durch die Mikrophone und Züge fahren in den Bahnhof hinein oder verlassen ihn. Ich finde schnell die riesige Anzeigetafel und orientiere mich. Nach guten drei Minuten, in denen ich versucht habe, mich nicht zu sehr anzuspannen, finde ich dann auch einen Zug, der zu meinem Ziel fährt.

A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt