Kapitel 39

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Gegen halb neun stand Victoria auf, Knut war bereits wach. Gemeinsam frühstückten sie, es gab, wie häufig am Wochenende etwas Besonderes, heute waren es Blaubeermuffins. Zwei packte Victoria ein . Knut schmunzelte. Da auch er den Tag über unterwegs sein würde, knuddelte er seine Maus noch einmal kräftig. Zufrieden eilten sie in ihre Zimmer und machten sich fertig. 

Sie entschied sich für einen lila-schwarzen Schottenrock , den sie mit einem T-Shirt und einem schwarzen Cardigan kombinierte. Draußen war es zwar warm und sonnig, aber im Krankenhaus selber fröstelte man nach einiger Zeit schon. Dazu zog sie schwarze Ballerinas an. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel, stürmte sie zu Knut, der gerade sein Hemd zuknöpfte. Sie wuschelte ihm kräftig durch die Haare, dann machte sie sich auf den Weg. 

Chris erwachte völlig zernagelt. Ihm tat jede Gräte einzeln weh! Er angelte nach seinem Smartphone. Bedächtig schaltete er es ein. Eine längere Abfolge von Pieptönen erklang, dazwischen ein einziger Harfenton! Eilig scrollte er durch die Nachrichten, die meisten waren von Tanja, die fragte, ob er rummachen wollte und eine gute Besserung von Knut. Doch da war eine Nachricht von Prinzessin! Sie hatte ihm gute Besserung und schöne Träume gewünscht. Glücklich lächelnd tastete er nach Pikachu, den er fest knuddelte. Er hatte ihn die ganze Nacht nicht losgelassen, als sei es sein Anker um nicht völlig im Strudel aus Schmerzen, Qual und Leid abzusaufen. Das Kribbeln , wie Millionen Ameisen, unter seiner Haut erinnerte ihn daran, daß er zackig eine Line ziehen müsste.

Schwester Maisha kam herein:"Guten Morgen, Herr Silberberg." Er schaute sie erschöpft an und nickte.Sein Bedarf an Konversation war bereits gedeckt. "Wie geht es uns heute?" Bissig antwortete er:"Wie es ihnen geht, weiß ich nicht, mir beschisssen. Danke der Nachfrage." Sie kicherte leise. Auch seinem Patientenbogen war eine Schneeflocke aufgedruckt. Betont freundlich erklärte sie:" Sie haben jetzt etwa zwanzig Minuten für ihre persönlichen Dinge, dann ist Frühstück. Aufgrund der OP bekommen sie nur weiche Kost heute." Chris nickte ergeben. Als die Schwester endlich, gefühlt für ihn einer Ewigkeit, den Raum verlassen hatte, griff er in seinen Rucksack und bastelte sich seine Frühstücksline. Danach ging es ihm zwar nicht wirklich besser, aber das verfluchte Kribbeln der Ameisen war wenigstens vorüber!

Dr. Avicenna kam herein, als Chris gerade seine Sachen verstaute. "Wie ich sehe, geht es besser." Chris schaute ihn an:"Nein, die Ameisen sind nur weg." Der Arzt nickte verständnisvoll. "Die OP ist heftiger gewesen, als wir dachten. Wir mußten deine komplette Nase mit Silikon nachbilden." Chris sank aufs Bett. "Dennoch bin ich guter Dinge, daß es sich wieder etwas erholen kann, vorausgesetzt die Lines werden dünner oder besser ganz beendet.Bis dahin hält das Silikon deinen Riechkolben in Form." Chris nickte. Das waren eindeutig scheiß Neuigkeiten!

Als der Doc gegangen war lief er ins Bad und schaute bewusst in den Spiegel. Er war noch immer verpflastert und trug einen stabilisierenden Gips. Die Tamponade hatte er noch in der Nacht rausgenommen. Seine Nase suppte noch etwas aus, aber so schlimm, wie vorher, war es keineswegs. Insgeheim war er froh, daß Prinzessin so streng mit ihm war. Die Nacht hatte es in sich gehabt und er verflixt wenig Schlaf bekommen! Trotzdem beschloß er sich halbwegs vernünftig anzuziehen. An Haare waschen war noch nicht zu denken, sein Kopf schepperte übel. Aber unter Garantie würde er heute Prinzessin nicht noch einmal in einem Läppchen gegenübertreten! Das war stillos! Gemächlich lief er in sein Zimmer zurück und zog ein frisches Hemd aus dem Rucksack. Lediglich auf das T-Shirt darunter verzichtete er und die langen Ärmel krempelte er locker hoch. Obwohl er noch bis morgen oder gar Montag mehr oder weniger das Bett hüten würde, zog er ne Jeans an. Endlich fühlte er sich wieder, wie ein Mensch und nicht wie ein Patient! Sein Frühstück genoß er am Tisch, auch wenn er viel lieber es in Gesellschaft von Prinzessin eingenommen hätte. Doch immerhin saß Pikachu bei ihm. Grinsend setze er ihn vor die Kaffeetasse und knipste ein Bild, daß er Prinzessin schickte:Frühstück!

Sie kicherte, als sie das Bild öffnete. Es war ein sehr gutes Zeichen, daß Chris die OP überstanden hatte. Erleichtert fuhr sie zu ihm . 

Leise öffnete sie die Tür zu seinem Zimmer. Er lag auf dem Bett und hielt Pikachu fest an sich gedrückt. "Hi Chris". Ihre Stimme holte ihn aus dem Dämmerschlaf. "Hallo Prinzessin", strahlte er . "Wie geht es dir?" "Ich sollte meine Nase nicht in andere Angelegenheiten stecken", feixte er. Man sah ihm die Strapazen der OP an, trotzdem wirkte er relativ fit. 

