54 - Leon

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Nervös starre ich zu der Eingangstür, die sich immer wieder öffnet und schließt. Ich frage mich, warum ich überhaupt hier bin. Vielleicht hat mich irgendein Krimineller oder ein verrückter Fan herbestellt und will mich umbringen. Unruhig setze ich mich wieder gerade hin und versuche mich zu beruhigen, aber das ist gar nicht so einfach.

Heute Morgen bekam ich eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. "Triff mich morgen früh im Hyatt Regency in Düsseldorf." stand in der Nachricht. Keine Unterschrift, kein Name. Alles was ich weiß ist, dass ich nach Düsseldorf kommen sollte.

Warum ich hier bin? Keine Ahnung. Vielleicht weil ich in der Nachricht gelesen habe, dass es sich um Düsseldorf handelt und mich das an Sam erinnert hat. Oder weil ich gehofft habe, dass Sam mir geschrieben hat. Aber ich denke, die Hoffnung kann ich begraben. Es ist wahrscheinlich ihr Ehemann, der alles herausgefunden hat und mich zur Rede stellen will.

Oh Mist. Warum habe ich nicht eher daran gedacht? Es ist doch offensichtlich, warum ich nach Düsseldorf kommen soll. Matt möchte mir wahrscheinlich eine reinhauen und ich bin so dumm und komme auch noch hier her. Manchmal frage ich mich wirklich, wie dämlich ich mich anstellen kann.  Es lag doch auf der Hand, wer diese Nachricht geschrieben hat und doch bin ich hier.

Ehe noch etwas Schlimmes passiert, will ich mich erheben und schnellstmöglich das Hotel verlassen. Aber da legt sich von hinten eine Hand auf meine Schulter. Fuck... Zu spät. Mein Herzschlag verschnellert sich und ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Wieder einmal verfluche ich das Schicksal und drehe mich dann langsam um, um mir meinen Schlag ins Gesicht abzuholen.

Aber als ich mich um drehe trifft mich nicht der Schlag einer Faust. Vielmehr bin ich vor Überraschung erstarrt. Niemals in meinem Leben hätte ich diese Person erwartet. Nicht mal in meinen kühnsten Träumen, hätte ich damit gerechnet, dass ausgerechnet sie mich nach Düsseldorf bestellt. Ich weiß nicht, was sie vor hat, aber die Überraschung und das Erstaunen überwiegt.

"Hallo. Schön, dich wieder zu sehen." sagt sie und lächelt ein wenig. "Hallo Mrs. Henstridge." erwidere ich immer noch sprachlos. Vor mir steht tatsächlich Sam's Mutter. Sam ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, man erkennt es an den Augen und den hohen Wangenknochen. "Du kannst mich Alice nennen, Leon. Ich bin froh, dass du gekommen bist." sagt sie und deutet auf das Restaurant des Hotels. "Wollen wir?" fragt sie und geleitet mich zu dem edlen Restaurant.

Ich frage mich immer noch, was hier gerade passiert. Dass ich hier Sam's Mutter treffen würde, hätte ich nicht erwartet. Nachdem wir uns an einen Tisch gesetzt haben, kommt sofort ein Kellner, der uns nach Getränken fragt. Als er wieder weg ist. Sehe ich Sam's Mutter fragend an, sie bemerkt meinen Blick und räuspert sich.

"Du fragst dich bestimmt, warum du hier bist." sagt sie und ich nicke. "Nun ja, zuallererst möchte ich mich bei dir entschuldigen. Wie ich dich behandelt habe, als du und Samantha uns in Irland besucht haben, war alles andere als fair. Und ich bitte dich aufrichtig um Entschuldigung. Es war falsch von mir zu denken, dir die Schuld an Samantha's Situation zu geben, würde sie davon zu überzeugen, zu Matt zurückzukehren." sagt sie.

Überrascht sehe ich sie an. Eine Entschuldigung hätte ich nicht erwartet. Aber was ist an dieser Situation schon normal oder ausrechenbar? "Das ist schon okay. Ich weiß, dass es für Sie keine einfachen Umstände waren. Ich hätte vermutlich ähnlich gehandelt." nehme ich ihre Entschuldigung an. Ich weiß, dass es ihr leid tut und ich kann nicht anders, als ihr zu vergeben. Zumal ich sie wahrscheinlich nie wieder sehen werde, jetzt wo ich Sam nicht mehr treffe.

"Das ist aber nicht alles, worüber ich mit dir sprechen wollte." beginnt Alice abermals. "Ich wollte mit dir über meine Tochter sprechen." sagt sie. "Alice, ich kann dir dazu nichts sagen. Ich habe Sam seit Wochen nicht mehr gesehen." werfe ich ein, um das schmerzhafte Thema zu vermeiden. "Ich weiß. Sie hat mir gesagt, dass ihr euch nicht mehr trefft und sie hat mir auch erzählt, dass das einzig und allein ihre Schuld ist." ich senke den Kopf. "Sie hat mich vor ein paar Wochen weinend angerufen und ich bin zu ihr gefahren." erzählt sie weiter.

"So habe ich Samantha noch nie erlebt. Sie hat mir erzählt, dass ihr nicht im Guten auseinander gegangen seid und wie weh es ihr tat, dich verletzen zu müssen. Und gleichzeitig hat sie von dir gesprochen, als hätte sie niemals in ihrem Leben einen anderen Mann so geliebt und wahrscheinlich ist das auch so, denn Matt war für sie nie mehr als ein Freund." sie nippt an ihrem Getränk, ehe sie weiterspricht.

"Da habe ich erkannt, dass ich falsch lag. Seitdem sie dich kennengelernt hat, gab es für sie niemand anderes. Sie hat selbst mich gemieden, nachdem ich dich so schlecht behandelt habe. Dich hat sie sogar ihrem Bruder vorgestellt und allem Anschein nach, scheint ihr euch so gut zu verstehen, dass du sein Trauzeuge bist. Cole hat Matt nicht einmal die Hand gegeben, als die beiden geheiratet haben. Aber dich macht er gleich zu seinem Trauzeugen. Selbst Amber, meine kleine Enkelin, hat dich sofort in ihr Herz geschlossen, obwohl selbst wir manchmal Probleme haben, einen Zugang zu ihr zu finden." sie sieht mich nachdenklich an und rührt in ihrem Kaffee.

"Die Anzeichen waren mehr als deutlich. Nur ich musste es versauen. Ich habe einfach nicht erkannt, dass Sam in dir ihre große Liebe gefunden hat. Und nun habe ich ihr die Chance auf das Glück verbaut." fügt sie leise hinzu. Das mulmige Gefühl in meiner Magengegend breitet sich aus. Es ist seltsam hier mit Sam's Mutter zu sitzen und über Sam zu reden, obwohl ich schon seit Wochen nicht mehr mit Sam selber geredet habe.

Und es macht mich traurig. Es macht mich traurig, dass Sam und ich es nicht hinbekommen haben, zusammen zu sein, obwohl das mein sehnlichster Wunsch war. Und es macht mich traurig, dass sich auf einmal alles wie ein Puzzle zusammenfügt: Alice' Entschuldigung, Sophia's Rückzug, meine Freundschaft zu Cole und meinen Wechsel, den ich hinausgezögert habe, um noch einmal darüber nachzudenken. Nur Sam fehlt. Und es sieht nicht so aus, als würde ich das fehlende Puzzleteil wiederbekommen.

"Warum erzählst du mir das?" frage ich sie und bemerke, wie meine Stimme bricht. Tränen steigen mir in die Augen und alle Gefühle, die ich in den letzten Wochen aufgestaut habe, scheinen nun heraus zu wollen. Schnell senke ich den Blick, damit Alice dies nicht sieht. "Ich habe in den Nachrichten gesehen, dass du eine neue Freundin hast. Und ich möchte dir deine neue Beziehung nicht auch wieder zerstören, aber wenn dir noch etwas an Samantha liegt und deiner Reaktion nach zu urteilen, tut es das noch. Dann möchte ich dich bitten, um sie zu kämpfen. Ich weiß, das klingt blöd. Aber man sieht, dass ihr beide nicht glücklich seid. Leon, Samantha ist gestern Nacht ins Krankenhaus eingeliefert worden." sagt sie ernst. Entsetzt sehe ich sie an. "Was ist passiert?" frage ich sie besorgt.

"Ich kann dir nichts Genaueres sagen. Aber Cole meinte, hätte man sie zwei Stunden später gefunden wäre sie jetzt wahrscheinlich tot." an ihrer Stimme kann ich hören, dass Alice sich Vorwürfe macht. "Meine Tochter hätte tot sein können." sagt sie leise und schüttelt immer noch ungläubig den Kopf. "Wie geht es ihr denn jetzt?" frage ich abermals und bemerke, dass ich mich immer noch so sehr um Sam sorge, dass es mir selbst schlecht geht, wenn ich davon höre. "Sie ist wieder zuhause und einigermaßen stabil. Aber sie wollte mir nicht erzählen, was vorgefallen ist." schluchzt Alice.

Ich lege ihr einen Arm um die Schulter und tröste sie. "Es ist nicht deine Schuld. Und Sam geht es wieder gut. Nicht mehr lange und sie ist wieder auf den Beinen." versuche ich sie zu beruhigen, obwohl ich gerade selber jemanden brauche, der mich beruhigt. "Leon?" bringt sie hervor. "Ja?"

"Matt hat mich gestern Abend angerufen. Er will mit Samantha nach Amerika auswandern, damit die beiden zusammen neu starten können." sagt sie leise und schluchzt immer noch. Sam will auswandern? Nach Amerika? "Wirklich?" harke ich nach. Mir ist gar nicht gut zumute. "Ja, er sagte, dass Sam und er einen schlimmen Streit hatten und jetzt an ihrer Ehe arbeiten wollen. Weit weg von allen anderen. Anscheinend hat er herausgefunden, dass Sam sich mit jemand anderem getroffen hat und will sie jetzt aus dieser Umgebung entziehen. Aber er hat ihr davon noch nichts erzählt."

Meine Gedanken und Gefühle spielen verrückt. Wenn Sam mit Matt auswandert, dann sehe ich sie nie wieder. Ich will nicht, dass sie weggeht. Ich brauche sie doch. "Leon, das ist der eigentliche Grund, warum ich dich heute hier herbestellt habe. Wenn Sam auswandert, dann sehen wir alle sie wahrscheinlich niemals wieder. Dafür wird Matt sorgen. Ich bitte dich, kämpfe um sie. Sie liebt dich, genauso wie du sie liebst. Das hat sie immer getan. Du bist der einzige Mensch, der Samantha davon abhalten kann, uns alle zu verlassen."

prisoned - LG8 | jmjmmnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt