8 - Sam

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"Wa-Was machst du denn hier?" frage ich, dann falle ich ihm um den Hals. Ich kann nicht glauben, dass er hier ist. Mein Bruder schließt mich ebenfalls in die Arme. So stehen wir eine ganze Weile dort. Es haben sich unbemerkt ein paar Tränen auf meine Wangen geschlichen. Cole wischt sie mir vorsichtig weg. "Was treibt dich nach Köln?" frage ich ihn als ich mich einigermaßen beruhigt habe.

"Ich bin gerade hier in Köln gelandet und wollte noch frühstücken, bevor ich dich besuchen komme." erzählt er. "Das ist so lieb von dir, aber du hättest doch was sagen können. Dann hätte ich dich abgeholt. Ich habe dich vermisst." sage ich und umarme ihn noch einmal, mir ist es egal, dass uns das ganze Café ansieht. Ich habe meine Familie fast ein ganzes Jahr nicht gesehen. "Wo ist Matt?" fragt Cole mich dann. Ich verdrehe die Augen. "Erinnere mich bloß nicht an ihn. Er ist in Amerika, irgendwelche Geschäfte." antworte ich. "Ist ja auch egal, wollen wir hier essen oder sollen wir erst nach Hause fahren? Ich bin am Verhungern, unsere liebe Mutter, ich soll dich übrigens ganz lieb grüßen, hat mir zwar was zu essen mitgegeben, aber das reicht definitiv nicht für mich." sagt Cole schulterzuckend.

Ich muss grinsen, Cole ist ungefähr 2 Meter groß und breit wie ein Schrank. Er isst mehr als 3 Elefanten. Die Vorstellung, dass meine kleine, zierliche Mutter ihm ein paar Brote für die Reise mitgegeben hat, ist einfach zu gut. "Dann essen wir hier. Ich rufe uns schon mal ein Taxi nach Düsseldorf, dass uns in einer Stunde abholt." schlage ich vor. Wir setzen uns wieder an den Tisch. "Gibt es irgendwas Neues?" frage ich meinen Bruder neugierig.

"Amber hatte letztens ihre erste Ballettaufführung. Sie war wunderbar." berichtet er mit strahlenden Augen von seiner Tochter. "Aw, wie süß. Ich wäre so gern dabei gewesen. Die Kleine ist bestimmt gewachsen." sage ich gedankenverloren. "Ja, das ist sie. Grace kommt gar nicht hinterher, ihr Klamotten zu kaufen. Ich sage dir, wenn Amber größer ist und mit ihrer Mutter shoppen gehen kann, treiben mich die beiden in die Armut." sagt Cole augenverdrehend. Ich lache. Grace ist meine Schwägerin, das heißt, sie wäre es, wenn Cole ihr mal einen Antrag machen würde, immerhin haben die beiden schon ein Kind zusammen.

Da kommt das Essen. Ich muss sagen, dass ist das größte Frühstück, was ich jemals in meinem Leben gesehen habe. Und auch Cole sieht beinahe ehrfürchtig auf die vielen Teller, die jetzt vor uns stehen. 

"Ach komm, so schlimm kann es doch gar nicht sein. Ich meine Amber ist doch erst 4 Jahre alt." kichere ich, als wir angefangen haben zu essen. "Wenn du wüsstest." seufzt Cole, dann muss er aber auch grinsen. "Und wie geht es Mum?" frage ich dann. "Ihr geht es gut, sie hat sich riesig gefreut, als ich ihr erzählt habe, dass ich dich besuchen möchte. Sie redet noch ab und zu von Dad aber das wird weniger." ich nicke. Meine Mutter ist damals in eine schwere Depression gefallen, als unser Vater starb. Obwohl er nicht unbedingt ein ehrenvoller Mann war, hat sie ihn sehr geliebt und war auf einmal ganz allein, das hat sie nicht gut verkraftet.

"Sie wollte eigentlich mitkommen, aber eine alte Schulfreundin von ihr ist gestorben und sie muss zu der Beerdigung." Cole sieht mich entschuldigend an. "Hmm, ich war auch schon am überlegen, ob ich euch mal besuchen komme. Vielleicht kann ich Matt ja mal davon überzeugen, aber er ist ja sowieso immer arbeiten." überlege ich. "Mum, Grace und Amber würden sich freuen. Vor allem Grace, dann hat sie wieder einen Verbündeten in der Familie." sagt Cole und verdreht die Augen. "Ich kann nichts dafür, dass ich mich mit ihr besser verstehe, als du. Dann musst du dir eben mehr Mühe geben." erwidere ich grinsend. "Jaja, iss dein Frühstück." brummt Cole.

Eine halbe Stunde später sitzen wir völlig gesättigt im Taxi nach Düsseldorf. Matt und ich wohnen dort etwas außerhalb des Stadtkerns in einer Villa. Von Köln ist es etwa eine Stunde Fahrt, aber heute geht die Zeit schnell rum, denn Cole erzählt die ganze Zeit von unseren Freunden, die noch in Galway leben. Ich muss erkennen, dass ich viel verpasst habe, aber ich lebe jetzt in Deutschland und muss mich mit meinem Leben als Matts Frau arrangieren.

Als wir in Düsseldorf angekommen sind, setzen wir uns ins Wohnzimmer, ich kann es kaum erwarten noch mehr Geschichten und den neusten Klatsch zu erfahren. "Wie läuft es eigentlich mit Matt? Du hast eben gar nicht richtig auf meine Frage geantwortet." sagt Cole und sieht mich erwartungsvoll an. "Ihm geht es gut." antworte ich und versuche zu lächeln, aber es misslingt mir, das habe ich selbst gemerkt. Coles Blick wechselt von erwartungsvoll zu besorgt.

Er rutscht näher zu mir und legt einen Am um mich. "Was ist denn los? Ist etwas vorgefallen?" fragt er mich. "Nein, eigentlich nicht. Es ist nur..." ich atme tief ein. "Ich weiß auch nicht, was los ist. Matt ist nur am Arbeiten, er ist kaum zuhause und wenn er spät abends nach Hause kommt ist er meistens gestresst und schlecht gelaunt. Früher war er ganz anders. Ich meine, ich habe ihn ja nie wirklich geliebt, aber früher dachte ich, Liebe könnte wachsen, Dad zuliebe. Aber seit Monaten ist er seltsam und ehrlich gesagt habe ich manchmal Angst vor ihm." "Hat er dir was angetan?" fragt Cole und ich merke, wie er sich versteift.

"Nein, hat er nicht. Matt hat aber manchmal so eine Ausstrahlung, die einschüchternd wirkt." versuche ich zu beruhigen und tatsächlich entspannt sich Cole ein wenig. "Ist es das was dich belastet? Dass du manchmal Angst vor ihm hast?" ich schüttele den Kopf. "Nein, das ist es nicht. Und ganz ehrlich: Ich weiß, du mochtest Matt nie. Aber er sorgt für mich, das ist das was Dad für mich wollte. Also muss ich mich damit abfinden." "Sam, das kannst du doch nicht ernst meinen. Es ist viel wichtiger, dass du glücklich bist. Dad ist schon seit Jahren tot und allem Anschein nach bist du hier unglücklich. Es wäre am besten, wenn ich dich gleich wieder mit nach Hause nehme." sagt Cole wütend. "Du hättest mir eher Bescheid sagen müssen. Ich muss dich doch beschützen. Du bist meine kleine Schwester."

Gerührt umarme ich ihn. "Schon okay, Cole." flüstere ich. "Es geht mir gut."

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Tadaaa! Wer hätte gedacht, dass besagte Augen  zu Sam's Bruder gehören?😏😅

prisoned - LG8 | jmjmmnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt