Am Morgen

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»Guten Morgen«, begrüßte ich ihn gutgelaunt. Dabei ignorierte ich geflissentlich, dass ich ihn damit weckte. Aber ich musste zur Arbeit. Und wenn er mich die halbe Nacht wachhalten konnte, konnte er auch früh mit mir aufstehen und frühstücken.

Die erste Reaktion, die kam, war, dass er die Augen noch fester zusammenkniff und sich auf die Seite drehte. Dabei rutschte ich unsanft von ihm herunter.

»Hey«, beschwerte ich mich, doch darauf reagierte er gar nicht. Na warte. Ich stand auf, obwohl ich mich wegen der Schmerzen nur langsam bewegen konnte. Als ich auf ihn herabblickte, vergaß ich meine Rachepläne auf der Stelle wieder. In der Seitenlage hatte er seine Knie angezogen und seine Arme vor sich gefaltet, so dass er mit dem Kopf auf seinen Händen zu liegen kam. Wenn er diese Position beibehielt, würden seine Hände einschlafen. Also tat ich ihm wohl einen Gefallen, wenn ich ihn weckte. Doch vorerst ließ ich ihn liegen und ging ins Bad.

Frisch gewaschen und angezogen machte ich Kaffee für uns zwei. Zur Sicherheit gab ich einen Extralöffel Kaffeepulver in den Filter und schüttete noch ein wenig Kakaopulver dazu. Das war mein persönliches Geheimrezept.

Während der Kaffee durchlief, packte ich meine Tasche. Ein bisschen Zeit hatte ich noch, aber in spätestens einer halben Stunde musste ich los, wenn ich noch pünktlich sein wollte. Zum Glück war ich rechtzeitig aufgewacht. Mein Wecker musste sich im Schlafzimmer um den Verstand klingeln.

Ich sprang erschrocken auf. Den Wecker hatte ich ganz vergessen.

Er war stumm. Ich untersuchte ihn. Die Weckzeit stand wie immer auf sieben Uhr dreißig. Nichts deutete darauf hin, dass er heute nicht geklingelt hatte. Ich konnte nur vermuten, dass er irgendwann aufgab, wenn niemand sein Klingeln beachtete. Aber es war schon erstaunlich, dass ich es nicht gehört hatte.

Weniger erstaunlich war, dass Ed noch immer wie ein Murmeltier schlief. Er war ein Nachtmensch. Er war frühestens gegen Mittag ansprechbar.

Darauf würde ich heute keine Rücksicht nehmen. Ich wollte mich wenigstens noch von ihm verabschieden. Seine Konzerttour würde heute weitergehen und ihn durch das ganze Land ziehen. Wahrscheinlich würden wir uns frühestens in drei Wochen wiedersehen, wenn er ein paar Tage frei hatte.

Ich stellte eine der dampfenden Tassen so neben ihn, dass ihm der Duft in die Nase steigen musste. Dann schnupperte ich an meiner eigenen Tasse, sog genüsslich das süße Schokoladenaroma ein, dass sich so hervorragend mit dem Kaffee mischte, und beobachtete, wie Ed langsam erwachte. Es dauerte meine halbe Tasse Kaffee, bis er sich in eine aufrechte Position gebracht hatte und seine Tasse in der Hand hielt. Doch anstatt sich zu bedanken, brummte er nur unverständlich vor sich hin. Immerhin nahm er immer mal wieder einen Schluck. Das Koffein würde seine Wirkung hoffentlich entfalten, bevor ich los musste.

Wenn man Ed so ansah, konnte man wirklich jede Motivation, aufzustehen und arbeiten zu gehen, verlieren. Er saß mit krummem Rücken, in sich zusammengesunken da, hielt seinen Oberkörper nur mithilfe der auf die Knie aufgestützten Arme aufrecht. Seine Augen waren bestimmt geschlossen, doch das vermutete ich nur.

Ich war versucht, durch seine Haare zu strubbeln, doch das verkniff ich mir. Dies war nicht der erste Morgen, den ich mit Ed erlebte. Und die Erfahrung hatte mich gelehrt, vor dem Frühstück lieber einen Sicherheitsabstand zu halten.

Wahrscheinlich war der Morgen-Ed auch der Grund, warum er keine seiner nächtlichen Begleiterinnen halten konnte. Wenn die das Grummelmonster erst einmal kennengelernt hatten, nahmen sie sicher Reißaus.

Schließlich trank ich ergeben meinen letzten Schluck aus, stellte die Tasse weg und tippte Ed nur sanft auf die Schulter. »Ich muss jetzt los. Wir sehen uns, wenn du das nächste Mal in der Stadt bist. Wenn du gehst, schließ bitte ab und wirf den Schlüssel in den Briefkasten.«

Fast hätte ich sein Nicken nicht gesehen. Er sah mich nicht einmal an. Enttäuscht zuckte ich mit den Schultern, nahm meine Tasche und ging. Bestimmt würde er sich später per Kurznachricht bei mir entschuldigen. Wäre nicht das erste Mal. Ich war nicht nachtragend.


Liebe auf Umwegen || Ed SheeranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt