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Leo


„Leo, mein Lieblingsbruder", strahlt mich Megan an. Wie oft ich ihr schon gesagt habe, dass sie nur mich hat und dadurch nur ich ihr Lieblingsbruder sein kann, kann ich gar nicht mehr an einer Hand abzählen.
„Was willst du, kleine Hexe?", ärgere ich sie und schiele über meinen Bildschirm rüber, um sie ansehen zu können. Ich bemerke dabei wie Colin anfängt, große Ohren zu bekommen und versucht unauffällig zu lauschen, während er so tut als würde er arbeiten.
„Fang du nicht auch noch so an. Reicht wenn Trevor das sagt", mault sie, doch ich weiß das sie es nicht stört, denn im Gegenzug nennt sie ihn schließlich Tinkerbell, wie auch immer sie auf diese Idee gekommen ist. Elfengleich ist er nun nicht wirklich.
„Papa will, dass du mit mir am Wochenende zu ihm fährst. Hätte wohl irgendwas mit seiner Freundin zu tun", erklärt sie.

Dabei wühlt sich durch die Papiere auf den leeren Schreibtisch mir gegenüber, den sie immer für Hausaufgaben nutzt, wenn sie nach der Schule doch mal herkommt. Ich nutze diesen immer nur zum Ablegen von Dokumenten, die ich demnächst wieder brauche.

„Da kommt er nicht mal selbst? Geht außerdem gar nicht. Das Wochenende ist schon verplant", brumme ich nur kurz.

Eigentlich habe ich absolut nichts vor, außer mit Trevor auf dem Sofa zu gammeln, ich halte das durchaus für eine bessere Beschäftigung als zu Papa zu fahren. Ich weiß nicht mal was ich da soll und mich mit ihm unterhalten kann ich auch hier. Wenn ich denn wollte. Also auch eher weniger. Jedenfalls nicht privat.

„Dann nimm doch Trevor mit." Frech grinst sie mich an. Sie weiß ganz genau, dass Papa immer noch keine Ahnung hat und ich habe eigentlich auch wenig Lust es ihm zu sagen. Sie kann auch nachvollziehen, weshalb ich das nicht will. Ich ziehe nur eine Augenbraue hoch, woraufhin sie leise lacht.

„Ach da seid ihr ja. Ähh. Samstag um elf bei mir." Kurz steckt Papa den Kopf in mein Büro rein und hat schon wieder diesen befehlshaberischen Ton drauf.

Bevor ich darauf überhaupt antworten kann, ist er auch wieder weg. Genervt atme ich laut aus. Ich will da nicht hin. Da weigert sich sogar mein Auto hinzufahren. Das möchte auch nicht, dass ich dahin muss. Wie Megan es jede zweite Woche mit ihm aushält, ist mir ein wahres Mysterium.

„Soll ich dann früh zu dir kommen?", fragt sie und geht wohl davon aus, dass ich pflichtbewusst da antanzen werde.
„Ne. Ich hole dich ab. Aber wenn ich bis um Viertel vor elf nicht da bin, dann musst du mit Öffis fahren, weil ich nicht will", brumme ich höchst begeistert. Da wird Trevor aber erfreut sein, wenn er Samstag seine Ruhe vor mir hat. Er wird dann bestimmt für die Klausur nächste Woche lernen.

Gott, bin ich froh wenn die durch ist. In der ganzen Wohnung hängen Klebezettelchen mit irgendwelchen Sachen, die er sich noch merken muss. Am Spiegel in der Garderobe hängen sämtliche Definitionen, die man wissen sollte. Am Kühlschrank wurden Berechnungshilfen platziert, die er jedes Mal anschaut, wenn er an den Kühlschrank will und dann aber vergisst, was er holen wollte. Wirklich überall kleben bunte Post-its verteilt. Das sieht aus. Naja Mittwoch ist das ja vorbei, dann kommen die Zettelchen alle wieder ab.

Lange habe ich abgewogen, ob ich wirklich zu Papa fahren soll oder ob ich es einfach sein lassen sollte, doch was mache ich gerade? Richtig. Ich fahre dahin, nur weil ich mir den Ärger, der sonst folgt, wenn ich es nicht mache, ersparen will.

„Jetzt zieh doch nicht so eine Fresse. Das wird schon irgendwie lustig", versucht Megan mich aufzumuntern, doch das klappt nicht. Lustig? Wohl eher unerträglich und ich werde es verfluchen, dass ich es nüchtern ertragen muss, weil ich Auto fahren muss.

Und was macht Trevor? Der hat noch gemütlich auf dem Sofa gelümmelt und hat mir mit einem frechen Grinsen viel Spaß gewünscht, während er die Nase wieder in seinen Hefter gesteckt hat, um sich weiter auf die Klausur vorzubereiten. Selbst wenn ich mich nur daneben gesetzt hätte, wäre es noch viel schöner gewesen, als das jetzt.

One Day There Was YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt