Trevor
Seit Kelsey mich geküsst hat, habe ich irgendwie ein schlechtes Gewissen. Weshalb ich schon wieder nicht schlafen kann. Ich wollte es Leo eigentlich schreiben, doch das fand ich doof. Dann kann ich mich vielleicht wieder nicht ausdrücken und er könnte es falsch verstehen, also generell blöd. Und wenn ich bis heute Nachmittag warte, finde ich es eigentlich auch doof, weil dann die Frage kommen könnte, weshalb ich ihm das nicht gleich gesagt habe. Oder soll ich es ihm überhaupt nicht sagen und so tun als wäre nie was gewesen?
Ich will da einmal hilfreich sein. Bist du bescheuert? Er bekommt das doch so oder so raus und dann ist er sauer, weil du es nicht gesagt hast. Woraufhin er verletzt ist und ich habe dir gesagt, dass du das nicht machen sollst, wenn du da was Längeres willst.
Das Miststück hat wirklich Recht. Wehe das geht in die Hose. Ich mache dich höchstpersönlich dafür verantwortlich.
Das will ich sehen, wie du dich selbst fertig machst, weil ich du bin und du bist ich. Also viel Spaß dabei.
Immer diese verfluchten Besserwisser. Ich kann es nicht leiden und doch stimmt es. Es ist vermutlich besser für alle Beteiligten, wenn ich es ihm einfach bei nächster Gelegenheit sage und das muss noch heute sein. Für Kelsey ist die ganze Sache schon am selben Abend gegessen gewesen, diese Unbekümmertheit hätte ich auch gern.
„Trevor, lass die Lippe dran", kichert Kelsey in der Pause zwischen zwei Vorlesungen. Erst da bemerke ich, dass ich die ganze Zeit beim Nachdenken, auf meiner Unterlippe kaue. Das ist eine meiner schrecklichsten Angewohnheiten. Manche Tage habe ich sie sogar blutig gebissen. Das ist fast schlimmer wie Nägelkauen.
„Jetzt hör auf dir einen Kopf zu machen. So schlimm wird es schon nicht", versucht sie mich etwas zu beruhigen, doch ich bin mir da nicht so sicher. Ich kann Leo in der Hinsicht gar nicht einschätzen. Ich kann es einfach nicht.
„Soll ich mitkommen?", fragt sie vorsichtig. Doch ich schüttle nur den Kopf. Das muss ich alleine machen.Denke ich.Die Vorlesung vergeht viel zu langsam, immer wieder schaue ich auf die Uhr und jedes Mal sind nur ein paar Minuten vergangen. Ich will es doch nur hinter mich bringen, doch irgendwie scheint alles gegen mich zu sein. Erst kam der Dozent zu spät und hängt das jetzt hinten ran und ich kann darauf wetten, dass ich dann die S-Bahn nicht mehr schaffe. Ich sollte mehr mit Fahrrad fahren, da bin ich nicht so an diese doofen Öffis gebunden.
Aber auch das überstehe ich. Irgendwie. Jetzt befindet sich nur die Wohnungstür zwischen uns. Fuck! Ich habe richtig Schiss. Das kann man ja keinem sagen. Das ist auch total neu für mich, ich bin doch sonst nicht so. Wieso mache ich mich jetzt selbst so fertig?
Ich habe doch geklopft, schon vor ein paar Minuten. Wieso macht Leo nicht auf? Er hat doch geschrieben, dass er wieder zu Hause sei. Ich schreibe ihm einfach nochmal.
-Bin eine Etage über dir.-
Eine Antwort kommt schnell zurück. Er hätte doch gleich sagen können, dass er auf dem Dach eine raucht. Von mir bekommt er dafür doch keine Vorwürfe gemacht. Er ist doch alt genug, um das selbst entscheiden zu können. Seufzend rolle ich nur mit den Augen und gehe zu ihm.
Entspannt sitzt er auf der Hollywoodschaukel. Von hier oben hat man wirklich einen schönen Ausblick über Berlin, da hat er sich mit seiner Nachbarin, Lily, wirklich was Schönes einfallen lassen, um es hier oben gemütlich zu haben. Es sind auch nur die zwei, die hier hoch kommen, alle anderen wissen hier von so gut wie nichts. Das ist halt der Luxus, wenn man in der obersten Etage wohnt.
Laut atme ich aus, als ich mich neben ihn setze.
„Was hast du angestellt?", ist das Erste was er fragt, noch bevor ich überhaupt was gesagt habe.
„Guck nicht so. Das sehe ich dir an", erklärt er, doch fordert mit seinem Blick eine Antwort und die ist gefälligst harmlos, jedenfalls würde er sich das wünschen.
„Kelsey hat mich geküsst..." Er will schon den Mund aufmachen und mir ins Wort fallen, doch ich lege einfach die Hand darüber. Ich will das jetzt vom Tisch haben.
„... aber ich hab ihr gesagt, dass ich schwul bin." Vorsichtig nehme ich meine Hand wieder weg und will eigentlich schon in Deckung gehen, doch er schaut mich nur skeptisch an.
„Hast du nicht", sagt er lediglich und ich bin sofort verwirrt. Welches der zwei Sachen meint er jetzt?
„Du hast es ihr nicht gesagt. Das andere war klar, dass es irgendwann kommt", fügt er hinzu.Ich weiß höchstunwahrscheinlich. Dafür bin ich doch noch viel zu oft verwirrt und verstehe es eigentlich immer noch nicht. Hey, was soll das jetzt heißen? Das war doch nicht meine Schuld, dass sie mich geküsst hat.
„Doch. Wieso nicht?", bestätige ich und bin auf seine Antwort gespannt.
„Weil das bei dir Jahre dauert, bis du das akzeptiert hast. Du denkst immer zu viel nach", erklärt er, doch irgendwie scheint er wegen dem Kuss nicht sauer zu sein. Er starrt allerdings nur gerade aus und schaut mich nicht an. Gut nicht sauer, aber verletzt.Verdammte Stimme, sie musste es schon wieder besser wissen. Das fühlt sich scheiße an. Er soll nicht wegen mir verletzt sein. Das will ich nicht.
„Hab ich trotzdem, weil sie wissen soll, dass ich mit dir zusammen bin." Wirklich aufrichtig schaue ich ihn an und warte auf irgendeine Reaktion. Die Sekunden in denen nichts passiert, fühlen sich ewig an und zerren an meinen Nerven. Nur langsam dreht er den Kopf und schaut mich mit leicht ungläubigen Blick an.
Sag doch endlich was. Ja, ich weiß, keiner von uns hat es je Beziehung genannt oder es irgendwie in die Richtung formuliert. Doch ich will es jetzt und das ich es zuerst sage, ist eh so eine vollkommen unfassbare Sache.
Ich glaube, wenn er nicht gleich etwas sagt, dann gehe ich wieder, dann scheint das alles keinen Sinn zu haben.
„Denk das nochmal und du bekommst richtig Ärger mit mir." Leicht legt er mir dabei die Hand in den Nacken und zieht mich langsam zu sich. Woher konnte er wissen was ich denke? Das ist verdammt unheimlich.
„Wenn du aufhörst andere zu küssen, dann bin ich gerne mit dir zusammen." Während er das sagt bildet sich ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht ab. Mein Herz macht einen kleinen Sprung und es besteht für mich gar keine andere Möglichkeit als ihn zu küssen. Ich muss es einfach, ich kann anders nicht ausdrücken, was gerade in mir vorgeht. Ich bin einfach nur glücklich. Von meinem Nacken, wo er mir leicht durch die Haare fährt, breitet sich eine leichte Wärme aus, die einfach nur schön ist. Genau deswegen will ich mit ihm zusammen sein. Wegen dieser komischen Gefühle, die ich eigentlich nie definieren konnte und jetzt endlich weiß was sie bedeuten. Als hätte ich die Antwort auf so viele meiner Fragen gefunden.„Wie bist du auf die Idee gekommen?", haucht er leise und lehnt seine Stirn gegen meine. Ich nehme jetzt mal einfach stark an, dass er von der Bezeichnung Beziehung redet.
„Zu viel nachgedacht", gestehe ich leise und schaue verlegen weg. Er stupst mich nur leicht mit der Nasenspitze an, damit ich ihn wieder ansehe. Das Lächeln dabei ist einfach zu süß.
„Das müssen wir dringend ändern", wispert er und fängt den nächsten Kuss an.Den restlichen Nachmittag verbringen wir auf dem Dach. Durch die großen Pflanzen und der gemütlichen Dekoration bemerkt man fast nicht, dass es nicht der heimische Garten ist, sondern einfach nur ein Dach in mitten von Berlin. Er erzählt mir wie langweilig seine Schulung war und ich berichte wie ich die Tage ohne ihn verbracht habe. Ich lasse auch nicht aus, dass ich bereits Montagvormittag leicht angetrunken war, wofür ich mir eine leichte Kopfnuss und einen tadelnden Blick einfange. Allerdings war ich Dienstag wieder pünktlich in der Vorlesung, dafür bekomme ich sogar einen Kuss. Das Zuckerbrot und Peitschen Prinzip scheint er verstanden zu haben und ich glaube ich werde es voll ausnutzen, wenn ich immer einen Kuss bekomme, wenn ich etwas richtig gemacht habe. Ich mag diese Küsse viel zu sehr, also die richtigen und nicht nur diesen einfachen Schmatzer, diese intensiven, gefühlvollen, leidenschaftlichen Küsse sind das Beste. Dafür mache ich fast alles. Dafür lasse ich mir auch im Eifer des Gefechts schon mal einen Knutschfleck verpassen. Noch vor zwei Wochen hätte ich nicht geglaubt, dass ich mich darauf so einlassen kann.
DU LIEST GERADE
One Day There Was You
General FictionTrevor ist mit seinem Leben nicht zufrieden. Es ist langweilig. Er hat keine Freundin. Und es macht auch nicht den Anschein, als würde er in naher Zukunft eine haben. Dafür hat er schon zu lange nichts mehr gefühlt, was Liebe nah kommen könnte. Eige...