Wartezeit

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Das heiße Wasser auf meiner Haut wusch alle Anspannung des Tages von mir ab. Genussvoll schäumte ich meine Haare ein und tat zum Schluss sogar noch eine besondere Mandarinenkur darauf. Ed liebte Mandarinen. Die Baby-Orangen, wie er sie liebevoll bezeichnete, erinnerten ihn an Weihnachtsfeiern bei seiner Oma, die er sehr geliebt hatte.

Nach der Dusche schnitt ich mein frisches Brot auf, schmierte dick Butter drauf und biss hinein. Sofort breitete sich der sahnige Buttergeschmack in meinem Mund aus. Selig schloss ich die Augen.

Obwohl es mir schwer fiel, entschied ich mich gegen eine weitere Scheibe, sondern räumte das Brot zurück in den Brotkasten. Was immer Ed sich ausgedacht hatte, er hatte bestimmt etwas zu Essen mit eingeplant.

Ich hatte noch mehr als eine halbe Stunde Zeit, um mich anzuziehen. Theoretisch hätte ich also doch schon früher abgeholt werden können. Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich aufs Sofa fallen. Dann hatte ich eben noch ein bisschen Zeit, die Beine hochzulegen.

Meine Gedanken gingen auf Wanderschaft. Ich dachte noch einmal an die Gala. Das war sozusagen mein erster Besuch in Eds Welt gewesen. Hatte es mir dort gefallen? Ich konnte jedenfalls ganz sicher behaupten, dass ich so etwas nicht zum Glücklichsein brauchte. Alles war so unecht gewesen und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass sich die Leute dort wirklich wohlgefühlt hatten.

Es klingelte an meiner Tür. Aufgeschreckt sprang ich auf und lief zur Tür, als mir auf halbem Weg auffiel, dass das ja vermutlich nur einer der Reporter unten sein konnte. Sanni würde anrufen und Ed erst recht. Also ignorierte ich das Klingeln und ging zurück zur Couch. Bald darauf sprang ich allerdings wieder auf, denn auf Dauer nervte das Geklingel doch gewaltig. Ich hatte noch nie versucht, die Klingel auszuschalten, aber ich wollte es wenigstens versuchen. Wo der Sicherungskasten war, wusste ich. Ich klappte ihn auf und durchsuchte die Liste, bis ich den richtigen fand. Ich klappte ihn um und ging mit triumphierendem Grinsen zurück ins Wohnzimmer.

Noch immer hieß es warten. Vorsichtig schob ich die Gardine zur Seite und sah auf die Straße. Von meinem Standpunkt aus konnte ich zwar nicht bis zur Tür schauen, aber trotzdem waren unten einige Leute zu sehen. Ich fragte mich, ob das jetzt für immer so sein würde? Vielleicht war es doch keine so üble Idee, für unseren neuen Auftrag mit Ed mitzureisen. Hatte er mich vielleicht nur schützen wollen?

Mir war noch immer ein Rätsel, wie er das mit dem Auftrag einfädeln konnte. Immerhin war es ja so gewesen, dass Sanni den Kunden gefunden und angefragt hatte, nicht umgekehrt. Oder hatte ich das falsch verstanden? Sanni war genauso überrascht gewesen wie ich, als wir herausgefunden hatten, wer sich hinter SCE verbarg. Ich war mir jedenfalls sicher, dass sie nicht so gut schauspielern konnte. Andererseits war es aber auch schwer vorstellbar, dass sie ausgerechnet diese Firma ganz zufällig gefunden hatte.

Wenn es also kein Zufall war und Sanni nicht mit Ed unter einer Decke steckte, gab es nur noch die Möglichkeit, dass Ed die Sache irgendwie eingefädelt hatte, ohne dass Sanni es merkte.

Oder sie hatte es wieder vergessen.

Ich setzte mich abrupt auf. Nein, das konnte nicht sein!

Ed würde so etwas nicht tun.

Doch so sehr ich es mir auch einzureden versuchte, die Möglichkeit bestand immerhin. Er konnte mit ihr über den Auftrag geredet haben, hatte ihr vielleicht gezeigt, wohin sie sich wenden musste und dann hatte er ihr Gedächtnis gelöscht. Sie war sein Fan, es konnte durchaus sein, dass sie tun würde, was er von ihr wollte. Und um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen, hatte er seine Gabe angewendet. Er konnte theoretisch in diesen Stunden alles mit ihr gemacht haben, wozu sie bereit gewesen war, sogar mit ihr ins Bett gegangen sein.

Bei diesem Gedanken sog ich scharf die Luft ein. Mir war ganz heiß geworden. Meine Gedanken rasten.

Sanni hatte definitiv Kontakt mit Ed gehabt. Sie hatte ihm Bescheid gesagt, dass meine Haustür belagert wurde. Sie hatte also seine Telefonnummer. Die hatte sie nicht von mir bekommen.

Mitten in meine Gedanken hinein klingelte mein Telefon. Es war Ed.

Für zwei Sekunden war ich versucht, nicht ranzugehen. Ein kleiner, heißer Feuerball aus Wut und Angst, dass er mich mit meiner besten Freundin hintergangen haben könnte, tobte in meinem Inneren.

»Ja?«, blaffte ich ins Telefon.

»Claire? Alles okay bei dir?« Er klang besorgt, aber nicht schuldbewusst. Aber woher sollte er auch wissen, was ich mir eben zusammengereimt hatte?

Ich riss mich zusammen und atmete kurz durch. »Alles okay. Sorry. Ich bin nur genervt von den Leuten da unten.«

Ich hörte ihn lächeln. »Dann ist ja gut, dass in diesem Moment Superman auf dem Weg zu dir ist. Er wird noch während wir jetzt telefonieren bei dir klingeln. Du kannst ihm unbesorgt öffnen, er wird dafür sorgen, dass niemand sonst reinkommt. Er hat nämlich noch Verstärkung mitgebracht." Er lachte leise. „Spiderman und Batman sind auch mitgekommen.«

»Dann ist ja gut«, presste ich heraus.

In diesem Moment klingelte es tatsächlich an der Tür.

»Ich glaube, er ist da. Ich lege jetzt auf. Wir sehen uns ja dann.«

»Gut, bis dann. Ich freue mich.«

Ich legte auf, ohne etwas zu erwidern. Dann öffnete ich die Tür. Ein Schrank von Mann kam die Treppe herauf. Seine Haare waren stoppelkurz, so dass ich einen guten Blick auf seinen muskulösen Nacken hatte. Das hier war definitiv nicht Superman, dieser war nämlich nicht annähernd so bullig. Mein persönlicher Superman trug ein schwarzes, eng anliegendes Shirt, dass jeden einzelnen Muskel an seiner Brust zeigte, dazu eine schwarze Jeans, schwarze Schuhe und eine schwarze Sonnenbrille. Die hielt er allerdings in der Hand.

»Frau Montanay? Ed Sheeran schickt mich. Ich soll Sie abholen. Sind Sie fertig?« Sein Tonfall war bestimmend, fast ein bisschen grob. Doch das brachte sein Beruf wahrscheinlich so mit sich. Ich glaubte sogar, ihn schon einmal in Eds Umfeld gesehen zu haben.

Ich nickte, nahm meine Jacke und zog die Schuhe an, die ich mir schon bereitgestellt hatte.

Dann folgte ich ihm die Treppe hinunter, natürlich nicht, ohne meine Tür gewissenhaft abzuschließen.

»Wenn wir gleich rausgehen, folgen Sie mir bitte, indem sie sich ganz dicht hinter mir halten. Am besten vermeiden Sie, irgendjemanden anzuschauen. Wir gehen zu dem schwarzen Wagen an der Straße direkt gegenüber Ihrer Haustür. Sie steigen ein, verriegeln die Tür von innen und schnallen sich an.« Ich zog bei seiner Ansprache die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Er machte nicht den Eindruck, als würde er es dulden, wenn ich ihm widersprach.

Dann öffnete er die Tür und trat als erster hindurch. Ich sah, dass sich dahinter zwei weitere schwarz gekleidete Gestalten befanden, die die Leute in Schach hielten. Es waren noch mehr Personen geworden als vorhin. Plötzlich war ich froh darüber, dass ich genau wusste, wie ich mich zu verhalten hatte. Ich hielt mich so dicht hinter ihm, wie es ging, ohne ihn direkt zu berühren. Den Kopf hielt ich gesenkt. Ich fühlte, wie die beiden anderen Männer sich hinter mir einreihten, so dass ich von allen Seiten geschützt war. Die umstehenden Leute redeten alle durcheinander. Ich hörte Fragen, doch ich ließ sie an mir abprallen und wünschte mir nur, dass wir schnell am Auto wären. Durch den breiten Rücken vor mir konnte ich es noch nicht sehen.

Dann hatten wir es erreicht. Die Tür wurde mir aufgehalten. Ich rutschte hinein und suchte schon nach dem Riegel an der Tür, bevor sie überhaupt geschlossen worden war. Sobald zu war, drückte ich den kleinen Knopf, auf dem ein Schloss abgebildet war. Endlich konnte ich wieder aufatmen.

Kaum saßen auch die anderen im Wagen, mein persönlicher Retter neben mir, die anderen beiden vorn, rollte dieser auch schon los und ich konnte durch die verdunkelten Scheiben beobachten, wie uns die Reporter hinterherschauten. Einige sagten auch etwas in ihre Mikrofone, während Kameras auf sie gehalten wurden. Bestimmt würde meine Flucht demnächst über die Fernsehbildschirme flimmern. Vielleicht konnte Sanni mir das aufnehmen. Das war sicher etwas, was man in vielen Jahren mal als Abenteuer verbuchte.


Liebe auf Umwegen || Ed SheeranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt