16 - Sam

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Ich merke, dass ich zittere. Ich fühle mich unwohl und Leon merkt das ebenfalls. Beruhigend streicht er über meinen Handrücken, aber das hilft nicht gegen meine innere Aufgewühltheit. Gleich wird Leon die ganze Wahrheit kennen und ich weiß nicht, wie er reagieren wird. Mein Leben ist kaputt, ich bin kaputt. Niemand will etwas mit einem kaputten Menschen zu tun haben. Ich will es ihm nicht erzählen, aus Angst, dass er sich von mir abwendet.

Da erinnere ich mich an etwas, was meine Mutter mir gesagt hat, als mein Dad damals das erste Mal zurückgekommen ist. "Sam, du musst etwas riskieren. Wenn du es versuchst, hast du eine 50% Chance, dass es klappt. Aber wenn du es nicht versuchst, stehen deine Chance bei 0%. Verstehst du? Du musst dir selber die Chance geben, es zu schaffen. Du kannst verlieren, aber es ist wichtig es zu versuchen. Und der Versuch ist eigentlich schon das Preis dafür."

Sie hat recht, ich habe keine Chance, wenn ich es nicht versuche. Also erzähle ich weiter. "Wenige Monate später, ich war gerade 18 geworden, stand mein Vater meiner Zimmertür, bei ihm war ein anderer Mann und Matt. Sie griffen nach mir und fesselten mich, obwohl ich mich wehrte. Sie fuhren mich zu einem großen Haus. Dort erklärten sie mir, dass ich verlobt sei und ich in ein paar Wochen heiraten sollte. Ich war total perplex und wusste nicht, was ich sagen sollte. Immerhin standen vor mir ein fremder Mann, mein Freund und mein Vater. Der Mann erklärte mir dann, dass mein Vater immer noch abhängig war und dieser Mann seine Sucht bezahlt. Der Mann war Matts Vater, immer wenn ich dachte, mein Vater geht zur Arbeit, ging er in Wahrheit zu diesem Mann und nahm irgendwelche Drogen. Als er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, kam er dann wieder nach Hause und tat so, als sei nichts vorgefallen." ich kann meine Wut nicht unterdrücken. Leon sieht mich besorgt an, aber ich winke nur ab.

"Zumindest bin ich komplett ausgerastet. Schrie meinen Vater an und wollte mich befreien, aber es ging nicht. Matt saß die ganze Zeit daneben und tat nichts. Dann erklärte sein Vater, dass mein Vater sehr viele Schulden bei ihm hat und er die jetzt irgendwie begleichen müsste und da mein Vater sowieso kein Geld hatte fiel seine Wahl auf mich. Mein eigener Vater hatte mich, seine einzige Tochter, im Tausch gegen Drogen angeboten. "Ich zerbrach. Nie in meinem ganzen Leben hatte ich gedacht, dass er mir so etwas antun könnte, aber anscheinend tat er es ohne mit der Wimper zu zucken. Matt eröffnete mir dann, dass ich ihn in drei Wochen heiraten sollte. Versteh mich nicht falsch, ich mochte Matt zu diesem Zeitpunkt wirklich gerne und ich war gerne mit ihm zusammen und er half mir wieder mit meinem Alltag klarzukommen. Dass er mir nur half, weil sein Vater meinen Vater ausgenutzte, war für mich damals unbeschreiblich schmerzhaft. Mir war damals auch klar, dass Matt nicht die Liebe meines Lebens ist, aber ich war verletzt, dass er mein Vertrauen so schamlos ausgenutzt hatte."

"Warum hast du ihn trotzdem geheiratet?" fragt Leon leise. Er sieht mich verstört an. Genau die Reaktion, die ich erwartet hatte "Matts Vater gewährte mir eine Woche Bedenkzeit, auch wenn uns allen klar war, dass es sowieso keinen Ausweg gab. Mein Vater redete mit Engelszungen auf mich ein, aber ich war einfach nur angeekelt von ihm. Als mein Vater meine Mutter einweihte und ihr erzählte, was er vorhat, schrie sie ihn an und schlug ihm ins Gesicht, dann fing sie bitterlich an zu weinen. Matts Vater war und ist immer noch ein einflussreicher Mann sie wusste auch, dass es keine Alternative gab. Er hätte unsere Familie in den kompletten Ruin gestürzt. Also versuchte sie mich ebenfalls von der Hochzeit zu überzeugen, auch wenn sie längst mit meinem Vater gebrochen hatte, wollte sie mich beschützen und mich wenigsten sicher wissen, in einem reichen Haushalt Nach der einen Woche kam Matts Vater wieder bei uns vorbei, mein Vater hatte sich bis dahin nicht bei uns gemeldet, nach dem Ausraster meiner Mutter ist er abgehauen. Aber dann war er wieder da, er saß neben mir. Ich hatte meinen Entschluss gefasst, es wenigstens zu versuchen. Also stand ich auf und sagte, dass ich Matt nicht heiraten wollte. Da nahm Matts Vater eine Waffe aus seiner Tasche und zielte auf mich. Selbst Matt war erschrocken über das, was sein Vater tat. Aber dieser sagt nur: 'Dann musst du jetzt sterben, du kleine Schlampe!' ich machte mich schon bereit zu sterben. Aber als Matts Vater abdrückte und es laut knallte, spürte ich keinen Schmerz. Mein Vater hatte sich in den Schuss geworfen, die Kugel traf ihm in den Magen. Ich weiß noch, wie er sich vor Schmerzen krümmte." jetzt zittere ich am ganzen Körper. Mein Körper spielt verrückt, die Erinnerungen machen mir immer noch zu schaffen.

"Der Schock saß tief, ich schrie Matt an, dass er Hilfe holen sollte und das tat er auch. Ich werde nie vergessen, wie ich neben meinem Vater kniete und er Blut spuckte, er krümmte sich vor Schmerzen. Aber er sah mir in die Augen, Tränen standen in ihnen. Er zitterte. Das letzte was er zu mir gesagt hat war. 'Heirate Matt, er wird gut für dich sorgen für dich und deine Mutter. Ich liebe euch.' und dann ist er gestorben. In meinen Armen. Noch bevor irgendeine Hilfe kommen konnte." ich schluchze. Es tut weh, davon zu erzählen.

Da spüre ich zwei Arme, die mich festhalten. Leon zieht mich näher zu sich. Die ganze Zeit habe ich die Tränen unterdrückt, aber jetzt kann ich sie nicht mehr zurückhalten und weine hemmungslos an Leons Brust. Er sagt nichts und dafür bin ich ihm dankbar. "Danke." bringe ich heraus und Leon nickt schwach. Als ich mich beruhigt habe, will ich meine Geschichte wenigstens zu ende erzählen. Ich richte mich wieder auf. "Matts Vater ist verhaftet worden, er sitzt immer noch im Gefängnis. Matt hat seine Firma übernommen und ich habe ihn geheiratet, weil mein Vater es so wollte. Ohne, dass-" "Ohne, dass du ihn je wirklich geliebt hast." beendet Leon meinen Satz. Ich nicke. "Ja, obwohl ich damals enttäuscht von meinem Vater war. Wusste ich, dass er mich liebte und meine Mutter auch, egal was er getan hat. Er wollte mich sicher wissen, als er starb. Deswegen tat ich was er von mir verlangte und erfüllte ihm seinen letzten Wunsch." beende ich meine Geschichte.

"Also hast du ihn geheiratet, weil dein Vater es so wollte. Du hattest aber keine Gefühle für ihn und bist jetzt schon seit drei Jahren mit ihm verheiratet, unglücklich?" Leon rauft sich die Haare. "Zuerst dachte ich, ich könnte Zuneigung für Matt empfinden. Immerhin waren wir ja irgendwie befreundet. Aber mit der Zeit wurden wir uns immer fremder. Meine Mutter verfiel in Depressionen und Cole handelte sich eine Menge Ärger wegen mir ein. Aber ich blieb bei Matt, begleitete ihn zu seinen Meetings und machte eine gute Miene zum bösen Spiel. Matt umsorgte mich, er war wirklich lieb und er tat mir nie etwas an." ich mache eine Pause und atme tief durch. "Aber seit ein paar Monaten habe ich manchmal Angst vor ihm, wenn er nach Hause kommt. Ich sehe seinen Vater in ihm und kann mich nicht dagegen wehren. Er hat meine Familie zerstört, ich bin so unglaublich wütend auf ihn." Leon drückt meine Hand.

"Gestern als wir uns nähergekommen sind und du im Bad warst... Genau diese Wut habe ich gespürt. Die Wut auf Matt, denn er ist derjenige, der dem Ganzen im Weg steht. Und da habe ich unser Hochzeitsbild zerschmissen." unbewusst sehe ich hinab auf meine Hand. Obwohl ich ein Pflaster darüber geklebt habe, sieht man die Verletzung noch. Leon nimmt meine Hand in seine und betrachtet die Wunde. Nachdenklich sieht er mich an. "Und ich, Idiot dachte..." er senkt seinen Blick und schüttelt leicht seinen Kopf. "Es tut mir leid."

"Das muss dir nicht leidtun. Ich hätte wahrscheinlich dasselbe gedacht." erwidere ich. "Ich wollte das richtigstellen, weil ich Also ich, ich war überrascht, dass du wusstest, dass ich verheiratet bin. Schon in der Nacht in Köln. Ich hatte es dir ja nicht erzählt und normalerweise trage ich auch keinen Ehering. Als ich dann gestern deine Reaktion beim Fußball spielen gesehen habe, ich wusste, dass es Zeit war, dir die ganze Geschichte zu erzählen." er nickt langsam, dann sieht er mich an. "Es bedeutet mir viel, dass du es mir erzählt hast." sagt er leise.

"Weißt du, Sam, es ist vielleicht nicht alles optimal gelaufen, aber ich mag dich. Du hattest mich schon, als wir uns das erste Mal getroffen haben. Als ich dir das erste Mal in die Augen gesehen habe. Auch als Kate mir gesagt hat, dass ich mich von dir fernhalten soll, weil du verheiratet bist. Ich kenne diesen Matt nicht und es tut mir leid für ihn. Ich weiß auch nicht, woher das so schnell kommt, ich meine wir kennen uns erst ein paar Wochen. Aber ich würde gerne herausfinden, was da ist, denn ich glaube, wir sind es wert. Sam, was sagst du?" erwartungsvoll sieht er mich an.

prisoned - LG8 | jmjmmnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt