„Was hast du getan?", schrie ich mit bebender Stimme.
„Du meinst was haben WIR getan?", gab er lachend zurück.
Ich griff mit beiden Händen an meinen Kopf. Mein Schädel brummte, alles drehte sich.
Das letzte, an das ich mich erinnern konnte war, dass ich in der Shisha Bar mit Tolga Schluss machen wollte ... was danach passierte war weg. Einfach weg!
Tolga stand immer noch lachend am Türrahmen.
„Du dreckiger Vergewaltiger", zischte ich.
„Vergewaltiger? Du wolltest es auch Süße", sagte er immer noch lachend.
Ich griff nach der Uhr, die auf dem Nachttisch stand und warf sie auf Tolga. Er machte einen Schritt zur Seite und sah mich jetzt wütend an.
„Du lügst! Du lügst du ehrenloser Hund!", brüllte ich.
Mein Magen rebellierte. Auf einmal wurde mir wieder schwindelig. Ich kippte nach vorne und fiel unsanft auf die Knie. Dann übergab ich mich.
„Jetzt kotzt du mir noch die Bude voll", jammerte Tolga.
Ich hob meinen Kopf und sah ihn voller Hass in die Augen.
„Zieh dich an und verschwinde aus meiner Wohnung", sagte er und verließ das Zimmer.
Ich stand schwankend auf und setzte mich erst mal auf das Bett. Dann nahm ich meine Klamotten die auf den Boden lagen und zog mich langsam an. Ich wollte weinen. Ich wollte schreien. Aber ich konnte nicht. Ich fühlte mich elend, dreckig und kraftlos
.
Mein Handy lag auf dem Nachttisch. Als ich danach griff, galt mein erster Gedanke Emre. Wie sollte ich ihm je wieder in die Augen schauen? Tolga hatte alles kaputt gemacht. ICH hatte alles kaputt gemacht! Ja, es war meine Schuld. Ich hätte auf Selma hören müssen und am Handy Schluss machen sollen. Ich hätte nicht in die Shisha Bar gehen dürfen .. Ich sah auf mein Handy Display. Selma und Pinar hatten mehrmals versucht mich zu erreichen. Oh mein Gott, es war bereits 13 Uhr! Pinar hatte mir eine SMS geschrieben. „Abla (Schwester) mach dir keine Sorgen um uns, wir sind in Berlin Onkel ist krank. Im Ofen gibt's Hühnchen. Wir kommen erst in ein paar Tagen nach Hause. Ich hoffe, du wirst mich nicht allzu sehr vermissen, öptum (ich küsse dich)."
Ich atmete einmal tief aus und vergrub mein Gesicht in meine Hände. Dann stand ich auf und verließ die Wohnung ...
Ich hatte keine Ahnung, wie ich es geschafft hatte nach Hause zu kommen. Ich schloss die Tür auf und ging direkt ins Bad. Ich stieg unter die Dusche und ließ das Wasser laufen. Ich versuchte vergeblich mich an letzte Nacht zu erinnern. Mein Herz schmerzte. Ich ging in mein Zimmer und zog mich an. Ich legte mich in's Bett und zog meine Knie an.
„Emre ... es tut mir so leid." flüsterte ich. Plötzlich fing ich an zu weinen. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich konnte einfach nicht mehr. Nachdem ich mehrere Stunden weinend da lag, nahm ich mein Handy und wählte Selmas Nummer.
„Canim, wie geht's deinem Onkel?"
„Ich ... ich bin nicht in Berlin", sagte ich leise. Meine Stimme bebte.
„Sibel was hast du? Wo bist du?", fragte sie besorgt.
Ich stand kurz davor erneut in Tränen auszubrechen.
„Selma ... Tolga ... er ... er hat mir was in mein Drink getan und ..."
„Was hat der Hurensohn mit dir gemacht?", schrie sie ins Handy.
Ich schwieg und fing wieder an zu weinen.
„Nerdesin (wo bist du)? Bist du zu Hause?"
„Evet (Ja) ich bin zu Hause", antwortete ich schluchzend.
„Sibel, alles wird gut. Ich bin gleich da okay?"
Ich legte auf und schloss die Augen. Ich war so müde ...Es war bereits dunkel, als ich wach wurde. Ich öffnete langsam meine Augen und sah Selma die am Ende des Bettes saß. Sie näherte sich mir und strich über meine Wange.
„Ist okay. Ich bin da canim", flüsterte sie leise.
Ich fing wieder an zu weinen. Selma nahm mich in den Arm und weinte mit mir.
„Ich wollte es nicht. Ich wollte es nicht Selma, ich wollte es nicht!" schrie ich.
„Ich weiß doch, mein Schatz. Alles wird gut", versuchte sie mich zu beruhigen.
„Ich konnte mich nicht mal wehren, er hat mir ... er hat mir ..."
Meine Stimme versagte. Die Tür meines Zimmers wurde aufgerissen.
„Ist sie wach?", hörte ich eine vertraute Stimme fragen. Ich hob langsam meinen Kopf und sah zur Tür. Ich dachte ich sehe Gespenster, aber er stand wirklich da. Emre!Schockiert riss ich die Augen auf und hielt die Luft an. Was machte er hier? Selma hielt mich immer noch im Arm und strich mir über die Haare. Emre stand im Türrahmen, die Augen gerötet .. vom Weinen!? Hatte er geweint? Wegen mir? Ich sah verwirrt zu Selma.
„Ich hab ihm alles erzählt", flüsterte sie mir leise ins Ohr. Ich brach erneut in Tränen aus.
„Lass uns kurz allein", sagte Emre an Selma gewandt.
Ruckartig hob ich meinen Kopf und klammerte mich an Selma.
„Ich mach dir eine Suppe canim, du hast noch gar nichts gegessen", sagte sie leise und löste sich aus meinem Griff. Ich hörte die Tür zufallen. Ich saß auf meinen Bett, starrte auf meine Hände, die in meinem Schoss lagen und weinte leise vor mich hin. Dann spürte ich, wie Emre sich näherte. Er setzte sich neben mich. Eine Weile saß er einfach nur schweigend da.
„Geht's dir besser?", fragte er leise.
Bei der Frage begann ich vom neuen zu weinen, diesmal heftiger. Ich vergrub mein Gesicht in meine Hände. Langsam rückte er noch ein Stück näher an mich heran und legte seinen Arm um mich.
„Nicht weinen Sibel lütfen (bitte), alles wird gut. Ich kann dich so nicht sehen, das tut mir in der Seele weh."
Liebevoll nahm er meine Hände und hob mein Kopf an. Sanft wischte er mir die Tränen weg. Es fühlte sich wie ein Messerstich an, als ich in seine feuchten Augen sah.
„Ich wollte es nicht ... du musst mir glauben bitte!", wimmerte ich.
Er legte seinen Zeigefinger auf meinen Mund und sah mir in die Augen. Eine einzelne Träne kullerte mir über meine Wange. Lächelnd schüttelte er leicht seinen Kopf.
„Ich glaub dir Sibel, ich glaub dir", sagte er leise und küsste meine Träne weg.
Ein Gefühl der Erleichterung durchfuhr meinen ganzen Körper, als er seine Hand fest um meine schloss. Er nahm mich in den Arm und so verweilten wir eine ganze Zeit.
„Wir müssen zur Polizei, er kann nicht ungestraft davon kommen."
Ich löste mich aus seiner Umarmung und stand abrupt auf. Schwankend hielt ich mich an der Wand fest und starrte ihn an.
„Nein! Nein, wenn Baba (Vater) davon hört, ich ... nein!", keuchte ich.
„Außerdem gibt es nicht mal Beweise", fuhr ich mit zitternder Stimme fort.
Erneut schossen mir Tränen in die Augen. Er stand auf und nahm mich in den Arm.
„Ist ja gut, nicht weinen", versuchte er mich zu beruhigen.
Selma kam mit einem Teller Suppe ins Zimmer.
„Noldu (Was ist los)?"
„Sie will nicht zur Polizei."
„Ich hab es dir doch schon gesagt Abi ... komm geh nach Hause Mama macht sich bestimmt schon Sorgen. Ich bleib heute hier."
Er nickte kurz und drehte sich noch einmal zu mir um. Ich blickte zu Boden. Ich fühlte mich unwohl ... und noch immer so schmutzig. Er hob kurz mein Kinn an und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.
„Alles wird gut, Selma ist bei dir. Ich komm Morgen früh nochmal tamam (okay)?"
Seine liebevolle Stimme war wie Medizin für meine Seele.
„Tamam", antwortet ich leise.
Er gab Selma einen Kuss auf die Wange und sagte: „Pass gut auf sie auf, Schwesterherz."
Kurz nach 1 Uhr wachte ich schweißgebadet auf. Selma hatte sich auf das Sofa in meinem Zimmer hingelegt und schlief. Leise stand ich auf und tapste ins Bad. Ich schloss die Tür hinter mir, lehnte mich daran und fing an leise zu weinen. Mein Herz schmerzte. Nutzlos und dreckig. Ja, so fühlte ich mich. Ich sah in den Spiegel. Meinen eigenen Anblick konnte ich nicht ertragen. Mir wurde plötzlich bewusst, was Tolga mir alles genommen hatte. Nein, es war nicht nur meine Jungfräulichkeit gewesen. Er hatte mir meine Ehre und meinen Stolz genommen! Ich hasste ihn aus tiefstem Herzen. Langsam zog ich mich aus und stieg in die Dusche. Ich rieb meinen Körper so stark mit Seife ein, dass ich Wunden bekam. Meine Tränen vermischten sich mit dem Wasser. Ich fuhr erschrocken hoch als es an der Tür klopfte. Es war Selma.
„Canim, mach bitte die Tür auf", rief sie besorgt.
Ich stieg aus der Dusche, wickelte mich in meinen Bademantel und machte die Tür auf.
Meine Augen waren rot und geschwollen.
„Ich fühl mich so schmutzig", sagte ich leise.
„Mein Schatz, komm her."
Sie nahm mich in den Arm und führte mich wieder in mein Zimmer. Während sie mir half in mein Pyjama zu schlüpfen, klingelte plötzlich mein Handy. Ich griff danach und als ich auf das Display sah, blieb mir die Luft weg ...
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Liebe mit Hindernissen
General FictionSibel ist zwanzig, hat eine jüngere Schwester und einen wundervollen Vater, der sich nach dem plötzlichen Unfalltod der Mutter vor vier Jahren, hervorragend um seine Töchter kümmert. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin, Selma, studiert sie Geschicht...