Prinzessin sah hinreißend aus! Besonders ihr Shirt gefiel ihm , es zeigte zwei Katzen, eine weiß, eine schwarz , zusammengerollt, wie Yin und Yang. 

Er rappelte sich etwas hoch. Die Sonne schien in den Raum und er hatte das unbändige Gefühl, daß er hier raus mußte! Victoria ahnte, was er vorhatte:"Wir gehen spazieren, ok?"  "Einverstanden." Vorsichtig stand er auf. Schnelle Bewegungen war noch nicht möglich, aber er wollte keinesfalls hier versauern! "Hast du ne Jacke dabei", fragte sie. "Eine graue Wolljacke, ja, im Rucksack." Sie öffnete die hintere Tasche. Plötzlich gefror ihm das Blut in den Adern! Er hatte nicht bedacht, daß sein Zeug für die Lines auch drin war. Es lag oben drauf! Behutsam nahm sie die Jacke heraus. Chris beobachtete sie skeptisch. Entweder war sie blind, wie ein Maulwurf oder sie wußte nicht, was es war. Oder sie kannte es! Die letzten beiden Möglichkeiten erschreckten in gleichermaßen!

Als sei nichts gewesen gab sie sie ihm. Er zog sich fertig an.

Die Sonne blendete ihn. In weiser Voraussicht hatte Victoria seine Sonnenbrille eingepackt gehabt. Dankbar lächelte er sie an. Nachdenklich blickte sie ihn an. "Was ist los", fragte er unsicher. Noch immer schwebte das Damoklesschwert der Lines über ihm. "Du erinnerst mich an Orson Wells Unsichtbare." Chris zuckte zusammen. Leicht gequält antwortet er:" Das ist nicht wirklich ein Kompliment." Sie zuckte entschuldigend die Achseln :"War auch nicht als Kompliment gedacht." "Magst du dennoch mit mir in die Öffentlichkeit gehen, ich verspreche, ich murkse keinen ab." Sie kicherte:" Na klar, komm." Sie hakte sich bei ihm unter, wie sie es schon öfter getan hatte. 

Gemächlich schlenderten sie durch den Krankenhauspark, er war weitläufig und mit großzügigen Sitzecken ausgestattet. 
Auch wenn es ihm jeden Menge Kraft abverlangte, es tat unwahrscheinlich gut mit Prinzessin im Park im Sonnenschein zu sitzen. 

"Magst du auch nen Muffin", fragte sie plötzlich. Sein Hungergefühl war ohnehin für die Tonne, man nannte die Lines nicht umsonst Modeldroge, denn sie unterdrückten auch das.  "Klar, holen wir uns welche?" Ohne zu antworten zog sie eine Dose aus der Tasche. "Frisch gebacken , gestern morgen."  "Von Knut?" "Nö, von mir. Knut kocht lieber." Zufrieden biss sie in ihren Muffin. Chris betrachtete sich das kleine Kunstwerk in seiner Hand. Zaghaft biss er hinein. Fluffiger Vanilleteig mischte sich mit fruchtigen Blaubeeren zu einem phänomenalen Geschmackspotpourri. 

Vorsichtig rückte sie etwas an ihn heran, während er sacht seinen Arm um ihre Schultern legte. 

Wenn es nach ihm ginge, sollte dieser Moment bitte ewig so bleiben. Muffin essend mit seiner Prinzessin im Park.   

Langsam neigte sich die Sonne westwärts. "Wir sollten langsam wieder reingehen", bemerkte Victoria gelassen. "Müssen wir wirklich?" Er hätte sie gern noch weiter im Arm gehalten. Herrgott, er hätte sie gar nicht mehr losgelassen! "Ja, müssen wir. Die schicken noch einen Suchtrupp los", versuchte sie sich an einem Scherz. Chris kicherte leise. "Und Pikachu wartet auch schon aufs Kuscheln", ergänzte sie humorvoll. "Ich würde bedeutend lieber mit dir kuscheln", murmelte er leise. Victoria lächelte leise und ersparte sich eine Antwort. Was sollte sie auch sagen? Chris strahlte tiefe Ruhe aus, wann immer sie in seiner Nähe war, war die Außenwelt ausgeschlossen. Als schirmte er sie gegen Unbill der Realität ab. Sie fand es merkwürdig, daß sie so auf ihn reagierte. Bei den anderen Jungs mit den sie Kontakt hatte, fühlte sich das anders an, da war ständig Action. Keinen Moment Ruhe oder mal innehalten, sie stand ständig unter Dauerfeuer.  Und bei ihm? Nichts! Nicht mal bei Knuti-San herrschte soviel Ruhe in ihr. Und er war normalerweise ihr persönlicher Anker! Irgendwie war das alle sehr merkwürdig! Und sie sich noch nicht sicher, warum das so war. 

Er stand missmutig auf, und streckte ihr seine Hand entgegen. Langsam half er ihr auf. Statt sich bei ihm unterzuhaken , hielten sie auf dem Rückweg Händchen.  Sein Griff war fest, während seine Haut himmlisch weich war. Victoria mochte das Gefühl, wie sie irritiert feststellte!  

Chris lächelte vor sich hin, Hand in Hand mit seiner Prinzessin.Ihn ekelten diese zarten Händedrücke mancher Mädchen an, es fühlte sich jedes Mal an, als würde er einen toten Fisch schütteln.  Prinzessins Hände hingegen waren ebenso zart, wie er gehofft hatte, doch hatte sie einen stabilen, für eine Frau , überraschend festen Händedruck. 

Unbeschwert liefen sie langsam auf Station zurück.

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