Teil 54

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Robert Charles beugt sich über mich und leuchtet mir mit einem kleinen Lämpchen in die Augen. Ich blinzle heftig unter dem hellen Licht. Auch nachdem er das Lämpchen abgedreht hat, sehe ich noch Flecken.

«Steh einmal auf.», befiehlt mir der Arzt und ich erhebe mich von dem Stuhl. Er zeigt mir ein paar Übungen, die ich unter seiner Beobachtung machen muss und schreibt zwischen durch ein paar Notizen auf einen Block. Ich versuche einen Blick darauf zu erhaschen, aber er hält ihn so geschickt, dass ich kein Wort entziffern kann. «Leg dich bitte noch einmal hin», bittet er mich, sobald er den Stift abgelegt hat. Ich lege mich auf die Liege, wo gewöhnlicher Weise nur Fussballer liegen. Aber für mich hat Robert Charles eine Ausnahme gemacht. Keine Ahnung wieso.

Der Mannschaftsarzt nimmt sein Stethoskop und bedeutet mir, mein T-Shirt hochzuziehen. Etwas peinlich gerührt hebe ich dieses an, sodass er einen guten Blick auf meinen knallpinken BH erwischt. Aber er scheint die Tatsache, wie lächerlich dieser aussieht und wie unwohl ich mich fühle, sehr gut zu ignorieren, denn er drückt ohne jede Bemerkung das untere Metallteil des Stethoskops auf verschiedene Punkte meines Oberköpers und lauscht.

Während er mich konzentriert untersucht, muss ich sowohl meine Müdigkeit, als auch meine Übelkeit unterdrücken. Das zweite ist auch der Grund für diese Untersuchung. Denn heute Morgen ist es mir genau gleich ergangen wie gestern, weshalb mich Toni besorgt bei ihm abgeliefert hat und nur nach langem Überreden zum Training gegangen ist. Er wollte mich einfach nicht alleine lassen. Ich finde es ja wirklich süss von ihm, aber mir geht es gut. Dieses Mal waren es ziemlich sicher nur die vielen Süssigkeiten, die mir die Übelkeit beschert haben. Theo war es gestern Abend auch ganz schlecht.

«So, das hätten wir.», unterbricht Rob meine Gedanken. Er reisst das Notizblatt vom Block und legt es in ein dünnes Mäppchen. «Die Süssigkeiten von gestern?», frage ich ihn. Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. «Das wäre möglich, aber ich habe einen anderen Verdacht.» Ich sehe ihn verwirrt an. «Was denn?» Rob setzt sich neben mir auf den Stuhl. «Hattest du in letzter Zeit Geschlechtsverkehr?» Ich bin einen Moment lang überfordert von der Direktheit. «Ich…ja.», stammle ich. Rob sieht mich mit ausdrucksvollem Gesichtsausdruck an, und mir geht auf, was er damit sagen will.

«Du meinst… ich bin schwanger?!», stosse ich überrascht vor. Rob zuckt mit den Schultern. «Solange du kein Test gemacht hast, kann ich dir das nicht bestätigen, aber die Vermutung ist sehr gross.» Ich sehe ihn an. «Nein, ich bin nicht schwanger.» Und davon bin ich mehr als nur überzeugt. Ich KANN nicht schwanger sein. Nicht nur, weil ich nicht will… und so, sondern weil es nicht möglich ist. «Toni und ich haben immer verhütet. Immer.»

Rob sieht mich bedauernd an. «Kondome sind kein 100 Prozentiger Schutz.» Ich schüttle noch härter meinen Kopf. «Ich nehme aber noch die Pille. Zusätzlich.» Rob verzieht sein Gesicht. «Dann wäre es wirklich äusserstes Pech. Aber manchmal kann beides versagen. Vielleicht ist ja das Datum bei den Pillen abgelaufen.» «Nein.», ich runzle die Stirne, «die habe ich gerade erst gekauft. Ich nehme sie noch nicht so lange.»

Er zuck erneut mit den Schultern. «Dieses Gebiet ist nicht mein Spezialgebiet, Jelsa. Und ich kann und will dir jetzt nicht sagen, woran es liegen könnte, oder ob du wirklich schwanger bist. Alles deutet darauf hin. Auch deine Hämoglobin- und Hämatokrit-Werte sind äusserst niedrig. Ich empfehle dir wirklich, einen Schwangerschaftstest zu machen, oder eine Frauenärztin aufzusuchen.» Er wühlt in seiner Tasche, bis er einen kleinen Zettel gefunden hat. Die Visitenkarte drückt er mir in die Finger. «Ich kenne Doktor Iwanow persönlich. Sie ist sehr nett und wird dir in jedem Fall helfen können. Sie kann dir auch Ratschläge geben, wie du es… Antoine und… den anderen sagen kannst, falls sich der Verdacht bestätigt.»

Ich starre das weisse Papier mit der schwarzen Schrift ungläubig an. «Ich weiss, das ist jetzt sehr viel auf einmal, aber du schaffst das, Jelsa.» Rob steht auf, klopft mir sanft mit einer Hand auf die Schulter. «Ich bin auch da, falls du Hilfe brauchst.» Er packt seine Sachen zusammen. «Ich muss jetzt hinaus zu Coach D, er erwartet mich. Kommst du alleine zurecht?» Ich nicke nur als Antwort. «Du schaffst das, Jelsa.», wiederholt Rob, drückt meinen Arm und verschwindet dann aus dem Untersuchungsraum. Mich lässt er sprachlos, mit der Visitenkarte in der Hand, zurück.

Ich bin nicht schwanger.

Das ist der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schiesst, als ich nach fünf unendlich langen Minuten den Raum verlasse und mich auf den Weg zum Hotel zurück mache. Ich kann, will und darf nicht schwanger sein. Es ist einfach unmöglich. Fassungslos schüttle ich immer wieder den Kopf, sodass mich einige Passanten seltsam anschauen. Bei einem verlassenen Hauseingang in einer kleinen Nebenstrasse bleibe ich schliesslich stehen, setzte mich auf die Treppenstufen. Dann tue ich das einzige, was mir in den Sinn kommt. Nuria anrufen.

Nach dem siebten Tuten geht sie ran. Was für eine Zahl, denke ich nur. «Die perfekteste der perfektesten Personen am Apparat.», meldet sie sich. «Hey.», murmle ich nur. Insgeheim habe ich ein schlechtes Gewissen. Jedes Mal, wenn ich ein Problem habe, melde ich mich bei Nuria. Sie muss immer hinhören. Und das tut sie jedes Mal, ohne sich zu beschweren oder sich zu nerven. So auch dieses Mal.

Ich erzähle Nuria schnell von heute Morgen, das von gestern weiss sie bereits. Dann schildere ich ihr auch das Gespräch mit Rob, was er vermutet. Nuria hört mir schweigend zu, unterbricht mich nicht ein einziges Mal.

«Wie fühlst du dich?», fragt sie, sobald ich geendet habe. «Ich bin verwirrt. Fassungslos.», versuche ich meine Gefühle zu beschreiben. «Und ich fühle mich kein bisschen schwanger.» Nuria seufzt leise am anderen Ende der Leitung. «Ich kann dir nicht sagen, ob es stimmt oder nicht. Aber ich muss zugeben, dass ich nach gestern irgendwie eine leise Ahnung hatte. Klar war es nur ein einziges Mal, dass du dich übergeben hast, aber du tust das sonst nie. Du hast dich bei deiner ersten und einzigen Magendarmgrippe nicht einmal übergeben. Während alle anderen sich die Seele aus dem Leib gekotzt haben. Zu viel Süssigkeiten haben bisher auch immer nur Bauchweh ausgelöst. Nie die Übelkeit, die du beschreiben hast.» Ich höre ihr zu, und erkenne das sie recht hat. Ich habe mich tatsächlich noch nie so gefühlt und etwas ist nicht gut. Aber ich weiss einfach, dass ich nicht schwanger bin. Egal ob das alle denken.

«Ja, vielleicht stimmt das. Aber ich bin nicht schwanger.», antworte ich stur. «Wann hattest du das letzte Mal deine Tage?», fragt mich Nuria. Ich überlege kurz. «Ist etwas mehr als einen Monat her.» «Siehst du!», ruft sie aus, aber ich unterbreche sie. «Das hat nichts zu bedeuten. Ich nehme die Pillen jetzt noch nicht lange, und da kann es vorkommen, dass die Periode noch nicht ganz regelmässig kommt.»

Nuria stöhnt genervt. «Dann mach einfach einen Test. Dann sehen wir, ob du tatsächlich schwanger bist, oder nicht.» Sie ist einen Moment lang still. «Vielleicht werde ich Tante.», meint sie plötzlich und ihre Stimme hört sich ein bisschen zu fröhlich für meinen Geschmack an. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, sie schon zu einer Tante zu machen. «Vergiss es.», brumme ich. Sie lacht leise. «Mach den Test John, dann wissen wir es.» Ich murmle etwas Unverständliches als Antwort. «Und was ist mit Toni? Wenn er merkt, dass ich einen Test mache, dreht er wahrscheinlich durch.» Tatsächlich scheint Nuria sich das nicht überlegt zu haben. Es ist lange still und wir beide überlegen uns, was wohl alles passieren könnte. Wie Toni reagieren würde, FALLS ich wirklich schwanger wäre.

«Ich bin immer für dich da, Jelsa. Immer.», antwortet Nuria am Ende nur. Der Druck auf meinem Herz wachst. Das bedeutet mir zwar viel, aber ich merke, dass Nuria sich vor Tonis möglicher Reaktion fürchtet. Und wenn sie sich fürchtet, wie schlimm kann es dann werden?

A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt