Teil 36

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«Er ist am Boden zerstört.», gibt Nuria zu, die neben mir quer über dem Bett liegt. Ich nicke versehend. «Ja, ich meine, wer hätte gedacht das Deutschland jetzt schon draussen ist?» Nuria nickt. «Irgendwie geht es nicht so auf, dass jetzt schon zwei so starke Mannschaften gegen einander gespielt haben.» «Aber es dauert auch nicht mehr lange bis zum Finale.» «Ja. Ich bin schon gespannt wer ins Finale kommt.», stimmt mir Nuria zu. «Ich auch.» Wir sind beide einen Moment lang still, weil wir unseren Gedanken nachhängen. Ich versuche zu fassen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Es fühlt sich fast wie gestern an, als ich wir ins Hotel gekommen sind, ich das Erlebnis mit dem Marderbär, der Spinne und dem Lift hatte, und Toni kennengelernt habe. Das alles liegt jetzt aber schon mehrere Wochen zurück.

«Wann habt ihr abgemacht?», unterbreche ich die Stille. Nuria sieht auf die Uhr. «In zehn Minuten muss ich unten sein.» Ich lächle leicht. «Ich hoffe er hat sich etwas richtig tolles ausgedacht, für euer letztes Date in Russland.» Nuria antwortet nur schmunzelnd: «Das hoffe ich auch. Sonst hat er bald keine Freundin mehr.» Diese Drohung ist eindeutig Spass, Nuria ist über beide Ohren in ihn verliebt, genau wie ich Toni liebe. Das Bett quietscht leise, als sie aufsteht, ihr Handy vom Nachttisch nimmt und sich ihre Tasche schnappt. «Tschüss Jel.» Ich sehe zu meiner besten Freundin, die schon fast aus der Türe ist. «Tschau. Und viel Spass. Lass dich von ihm flachlegen.» Ich höre sie lachen, ehe die Tür hinter ihr zugeht. Ich muss grinsen, werde aber von meinen Gedanken über Nuria und Josh unterbrochen, weil mein Handy klingelt. Ich werfe einen Blick auf das Display und strahle sofort von einem Ohr zum anderen. «Hey Toni!», nehme ich lächelnd ab.

Nurias Sicht:

Als ich in der Hotellobby ankomme, wartet Josh schon auf mich. Ich strahle ihm förmlich entgegen- und werfe mich Regelrecht in seine Arme. «Mein wildes Mädchen.», grinst er, während er mich im Kreisdreht und seine Arme fest um meine Hüfte geschlungen hat. Ich lächle zu ihm hoch. «Was hast du geplant?», will ich aufgeregt wissen, aber Josh lacht nur. «Das verrate ich dir nicht.» «Bitte!», bettle ich, aber dieses Mal lässt sich Josh nicht erweichen. Er nimmt meine Hand und zieht mich mit sich zum Parkplatz, wo sein protziger Leihwagen steht. Gentlemanlike öffnet er mich die Türe und lässt mich einsteigen, bevor er selber auf dem Fahrersitz Platz nimmt. «Verrat mir wenigstens, wohin es geht.», versuche ich ihm weiter etwas zu entlocken, weil ich Überraschungen normalerweise nicht ausstehen kann. «Nein.» Er wendet seinen Blick nur schnell von der Strasse ab, um mich schelmisch anzugrinsen, ehe er sich wieder ganz darauf konzentriert, uns sicher durch Russlands Strassen zu lenken. Obwohl er ganz und gar entspannt und ruhig scheint, sehe ich noch die dunklen Augenringe unter seinen Augen. Er hat mir etwas zögerlich gestanden, dass er seit dem Spiel gegen Frankreich nicht mehr zu gut geschlafen hat. Es nimmt ihn eindeutig mehr mit als er zugeben will.

Am Abend nach dem Spiel bin ich zu ihm gegangen und er war wirklich den Tränen nahe. Schliesslich müssen die Deutschen jetzt nach Hause fahren und können keinen weiteren WM-Titel für ihr Land holen. Sie sind alle ziemlich enttäuscht von sich, und auch die deutsche Presse macht es ihnen nicht gerade leicht. Die Reporter finden irgendwie überall etwas zum Kritisieren, fast wie mein Deutschlehrer bei unseren Aufsätzen. Echt jetzt, diese Menschen bringen in fast jeder Zeitung irgendwelche Analysen, wer wie schlecht gespielt hat, wer wo versagt hat und so. Sogar ich habe mittlerweile die Übersicht verloren, was jetzt genau gut oder schlecht war.

Genau deshalb habe ich es mir zum Ziel gesetzt, Josh so gut wie möglich abzulenken, wie auch immer es gerade geht. Aus diesem Grund nerve ich Josh von Herzen gerne auf der gesamten Autofahrt und erzähle ihm die unnötigsten Geschichten und Fakten, die ich gerade irgendwo aufgeschnappt habe. Und es scheint tatsächlich zu funktionieren. Als wir bei unserem Ziel ankommen, ist auch die letzte Sorgenfalte aus seinem Gesicht verschwunden und er scheint seinen Beruf für einen Moment vergessen zu haben.

Wir kommen nach etwa zwei Stunden an unserem Ziel an. Vermute ich zumindest, da es draussen dunkel ist und wir so ziemlich am Arsch der Welt sind. Josh lenkt das Auto von der Strasse ab und parkt auf einem kleinen Abstellplatz. Er steigt aus, beleuchtet seinen Weg mit einer Taschenlampe, die er aus dem Auto hat und öffnet mir die Türe. «Meine Schöne.», grinst er und bietet mir die Hand an, damit ich aussteige. Ich ergreife sie und lasse mich von ihm weg von dem Auto und der Strasse führen. Auf einem winzigen Weg, der kaum zu erkennen ist, laufen wir langsam einen kleinen Hügel hinab. Wir laufen durch eine Baumgruppe, bis ich erkennen kann, wo wir sind. Wir stehen am Rande eines kleinen Sees, dessen Wasser noch dunkler ist als die Umgebung und nur ein paar Lichterketten, die am steinigen Seeufer liegen, spenden etwas Licht. Ich atme tief ein, geniesse die wunderschöne Atmosphäre und die frische Luft, die typisch nach Seewasser riecht. Ich liebe den Geruch. «Gefällt es dir?», fragt mich Josh nach einigen Minuten, in denen ich nur dastand und den Moment genossen habe. Ich drehe mich zu ihm um, stelle mich auf die Zehenspitze und umarme ihn so fest ich nur kann. «Es ist perfekt.», hauche ich in sein Ohr. Er lacht etwas erleichtert. «Gut... Ich war ein bisschen unsicher was die Idee angeht, aber die Jungs haben mir geholfen... und ja.» Er stottert ein bisschen und ich muss einfach lächeln, mein Gesicht an seiner Brust gepresst. «Ich liebe es. Ich liebe dich.» Er schlingt seine Arme fester um mich und ich spüre wie er sich entspannt. «Ich dich auch, Nuria. Du bist mit Abstand das beste was mir je passiert ist.» Ich löse mich etwas grinsend von ihm und pikse ihm mit dem Zeigefinger auf die Nase. «Du bist einfach zu süss.» Josh lacht, ehe er mich küsst. Und wie er mich küsst- als wolle er mir zeigen, dass er nicht nur süss sein kann...

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Arm in Arm liegen wir auf Joshs Jacke am Seeufer, ich mich fest an ihn geschmiegt, damit ich nicht kalt bekomme. Josh spielt mit einer Haarsträhne, während ich verträumt auf das Wasser starre. Es ist einfach wunderschön hier draussen. «Nuria?», unterbricht Josh auf einmal die Stille. «Was ist?», murmle ich. Josh setzt sich auf, und zwingt damit auch mich, mich aufzusetzen. «Ich muss dir noch was sagen... Und naja... dich auch was fragen...», er zögert sichtlich. «Was denn?», will ich neugierig wissen. Josh lächelt mich ein kleines bisschen an. «Du weisst ja, dass die WM für uns zu Ende ist.» Ich nicke etwas traurig. «Und deshalb bekomme ich jetzt für drei Wochen frei. Sozusagen Ferien.» Ich nicke langsam, versuche zu verstehen, was er mir damit sagen will. Wird er etwa...? «Aber ich werde nicht hier in Russland bleiben.», redet er weiter und ich fühle etwas Enttäuschung in mir. Ich habe gehofft, er könnte hier bleiben. Er holt tief Luft, ehe er mich ziemlich schnell weiterfährt: «Wir haben in Finnland ein kleines Ferienhäuschen, in das ich gehen werde und ich wollte dich fragen, ob du mit mir mitkommen willst?!» Ich sehe ihn einen Moment lang an, ehe ich mein Mund öffne und wieder schliesse. Sprachlos starre ich ihn an. Er will mich mit in die Ferien nehmen?! «Also, es war nur so eine Idee...», murmelt er hastig, als ich nichts antworte. «Du willst mich dabeihaben?», stosse ich überrascht hervor. Er sieht mich etwas verwirrt an, ehe er antwortet. «Klar.» Ich fange an übers ganze Gesicht zu strahlen. «Ich würde so gerne mitkommen!» Auch Josh fängt an zu grinsen, als er realisiert, was ich eben gesagt habe. «Juuuupiii!», ruft er wie ein kleines Kind und bringt mich mit seiner offensichtlichen Freude zum Lächeln. «Das werden die tollsten Ferien in deinem ganzen Leben!», lächelt er aufgeregt und ich kann förmlich sehen, wie sich in seinem Kopf die verrücktesten Ideen bilden.


A LITTLE LOVESTORY- l'amour surmonte tout [Antoine Griezmann]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt