17 - Leon

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Nervös sehe ich sie an. Sie sieht nachdenklich aus. Ich kann genau erkennen, dass sie mit sich kämpft. Verständlich, denn ich habe ziemlich viel von ihr verlangt. Ich frage mich, ob es nicht vielleicht zu früh war. Ich hätte sie nicht damit überfallen sollen, immerhin hat sie mir gerade ihre unschöne Geschichte erzählt. Sie braucht noch Zeit, um das alles zu verarbeiten. Außerdem, was habe ich denn erwartet, dass sie ihren Mann sitzen lässt, nur um mit einem Typen zusammen zu sein, den sie ein paar Wochen kennt?!

Enttäuscht lasse ich die Schultern hängen. Was habe ich eigentlich erwartet? Dass sie sofort mit mir durchbrennt? Ich bin einfach viel zu naiv. Und ich hätte das Thema nicht ansprechen sollen.

Ich habe keine weitere Zeit mir Gedanken über Sam's Mann zu machen, denn plötzlich liegen Sam's Lippen auf meinen und küssen mich. Einen Moment verharre ich und frage mich, ob es das Richtiges ist, was ich hier tue. Aber die Gefühlsexplosion in mir, wirft jegliche Zweifel über den Haufen und ich erwidere den Kuss. Sam seufzt leise, ich grinse und ziehe sie noch näher zu mir.

Wenig später lösen wir uns atemlos und sehen uns an. Lächelnd stelle ich fest, dass Sam's Lippen ganz geschwollen sind. Meine sehen wohl nicht anders aus, ich muss grinsen. Atemlos sehe ich zu Sam, sie lächelt. "Ich denke, du hast deine Antwort." sagt sie leise und grinst. "Ja, die habe ich wohl." erwidere ich lächelnd. "Ich weiß, dass es schwierig werden kann, wir müssen beide viel riskieren." sagt Sam dann ernster. "Ich weiß." antworte ich.

"Ich bin immer noch verheiratet, meine Familie will bald hierherziehen. Ich weiß es ist viel verlangt, aber ich möchte Matt erstmal nichts davon erzählen oder mich scheiden lassen. Weil, wenn ich das tue, verliere ich alles. Ich habe nichts außer dem Leben, dass Matt mir gegeben hat. Ich kann verstehen, wenn du das nicht gutheißt, aber für mich ist es die einzige Möglichkeit, herauszufinden, ob das hier, etwas ist, was funktionieren kann." sagt Sam.

"Sam, du weißt, dass ich genug für uns beide verdiene. Du könntest-" aber Sam unterbricht mich. "Leon, ich weiß und ich schätze, dass du mir das anbietest. Aber es geht auch darum, herauszufinden, ob wir überhaupt funktionieren können, wir kennen uns erst ein paar Wochen. Wir müssen uns erst richtig kennenlernen." erklärt sie. Ich habe ein bedrücktes Gefühl. Ich verstehe nicht, warum sie trotzdem in ihrer Ehe festhalten möchte. Ich weiß, das ist falsch, aber es tut ziemlich weh, das zu hören. "Und wenn das mit uns nichts wird, gehst du einfach zu deinem Mann zurück und machst einen auf glückliche Ehefrau, oder was?" frage ich sie angepisst. "Willst du das mit uns überhaupt?" frage ich sie und stehe auf.

Ich gehe rüber zum Fenster und sehe raus, hier habe ich einen Ausblick über die ganze Stadt. Ich kann sie nicht verstehen. Meiner Meinung nach, kann man sich nicht für zwei Männer gleichzeitig entscheiden, dann soll sie bei ihrem 'ach so tollen Ehemann' bleiben, ich will nicht, dass sie mich nur verarscht und am Ende sitze ich wieder alleine da. So ein Theater hatte ich mit meinen Ex-Freundinnen schon einmal und das will ich auf gar keinen Fall noch einmal erleben.

Da bemerke ich, dass Sam hinter mir steht und mich von hinten umarmt, ihren Kopf legt sie an meine Schulter. "Ich möchte nicht, dass du meine 'Affäre' bist, Leon. Ich bitte dich nur um ein wenig Zeit, damit wir uns beide über uns und unsere Gefühle klarwerden, nicht damit wir voreilige Entscheidungen treffen. Ist das für dich okay?" fragt sie leise.

Ich weiß es nicht, ist das für mich okay? Eigentlich möchte ich, dass Sam auf der Stelle aus ihrem Haus auszieht und zu mir kommt, aber ich weiß auch, dass es nicht so einfach sein wird. Andererseits ist Sam es sicher wert, auf sie zu warten. Ich bin schon so viel Risiko gegangen, das hätte ich bei keiner anderen Frau gemacht. Ich sehe es auch nicht ein, jetzt aufzugeben. Ich seufze, dann drehe ich mich zu ihr um und löse mich von ihr. Verwirrt sieht Sam mich an. In ihren Augen kann ich auch Enttäuschung erkennen. Das ist mein Zeichen, genau das hatte ich gehofft, denn wenn sie enttäuscht ist, liegt ihr vielleicht doch mehr an mir, als sie bis jetzt zugibt.

Mit der Erkenntnis nicke ich. "Okay, nehm dir Zeit. Ich denke, es ist besser für uns beide." sage ich dann bestimmt. Sam lächelt erleichtert. "Danke." sagt sie und umarmt mich. Ich schlinge meine Arme um sie und atme ihren Duft ein. Als wir uns lösen, halte ich kurz inne und überlege, ob ich sie noch einmal küssen sollte. Ich sehe in ihre Augen, die mich ebenso sehnsüchtig ansehen, aber ich entscheide mich dagegen. Es ist wahrscheinlich besser so, außerdem wollte sie Zeit, dann bekommt sie auch Zeit.

Die ganze Situation ist angespannt, man merkt es praktisch in der Luft, das etwas nicht stimmt. Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll. "Also Ähm, wie wollen wir das Ganze jetzt handhaben?" frage ich sie unsicher. "Ich weiß auch nicht." sagt Sam und sieht betreten auf ihre Füße. Ich seufze. Dann muss ich es wohl in die Hand nehmen. Ich deute auf das Sofa und Sam nickt. Also setzen wir uns aufs Sofa. "Wie wollen wir denn jetzt weitermachen? In ein paar Wochen ist die Saison vorbei und ich fahre mit Max und Kate in den Urlaub und dein Mann kommt ja wahrscheinlich auch irgendwann nach Hause." sage ich. "Ich weiß, Matt kommt morgen wieder. Ich glaube, das wird schwieriger als wir bisher angenommen haben." antwortet Sam. "Und wann sehen wir uns wieder? Ich meine, du wirst Matt ja bestimmt nichts davon erzählen." sage ich.

"Cole hat mir gesagt, er würde mich unterstützen, wenn ich Hilfe bräuchte, er würde uns bestimmt irgendwie decken." Sam zuckt mit den Schultern. Ich muss grinsen. "Also machst du jetzt mindestens einmal die Woche einen 'Geschwister-Tag', oder was?" "Wenn du sagst einmal die Woche, lässt sich das bestimmt einrichten." erwidert Sam lachend. "Ich hätte dich gerne noch öfter hier. Von mir aus kannst du die ganze Woche mit Cole verbringen." erwidere ich augenzwinkernd und sie lacht. Das mag ich so bei Sam, obwohl wir vor ein paar Minuten noch über etwas Ernstes gesprochen haben und es eigentlich immer noch tun, kann sie schon wieder lachen. Ihre positive Art steckt sofort an.

"Die ganze Woche? Das hättest du wohl gerne. Ich schlage vor zwei Mal in der Woche." sagt Sam. "Hmm, okay. Ich habe am Dienstag und am Freitag meistens morgens Training, dann hätte ich die Nachmittage und Abende frei." sage ich und überprüfe das in meinem Handy. "Okay, also ich würde dann einfach zu dir kommen oder wir treffen uns irgendwo. Wichtig ist nur, dass es möglichst weit von Düsseldorf weg ist." überlegt Sam weiter. "Das hört sich an, als würden wir einen Vertrag schreiben und die Bedingungen aufstellen." lache ich. Sam sieht zu mir, dann boxt sie gegen meine Schulter. "Kannst du das vielleicht mal ernst nehmen?" fragt sie, muss dann aber auch lachen.

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"Hast du alles?" frage ich Sam, als sie sich ihre Jacke anzieht. Sie nickt. "Ich hatte ja nicht viel dabei." antwortet sie und schließt ihre Jacke, dann dreht sie sich zu mir um. Wir haben noch den ganzen Tag miteinander verbracht und einfach nur geredet. Sie hat mir von ihrer Kindheit in Irland erzählt und dass ihr Akzent jetzt nicht mehr so schlimm ist wie damals. Wir hatten viel Spaß. Ich glaube, die Entscheidung, uns erst besser kennenzulernen, war richtig. Immerhin kennen wir uns kaum. Aber seit heute Nachmittag kenne ich Sam schon viel besser. "Danke für den schönen Tag. Ich hatte viel Spaß." sagt Sam. Ich nicke. "Ich auch." sage ich nachdenklich.

Ich weiß, wir hatten eigentlich ausgemacht, uns kennenzulernen, bevor wir weitergehen und das ist richtig so. Aber ich habe schon wieder dieses Verlangen, sie zu küssen. Ich meine, gegen einen Abschiedskuss spricht ja nichts, oder? Immerhin, weiß ich nicht, wann ich sie wiedersehe...

Anscheinend habe ich zu lange überlegt, denn Sam umarmt mich zum Abschied und lächelt mich noch einmal an. Dann geht sie zu ihrem Auto und steigt ein. Mist... Ich sehe ihr hinter her, bis ihr Auto hinter der Ausfahrt verschwunden ist. Ich drehe mich um und schließe die Tür wieder. Was für ein Tag... Ich hole mein Handy raus und wähle die Nummer.

"Meyer?" ertönt die Stimme aus dem Lautsprecher. "Max, ich muss mit dir reden und sag Kate, dass es lange dauert." sage ich und höre, dass Max am anderen Ende aufstöhnt. "Na dann, schieß mal los!"

prisoned - LG8 | jmjmmnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt