Teil 46

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Mit gemischten Gefühlen verfolge ich die zweite Halbzeit im VIP-Bereich des Stadions. Ich bin ziemlich abgelenkt, aber nach dem was eben alles passiert ist, ist das wohl verständlich. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich an seine Worte denken. Sie bedeuten mir so viel. Genau wie er. Und ich bin so glücklich, dass diese Zeit vorbei ist. Dass wir wieder zusammen sind. Aber irgendwie habe ich auch Angst davor was jetzt alles passieren wird. Ich fürchte mich, dass Toni mich doch wieder verlässt, weil ich nicht gut genug für ihn bin. Weil ich nur ein Bruchteil von dem bin, was er verdient.


Ich lasse meine Augen über das Spielfeld gleiten, wo sich Männer in roten und blauen Trikots um einen Ball streiten. Ich schnaube bei diesen Gedanken. Eigentlich ist das was Fussball bedeutet recht lächerlich. Aber das Ganze rundherum macht es so bedeutungsvoll. Die Fans, die Stimmung, das Talent, welches dabei gezeigt wird. Einen kurzen Moment denke ich zurück an mein Team in Deutschland, das jetzt sicher gerade in unserem Lieblingsrestaurant sitzt und den Match schaut. Ich bin mir sicher, dass die Jungs die Schweiz unterstützten. Mit den Gedanken an die Jungs von meinem Team wird mir auch bewusst, wie sehr ich es selber vermisse zu spielen. Das letzte Mal, als ich richtig gespielt habe, war das eine Training mit Dad, Roman und Marvin. Und natürlich das eine Mal mit Toni. Ich glaube das Video gibt es noch immer auf seiner Instagram-Seite.


Mein Blick fällt auf eine bestimmte Person, in einem blauen Trikot, die gerade den Ball erobert hat. Die Nummer sieben gibt den Ball ab, aber mein Blick bleibt trotzdem auf ihm liegen. Im Vergleich zu vielen Paaren sind wir noch nicht lange zusammen und wir kennen uns eigentlich auch nicht extrem gut, aber ich fühle mich trotzdem unfassbar mit ihm verbunden, wie noch mit keinem Jungen zuvor. Antoine hat mein Herz erobert und es wird ihm immer gehören. Vielleicht weiss ich nicht, wie seine Cousins heissen, wo er früher zur Schule gegangen ist, wo er am liebsten Fussball spielt, oder wann er gewöhnlich schlafen geht. Aber ich kenne dafür sein Herz besser als mein eigenes. Und ich bin mir sicher, dass das das Wichtigste ist. Erneut taucht ein winziges Lächeln auf meinem Gesicht auf, das dieses Mal nicht verschwindet. Ich verfolge das Spiel und denke über all das dahinter nach. Wer diese Personen sind, wie ich zu ihnen stehe. Was jetzt dann alles passieren wird oder kann. Ich beobachte Dad, wie er im Tor steht, bereit jederzeit den Ball zu fangen, seinen Kasten sauber zu halten. Ich denke mit einem leicht schlechten Gewissen daran, wie er immer noch denkt, dass ich in Finnland bin. Denn ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass mich Nuria gedeckt hat. Und falls Dad Bescheid wüsste, hätte ich das schon längstens gemerkt.


Dann sehe ich zu Rico, Granit, Fabian und all den anderen. Ich denke mit einem kleinen Lächeln an all das zurück, was wir zusammen erlebt haben. Ich wünsche mir so sehr, dass sie heute gewinnen. Aber die Statistik sagt da etwas Anderes. Nach wie vor steht es eins zu null für Frankreich. Und egal wie sehr beide Seiten versuchen den Spielstand zu ihren Gunsten zu ändern, jedes Mal wird es verhindert. Dad und Lloris leisten beide saubere Arbeit, lassen keinen Ball an ihnen vorbei. Und die anderen Bälle werden entweder neben dem Tor vorbei geleitet, oder treffen den Pfosten. Das kann einen beinahe wahnsinnig werden lassen.


Und schliesslich, nach qualhaften 92 Minuten ist das Spiel zu ende. Die Schweiz verliert und muss somit nach Hause fahren. Während die Spieler in den roten Trikots niedergeschlagen auf dem Rasen sitzen und sich gegenseitig trösten, sehe ich die Franzosen jubeln und sich freuen. Und auch wenn mein Team draussen ist, auch wenn ich dadurch auch etwas niedergeschlagen bin, bin ich doch glücklicher als ich es sein sollte. Und ich schätze der Grund ist der wunderschönste und tollste Mensch auf dieser Erde.


Langsam leert sich das Stadion. Kurz sehe ich Leo und Sofia zusammen mit anderen Schweizer WAGs, aber sie verschwinden schnell in der Menschenmenge. Sie werden heute wohl versuchen die Jungs aufzuheitern und sie zu trösten. Ich fühle einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil ich auch für Dad da sein sollte, aber ich verdränge es schnell und erhebe mich von meinem Platz.

A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt