14 - Sam

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Ich starre auf die Scherben vor mir auf dem Boden. Das Glas ist in tausend Teile zersprungen und das Bild liegt unter den vielen Splittern. Ich bin so unglaublich wütend. Tränen laufen mir über das Gesicht, ich merke, wie sie auf meiner Haut kribbeln. Ich fühle mich, als sei ich in einer Blase gefangen, als wäre ich betäubt und könnte keinen Schmerz empfinden.

Wieder sehe ich auf den Boden, die Scherben liegen unverändert um mich herum. Da wird mir klar, was ich gerade getan habe. Ich habe mein Hochzeitsfoto an die Wand geschmissen, jetzt liegen überall Scherben. Als Leon aus der Tür raus ist, hatte ich keine Kontrolle mehr über meinen Körper und ich habe einfach nicht nachgedacht.

Ich bin wütend auf Matt, er ist an allem schuld. Und ich weiß, es ist unfair Matt die Schuld zu geben, aber er ist der Grund, warum ich das alles hier nicht machen kann. Er ist schuld daran, dass ich mich nicht dem hingeben kann, was vielleicht zwischen Leon und mir entstehen könnte. Ich habe seinen Blick heute beim Fußballspielen gesehen und ich weiß auch, dass er sich zusammenreißt, weil er weiß, dass ich verheiratet bin. Und ich habe auch seine Enttäuschung gesehen, als er aus dem Bad kann und mich mit dem Bild in der Hand gesehen hat. Ich will nicht, dass Leon von mir enttäuscht ist.

Ich muss das irgendwie richtigstellen. Es wird Zeit, dass ich ihm meine ganze Geschichte erzähle, die ganze Wahrheit, denn er hat die Wahrheit verdient. Auch, wenn er danach nie wieder etwas mit mir zu tun haben will. Diese Wahrheit ist ein dunkler Teil von mir und es wird schmerzhaft sein, daran erinnert zu werden, aber es ist vielleicht meine einzige Chance aus diesem Alptraum zu erwachen.

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Rachel sieht mich überrascht an, als sie mir die Tür öffnet. "Hey! Was machst du denn hier?" fragt sie mich. "Ich wollte kurz mit dir reden, es dauert auch nicht lange." sage ich und sehe sie an. Ihre Haare sind ganz verwuschelt und sie hat geschwollene Lippen. Ich muss grinsen. Scheint, als sei Rachel im Moment anderweitig beschäftigt. "Ich wollte natürlich nicht stören." füge ich dann hinzu.

"Jetzt hast du die Gelegenheit, mir deinen Freund vorzustellen." sage ich augenzwinkernd und will an ihr vorbei ins Wohnzimmer gehen, aber sie stellt sich vor mich, sodass ich nicht durchgehen kann. Verwirrt sehe ich sie an. Sie schüttelt nur den Kopf. "Sorry, das geht nicht. Ich... es tut mir leid. Ich melde mich morgen bei dir, okay?" sagt sie leise und senkt den Blick. Irgendetwas läuft hier gewaltig falsch. Ich öffne den Mund um etwas zu erwidern, aber sie unterbricht mich. "Bitte, Sam." fleht sie schon fast. Also nicke ich und trete wieder zurück. "Okay, dann Melde dich einfach irgendwann." sage ich und drehe mich um und gehe zurück zu meinem Auto.

Enttäuscht starte ich den Motor und mache mich auf den Weg nach Bochum. Dann muss ich da wohl jetzt alleine durch, es wäre schön gewesen, vorher noch einmal mit Rachel darüber zu sprechen. Sie und Matt sind die einzigen, die davon wissen und keiner von den beiden ist gerade da für mich. Mit einer Hand schreibe ich Kate eine SMS.

Hey Kate, ich weiß es ist spät. Aber kannst du mir vielleicht Leons Adresse schicken? Bin schon auf dem Weg nach Bochum. Es ist wirklich wichtig!!! Ich erkläre es dir später. Sam.

Hoffentlich liest Kate die Nachricht rechtzeitig. Auf den großen Tafeln ist Bochum schon ausgeschildert. Ich sollte also gleich da sein. Da klingelt mein Handy. Es ist eine Nachricht von Kate.

Hallo Sam, in London ist es noch gar nicht so spät... Will ich wissen, was passiert ist? Ich soll dich übrigens von Max grüßen. Wann sehen wir uns mal wieder? Liebe Grüße Kate.

Im Anhang befindet sich ein Standort. Erleichtert gebe ich die Adresse in mein Navi ein und beeile mich dort hinzukommen. Leon ist vor mehr als 3 Stunden gefahren, er sollte wohl zuhause sein. Die nächste Ausfahrt nehmen und rechts halten. sagt mein Navi und ich verlasse die Autobahn.

Wenig später halte ich vor einem modernen Haus. Sie haben ihr Ziel erreicht. sagt mein Navi und schaltet sich dann aus. Ich atme einmal durch und sehe zu dem Haus, Leons Auto steht aber nicht in der Auffahrt und es ist auch kein Licht an. Zögernd steige ich aus und sehe mir das Haus genauer an. Auf dem Klingelschild steht Goretzka, es scheint also Leons Haus zu sein.

Ich drücke auf die Klingel, auch wenn alles dunkel ist, einen Versuch ist es wert. Und wenn keiner zu Hause ist, kann ich ja auch niemanden stören. Da höre ich leise Schritte. Nervös versuche ich etwas zu erkennen, aber es ist schon zu dunkel. Die Schritte kommen immer näher und ich bin auf einmal verunsichert. Was mache ich überhaupt hier? Dann geht hinter der Tür Licht an. Es ist zu spät um wegzulaufen. Also muss ich mich dem Ganzen wohl stellen.

Da geht die Tür auf und ich muss doch lächeln, vielleicht liegt es an der Anspannung. Ich sehe in ein paar braune Augen, die mich müde ansehen. Mein Lächeln gefriert. Diese braunen Augen sind genauso braun wie Leons. Nur gehören sie nicht Leon, sondern einer jungen Frau, die mich müde ansieht. Sie trägt nur ein großes T-Shirt und vermutlich darunter Unterwäsche. Was ist denn hier los?

Da geht mir ein Licht auf. Ein Stechen in meinem Magen macht sich breit, am liebsten würde ich mich übergeben. "Kann ich dir helfen?" fragt das Mädchen und gähnt. "Ähm, Keine Ahnung." stammele ich. "Ich wollte zu Leon." sage ich dann. "Leon war heute Abend nicht hier, ich glaube er hat mich das letzte Mal am Mittwoch besucht." sagt sie und gähnt wieder. "Warum war er denn Mittwoch das letzte Mal hier? Er hat mir erzählt, dass er gerade heute etwas von zuhause geholt hat." sage ich. "Ja wahrscheinlich, weil das hier nicht Leons Haus ist." erklärt die junge Frau. "Ich bin seine Schwester und das hier ist unser Elternhaus." erklärt sie und sieht mich leicht genervt an. "Oh, das tut mir leid. Ich dachte, er wohnt hier. Entschuldige die Störung, das wollte ich nicht." entschuldige ich mich. Oh mein Gott wie peinlich. Nicht nur, dass ich bei der falschen Adresse bin, ich habe gedacht Leon hätte was mit ihr gehabt. Ich will im Boden versinken.

"Schon okay." antwortet sie, da fängt sie auf einmal an zu grinsen. "Kann es sein, dass du Sam bist?" Verwirrt sehe ich sie an. "Ja, woher kennst du meinen Namen?" frage ich sie. "Willst du reinkommen? Schön, dass wir uns kennenlernen." sagt sie und hält mir die Hand hin. "Ich bin Olivia."

Dann bittet sie mich hinein und wir gehen ins Wohnzimmer. "Setz dich bitte, ich hole uns was zu trinken." sagt Olivia und kurz darauf ist sie schon hinter einer Tür verschwunden. Als sie wiederkommt hat sie sich etwas übergezogen und zwei Wasserflaschen in der Hand. Sie setzt sich neben mich aufs Sofa. "Na dann, erzähl mal warum du um 12 Uhr nachts vor meiner Tür stehst."

"Also eigentlich wollte ich nicht vor deiner Tür stehen..." sage ich und Olivia lacht "Stimmt, du wolltest vor der Tür meines Bruders stehen und ich kann mir auch vorstellen, warum." "Warum denn?" frage ich neugierig. "Naja, also alles was Leon von dir erzählt hat-" "Leon hat dir von mir erzählt?" rufe ich erschrocken auf. Olivia lacht. "Ja, hat er, wobei er mehr geschwärmt hat. Deswegen dachte ich ja auch, dass du ihm einen nächtlichen Besuch abstatten wolltest." grinst sie. "Oh Nein, so war es nicht." murmele ich verlegen.

"Ärger im Paradies?" fragt Olivia besorgt. "Ja so in etwa. Es ist kompliziert und eine lange Geschichte." antworte ich und sehe auf meine Finger. "Ich habe Zeit." Olivia sieht mich auffordernd an. Ich zögere; soll ich Leons Schwester alles erzählen, bevor ich es mit ihm selbst geklärt habe? "Leon hat mit mir auch über dich gesprochen. Es ist nur fair, wenn ich auch deine Seite erfahre." frech grinst Olivia.

Ich weiß nicht warum, aber ich vertraue ihr auf irgendeine Weise. Sie ist immerhin Leons Schwester. "Na gut, ich erzähle es dir, aber sag es nicht Leon." sage ich schließlich. "Sehr gut. Da bin ich aber mal gespannt, so spannende Stories höre ich normalerweise um halb 2 Uhr nachts nicht." kichert sie und sieht mich erwartungsvoll an. "Es gibt eigentlich nicht so viel zu erzählen. Das Problem ist einfach, dass wir beide nicht mit einer Tatsache umgehen können. Und das ist das Problem, wir haben gar nicht wirklich darüber sprechen können. Ich weiß gar nicht, warum er es weiß, denn ich habe es ihm nicht erzählt." ich habe mich richtig in Rage geredet, sodass ich gar nicht merke, dass Olivia mich seltsam ansieht.

Ein wenig ängstlich sieht sie mich an. "Die Tatsache, dass?" fragt sie. Ich lasse die Schultern hängen, jetzt muss ich es ihr wohl sagen. Auch wenn es nicht einfach ist. Sie wird wahrscheinlich denken, dass ich eine Schlampe oder so bin. Vielleicht verachtet sie mich dafür. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich atme tief durch.

"Die Tatsache, dass ich verheiratet bin." sage ich leise und bemerke, wie eine Träne über mein Gesicht läuft.

prisoned - LG8 | jmjmmnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt