44 - Leon

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Kopfschüttelnd öffne ich die Tür und staune nicht schlecht, als ich sehe, wer da vor meiner Tür steht.

"Kann ich reinkommen? Ich muss nur kurz mit dir reden."

Verwirrt runzele ich die Stirn. "Ähm ja, komm rein." sage ich und trete ein Stück zur Seite. Immer noch erstaunt was gerade Cole hier macht und warum er mit mir reden möchte, folge ich ihm ins Wohnzimmer. Er setzt sich aufs Sofa. Ich gehe weiter in die Küche und hole uns beiden ein Bier. Ich frage mich immer noch, warum Cole hier ist, aber ich hoffe, das erfahre ich gleich.

Als ich wieder im Wohnzimmer angelangt bin, setze ich mich neben Cole. Wir haben in den letzten Wochen immer mal wieder geschrieben, deswegen bin ich erstaunt, dass er, bevor er vorbeigekommen ist, nicht geschrieben hat. Ich muss dazu sagen, dass ich nachdem ich von Sam weg bin auch den Kontakt zu Cole gemieden habe, da ich erstmal mit allem fertigwerden musste. Ich habe ihn zuletzt beim Umzug gesehen, denn nachdem wir geschrieben haben, habe ich Grace und Cole meine Hilfe angeboten. Aber danach habe ich den Kontakt vermieden.

"Was verschafft mir die Ehre?" frage ich in die Stille hinein. Cole sieht nachdenklich aus. "Wie geht es dir?" fragt er mich und sieht sich dann im Wohnzimmer um. Auf einmal ist mir die Unordnung, die ich in den letzten Wochen angehäuft habe und die mich eigentlich bis dato nicht gestört hat, ziemlich unangenehm. Ich bin mir sicher, Sam hat ihm schon alles erzählt, also macht es auch keinen Sinn vorzugeben, es sei alles in Ordnung.

"Mir geht's beschissen." gebe ich zu und nehme einen langen Zug aus meiner Bierflasche. Cole nickt. "Das sieht man." erwidert er. "Wegen dem Chaos hier? Hättest du mir geschrieben, dass du vorbeikommst, hätte ich aufgeräumt, aber-" versuche ich mich zu verteidigen, aber Cole mich unterbricht mich. "Das meinte ich nicht. Man sieht es dir an. Du hast tiefe Augenringe und du hast dich bestimmt seit Wochen nicht rasiert. Und deine Augen strahlen nicht mehr so voller Lebensfreude, wie sie es taten, als ich dich kennengelernt habe." stellt Cole fest.

Ich schüttele den Kopf. "Ach ja?" frage ich ihn mehr oder weniger ironisch. "Ja. Ich kenne mich damit aus." antwortet Cole schlicht. "Ist das so?" "Ja. Weißt du warum?" fragend sieht er mich an und ich zucke einfach nur mit den Schultern. Also fährt Cole einfach fort. "Ja, ich kenne das, weil Sam genauso aussieht wie du." sagt er und auf einmal werde ich hellhörig. "Sam?"

"Ja, Sam. Sie hat uns letztens besucht und eigentlich sagt man das ja nicht, aber sie sah echt scheiße aus. Als hätte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen und dazu hatte sie auch noch furchtbar schlechte Laune." erzählt Cole und mustert immer wieder mein Gesicht, als würde er eine Reaktion meinerseits abwarten. "Hm." ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. "Sie sagt zu Matt immer, dass sie Migräne hat, aber wir wissen beide, was der wirkliche Grund ist. Und anscheinend geht es nicht nur Sam so, sondern offensichtlich auch dir." er sieht mich durchdringend an.

Ich lehne mich nach vorne und stütze meine Arme auf meine Knie und lege meinen Kopf darauf. Ich habe keine Energie, um jetzt über Sam zu reden. "Was soll ich sagen? Was willst du von mir hören? Natürlich gehts nicht gut, diese ganze Situation macht mich krank. Ich fühle mich elend und es will einfach nicht aufhören wehzutun." gebe ich zu und ich versuche erst gar nicht meine Verzweiflung zu verbergen, denn alles andere wäre eine Lüge.

Ich spüre Coles Hand auf meiner Schulter, tröstend klopft er mir zweimal auf die Schulter. "Es tut mir wirklich leid, wie das alles abgelaufen. Sam wollte dir bestimmt nicht absichtlich wehtun, aber es ist auch schwer für sie. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Einerseits möchte sie unsere Mutter nicht enttäuschen und Matt im Stich lassen und andererseits weiß sie auch, dass du ihr unglaublich viel bedeutest. Es war keine Entscheidung gegen dich. Sie hat einfach nur rational gehandelt." sagt er leise und ich höre in seinem Unterton einen Hauch von Bedauern.

Ich nicke. "Ich weiß, sie hatte praktisch keine Wahl." sage ich ein wenig trotzig. "Das habe ich so nicht gesagt. Sam hatte eine Wahl und sie wusste, dass sie früher oder später eine Entscheidung treffen musste. Ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat, das kann ich dir nicht sagen, aber ich sehe Sam, wie sie jetzt ist und wie sie vor ein paar Wochen war." bedeutungsvoll klopft er mir noch einmal auf den Rücken.

Ich nicke nur. Das, was er sagt, hat mich nachdenklich gemacht. Klar, der Schmerz ist immer noch da, aber es war nicht so schlimm, über sie zu sprechen, als zuvor. Cole hat mich mit seinen Worten ein wenig aufgebaut und wenigstens habe ich etwas von Sam gehört. Denn so blöd es auch klingt, ich sorge mich immer noch um sie. Ob es ihr gut geht, was sie gerade macht und ob sie wohl glücklich ist.

"Ich wollte aber etwas anderes mit dir besprechen." sagt Cole und räuspert sich. "Also, erstmal wollte ich mich nochmal bei dir bedanken. Dass du uns beim Umzug geholfen hast. Grace und ich hätten gar nicht gewusst, was wir ohne deine Hilfe gemacht hätten, zumal wir Amber ja auch noch nicht in den Kindergarten bringen konnten und es Sam ja auch schlecht ging. Das ist nicht selbstverständlich." sagt Cole. "Das habe ich gerne gemacht, ich bin froh gewesen, dass ich in den letzten Wochen mal was anderes gesehen habe." erwidere ich schulterzuckend. "Trotzdem, wenn du irgendwann mal etwas brauchen solltest. Wir helfen dir gerne, dafür ist Fami-" er unterbricht sich selber.

Auch ich zucke zusammen. Familie. Familie wären wir, wenn Sam und ich zusammen wären. Und plötzlich schmerzt es wieder. "Sorry, ich habe nicht drüber nachgedacht." entschuldigt sich Cole murmelnd. Ich winke ab. "Schon okay." sage ich, obwohl gar nichts okay ist. Cole sieht mich noch einmal fragend an, um nachzufragen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Ich nicke nur und signalisiere ihm, dass ich nicht weiter darüber sprechen möchte.

"Nun gut. Zumindest hatten wir doch vor dem Umzug darüber gesprochen, ob ich Grace einen Heiratsantrag machen sollte und ob es nicht noch zu früh ist. Und auch hier muss ich mich noch einmal bei dir bedanken, dafür, dass du mir in den Allerwertesten getreten hast und ich ihr vorgestern einen Antrag gemacht habe." erzählt er. Gespannt sehe ich ihn an. "Und was hat sie gesagt?" frage ich aufgeregt. "Sie hat Ja gesagt" Ich werde heiraten!" lässt er die Bombe platzen. Begeistert springe ich auf und gratuliere ihm.

Ich freue mich ehrlich für die beiden. Und obwohl Cole anfangs seine Zweifel hatte, habe ich ihm gesagt, dass wenn man die Frau seines Lebens getroffen hat, sie auf gar keinen Fall wieder gehen lassen sollte. Denn die Chance, seine große Liebe zu heiraten, bietet sich nur einmal im Leben und das sollte man auf gar keinen Fall verpassen. Und so sehr ich mich für Grace, Cole und auch Amber freue, dass sie jetzt eine offizielle Familie werden, so paradox ist es auch, dass ich meine große Liebe habe laufen lassen.

"Danke, Mann. Ich hoffe, du kommst zur Hochzeit, auch wenn Sam da ist. Dann müsst ihr euch wohl oder übel miteinander befassen." vorsichtig sieht Cole mich von der Seite an. "Ich werde ihr dann einfach versuchen, ihr und Matt einfach aus dem Weg zu gehen." antworte ich gleichgültig. "Hm. Also so einfach wird es dann wahrscheinlich doch nicht sein." druckst Cole herum. "Wie meinst du das? Was geht nicht so einfach?" harke ich nach.

"Naja, also Sam wird wahrscheinlich Graces Trauzeugin sein, also wird sie überall sein und ich wollte dich eigentlich fragen, ob du mein Trauzeuge sein möchtest. Ich weiß, es ist für dich eine Überwindung, nachdem, was alles zwischen euch passiert ist und die Trauzeugen müssen auch noch so viel zusammenarbeiten. Aber ich hätte dich gerne dabei..." redet Cole schnell, sodass ich gar nicht dazwischen komme. "Cole, bleib ruhig. Du musst keinen neuen Weltrekord im Schnell-Reden aufstellen." versuche ich ihn zu beruhigen.

Cole nickt. "Okay, ich weiß, dass es viel verlangt ist. Aber möchtest du mein Trauzeuge sein?"  fragt er und sieht mich erwartungsvoll an.

prisoned - LG8 | jmjmmnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt