Langsam griff ich nach der Klinge und lief direkt in mein Zimmer. Ich legte mich aufs Bett und starrte an die Decke. Keine 6 Monate war es her, ich war ein einfaches aber glückliches Mädchen. Ging fleißig in die Uni, lernte und machte nie Probleme. Keine Ahnung wie ich in dieses Loch gefallen war, in dieses tiefe schwarze Loch aus dem ich jetzt nicht mehr raus kam. Mein Körper und meine Seele schmerzten. Ich kniff die Augen zusammen und riss die Hände vors Gesicht. Es tat so schrecklich weh! Wieso machen Menschen sowas? Wieso gibt es so grausame Männer? Meine Gedanken kreisten um Emre. Ich hatte ihn nicht verdient. Er verdient kein Mädchen, das zweimal beschmutzt wurde. Ich richtete mich auf und nahm mein Handy in die Hand. Dann wählte ich Selmas Nummer. Ich wollte ihre Stimme hören.
"Hey canim, na alles klar?", rief sie fröhlich.
"Hey", antwortete ich leise.
"Wie geht's dir?"
"Gut", erwiderte ich knapp.
"Du klingst so komisch, ist alles okay?", fragte sie besorgt.
"Wie geht's dir? Wann fährt ihr in die Flitterwochen?", wechselte ich mit bebender Stimme das Thema.
"Sibel noldu? (Was ist los?) Ich kenn dich doch, irgendwas stimmt nicht!", hakte Selma nach.
"Ich bin nur müde. Will gleich schlafen gehn, wollt nur noch kurz deine Stimme hören."
Meine Stimme zitterte, ich versuchte mit aller Macht die Tränen zurück zu halten.
"Ja, das ist Sibel ... nein warte, ich frag erst."
Ich hörte wie Selma mit jemanden sprach.
"Nerdesin? (Wo bist du?)", fragte ich leise.
"Bei Mama, wollt mich Verabschieden weil Can und ich morgen fliegen. Emre will dich sprechen ..", antwortete Selma.
"Nein! Ich will nicht.", sagte ich hastig. Jetzt seine Stimme zu hören, würde nur noch mehr weh tun.
"Canim ich weiss von der Sache mit Laura, er hat es mir erzählt und .."
"Das ist es nicht. Ich bin total müde, ich will jetzt einfach nur schlafen", unterbrach ich sie.
"Tamam (okay) mein Schatz.", gab sie leise zurück.
"Canim.."
"Evet? (Ja?)"
"Ich liebe dich, das weißt du oder?", flüsterte ich leise.
"Natürlich weiß ich das Sibel, ich liebe dich auch!", gab sie zurück.
"Kannst du Emre sagen .. kannst du ihm sagen, dass ich ihn liebe?", schluchzte ich leise ins Telefon.
"Canim du machst mir Angst, deine Stimme ..."
"Kannst du das machen Selma? Lütfen? (Bitte?)", fiel ich ihr ins Wort.
"Ja. Ja natürlich. Canim wo bist du?", fragte sie unruhig.
"Zu Hause. Ich will jetzt schlafen .. iyi geceler (gute nacht)."
Bevor sie antworten konnte, legte ich auf. Ich nahm tief Luft und sah auf mein Display. Es war schon 23:30 Uhr.
Plötzlich klingelte mein Handy, ich fuhr vor Schreck hoch. Unbekannt! Ich drückte den Anrufer weg und wählte Pinars Nummer.
"Hey Abla (Schwester).", sie klang fröhlich und ich hörte im Hintergrund mehrere Stimmen.
"Seid ihr gut angekommen mein Schatz? Hab vergessen anzurufen vorhin ..", fragte ich leise.
"Ja die Fahrt war langweilig wie immer, aber dafür haben wir grad Spaß hier. Wir sind alle zusammen.", antwortete sie.
"Das freut mich."
"Du fehlst aber! Das nächste mal kommst du bitte mit tamam? (okay?)"
Das nächste Mal ... würde es ein nächstes mal geben? Als ich nichts darauf erwiderte sprach Pinar weiter.
"Und wegen heute Mittag .. es tut mir leid ich wollte dich mit meinen Fragen nicht verletzen.", entschuldigte sie sich.
Eine Träne kullerte mir die Wange herab.
"Schon okay mein Schatz. Ich mach jetzt Schluss, gib Baba einen Kuss von mir. Ich liebe euch.", verabschiedete ich mich und legte auf. Ich legte das Handy weg und starrte auf die Klinge. Ich weiss nicht genau wie lange ich so da saß, irgendwann legte ich die Klinge langsam auf meine Pulsschlagader. Ich vergaß alles um mich herum, deshalb hörte ich auch nicht wie unten jemand wild an der Tür klopfte und kurz darauf eine Fensterscheibe eingeschlagen wurde. Wie in Trance starrte ich auf mein Handgelenk.
Mein ganzer Körper zitterte .. es würde weh tun die Klinge durch zu ziehen .. aber das wären dann die letzten Schmerzen. Nie mehr würde mir jemand weh tun können. Meine Zimmertür wurde aufgerissen.
„Nein!", schrie Emre und kam auf mich zu. Noch immer waren meine Augen auf mein Handgelenk gerichtet. Emre kam näher und nahm mir die Klinge aus der Hand. Als er mich berührte, erwachte ich aus meiner Trance.
„Nein, lass mich los. Fass mich nicht an!", kreischte ich und brach in Tränen aus.
„Allahim Sibel! (Mein Gott Sibel!)", schrie Selma, die ebenfalls ins Zimmer kam.
Sie kam langsam auf mich zu und nahm mich in den Arm, ich wehrte mich nicht.
„Alles wird gut mein Schatz. Wir sind da. Alles wird gut.", flüsterte sie mir ins Ohr.
Ich weinte hemmungslos, plötzlich wurde mir schwarz vor Augen, es war zu viel für mich, ich verlor das Bewusstsein ...
DU LIEST GERADE
Liebe mit Hindernissen
General FictionSibel ist zwanzig, hat eine jüngere Schwester und einen wundervollen Vater, der sich nach dem plötzlichen Unfalltod der Mutter vor vier Jahren, hervorragend um seine Töchter kümmert. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin, Selma, studiert sie Geschicht...