XXXVI.

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Wie kann man so ein Hurensohn wie ich sein. Da sitzt man mit seinen einzigen Freunden zusammen - die einem zwar nur deshalb nicht hassen weil man sie anlügt - trotzdem den einzigen Freunden die man hat, und denkt über seinen Selbstmord nach.
Ich meine sie werden mich sowieso hassen nachdem ich mich offiziell als Schwuchtel vor ihnen geoutet habe. Beziehungsweise vor Felix.
Meine Augen schweiften zu meinen Händen, die nervös in der Pullovertasche den Schlüsselbund hielten. ,,Ich geh rüber",sagte Felix und ich schaute auf. Sollte ich jetzt mitgehen? Sollte ich später gehen? Im selben Moment fiel die Tür ins Schloss. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Hände, die vor Nervosität nass waren. Warum war ich so nervös? Vielleicht weil ich gleich sterbe? Nein, wohl eher weil ich gleich jemanden Küsse, der das absolut ekelhaft findet. Wieso mache ich das ganze überhaupt? Wie ein Drogensüchtiger der nach dem Entzug seinen geliebten Stoff in den Händen hält. Klar, er hat beim Entzug geschworen er würde es nicht wieder tun, doch allein die Vorstellung sich seine größte Sehnsucht an die Lippen zu halten macht ihn nervös. Ich bin nervös, verdammt nervös. ,,Rewi? Alles okay?",fragte Palle, der diese Frage wohl wiederholte. ,,Ja."
,,Ich gehe zu Felix",fügte ich hinzu und stand auf.
Ja ich gehe zu Felix, so eine einfache Antwort. So etwas einfaches. ,,Dann geh?", Palle holte mich zurück in die Realität und ich ging aus dem Raum.
Gehen, Schritt für Schritt. Ich atmete aus und ein, aus und ein, -.
Es hätte noch Jahre so weiter gehen können, ich hatte gar kein Zeitgefühl mehr. Wahrscheinlich stand ich stunden im Flur, ohne etwas zu tun. Wie viele Atemzüge hatte ich noch vor mir? Was sollte ich bloß sagen, tun, sollte ich es tun? Ich sterbe so oder so, warum nicht davor das tun was man will und braucht. Ich glaube Todkranke hören auch nicht mit dem Rauchen auf, ich glaube sogar sie rauchen dann mehr. Ich habe nichts - außer mein Leben - zu verlieren. Ich habe nichts Lebenswertes, keine Aufgaben oder einen Sinn in dieser Welt. Ich lebe in einer Psychiatrie mit 16 Jahren. Habe einen geregelten Tagesablauf, gehe zur Therapie und habe Freunde die ich anlüge. Nichts zu verlieren, nichtmal mein Leben - das habe ich schon vor Jahren verloren. Atemzüge, Schritte und Wörter vom Tot entfernt und das einzige wovor ich Angst habe ist die Tür vor der ich stehe. Die Tür die ich öffnen muss, hinter der jemand steht der mich in wenigen Sekunden, Minuten, Schritten und Atemzügen hassen wird. Und dann sterbe ich.

Psychiatrie | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt