Der Ausblick war wunderschön. Dennoch konnte ich ihn nicht so richtig genießen. Meine gesamte Aufmerksamkeit war auf meine Hand und den Mann neben mir gerichtet, der eigentlich nur ein Kumpel war. Aber es fühlte sich gar nicht so an. Und ... wir hatten uns geküsst.
Bei der Erinnerung an das Gefühl seiner Lippen auf meinen wirbelte ein kleiner Tornado mitten durch meinen Bauch.
Als ich eine Bewegung neben mir spürte, drehte ich mich halb zu ihm um. Da stand immer noch Ed. Derselbe, den ich schon seit Jahren kannte. Und dennoch sah ich ihn mit anderen Augen. So mussten ihn seine Fans sehen und die Frauen, die sich mit ihm einließen. Sein Blick hielt meinen gefangen. Ich konnte kaum atmen. Meine Lippen begannen bereits zu prickeln in Erwartung eines Kusses.
Doch er küsste mich nicht. Er bewegte sich überhaupt nicht. Er hatte es vollkommen ernst gemeint, als er sagte, dass er nichts machen würde, was ich nicht wollte. Dabei wollte ich ihn küssen. Vielleicht ... wenn ich mich nur ein winziges bisschen auf ihn zubewegte ... vielleicht würde er das als Aufforderung verstehen?
Obwohl ich mich wirklich nur minimal bewegte, verstand er mich, überbrückte die letzten Millimeter und senkte seine Lippen auf meine. Er war sehr zurückhaltend, überließ mir die Entscheidung, wie weit ich gehen wollte. Doch die Entscheidung hatte ich schon viel früher getroffen. Jetzt wollte ich mich nicht mehr zurückhalten. Als seine Zungenspitze gegen meine stieß, entfuhr mir ein leiser Seufzer. Als wäre dies das letzte Signal gewesen, auf das er gewartet hatte, hielt er sich nun ebenfalls nicht mehr zurück und küsste mich hungrig. Meine Finger griffen wie von selbst in seine Haare und zogen ihn noch ein Stück näher zu mir heran.
Wir waren beide atemlos, als wir uns wieder voneinander lösten. Ed strahlte bis über beide Ohren, ich genauso. Das hier konnte nur richtig sein. Unsere Hände, die sich während dem Kuss losgelassen hatten, suchten sich wieder.
Plötzlich ging Ed los und zog mich hinter sich her zu den beiden Liegestühlen. Ich ließ mich auf einen fallen, Ed auf den anderen.
»Ich würde uns ja was zu trinken holen«, sagte Ed.
»Aber?«
Anstatt zu antworten, hob er unsere Hände und sah genauso darauf, wie ich es vorhin getan hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ihn noch immer festhielt und öffnete lachend meine Hand. Er tat so, als müsse er sich erst wieder das Blut in die Hand reiben, was ihm einen Stoß an seine Schulter einbrachte.
Obwohl es nicht lange dauerte, bis er wieder neben mir saß und mir mein Glas hinhielt, reichte diese kurze Unterbrechung, um mein Hirn seine Arbeit wieder aufnehmen zu lassen.
Jetzt starrte ich gedankenverloren auf die Lichter der Stadt vor mir, den Wein in meiner Hand hatte ich vergessen.
»Woran denkst du?«
Eds Frage drang nur undeutlich durch meine wild durcheinanderwirbelnden Gedanken. Ich pustete geräuschvoll Luft durch meine Zähne, schloss die Augen, öffnete sie wieder und seufzte noch einmal, bevor ich endlich antwortete. »Ich versuche, zu verstehen, was hier mit uns passiert«, begann ich zögerlich. Es war schwer, die richtigen Worte zu finden. Zumal in meinem Kopf irgendwelche Stimmen wild durcheinanderschrien.
Ich hörte ihn leise lachen, er sagte aber nichts. Seltsamerweise wusste ich genau, dass er gerade den Kopf schüttelte und seinen Blick nach unten gesenkt hielt, obwohl ich ihn gar nicht ansah. Aber er war mir so vertraut, als wäre er mein Bruder. Und genau das war auch mein Problem. Er war zwar nicht mein Bruder, aber ich kannte ihn einfach zu gut und zu lange, um unbefangen zu sein.
»Ich habe Angst.«
»Wovor?«
Ich sah ihn an, doch er betrachtete intensiv einen Fleck auf dem Boden vor ihm.
»Vor allem. Davor, wohin das hier führen kann.« Jetzt sah er doch auf.
Ich atmete einmal ein und aus. »Ich habe Angst, dass das hier alles kaputt macht. Davor, dich zu verlieren ... als Freund. Und das Risiko möchte ich ehrlich gesagt nicht eingehen.« Noch während ich das aussprach, wusste ich, dass es stimmte. Das Risiko war mir einfach zu groß. Ich sah, wie sehr ihn meine Worte verletzten, obwohl er versuchte, es zu verbergen.
Er schloss die Augen und nickte. »Ja, das verstehe ich. Wenn ich dir eine Garantie geben könnte, würde ich es tun. Aber das kann niemand.« Er grinste mich schief an.
Etwas in mir hatte wohl gehofft, dass er anders denken würde, deshalb überrollte mich tatsächlich eine Welle der Enttäuschung bei seinen Worten.
Es ist besser so, versuchte ich mir einzureden. So lange ich ihn nicht ansah, glaubte ich mir sogar.
»Soll ich dich jetzt nach Hause fahren?«
Ich nickte, obwohl ich eigentlich etwas ganz anderes wollte.
»Es wäre doch toll, wenn wir uns jetzt in einer Parallelwelt befänden und machen könnten, was wir wollten ohne Konsequenzen. Und morgen ist dann alles wieder normal.« Hatte ich das jetzt echt laut gesagt?
Er sah überrascht auf. »Ja, das wäre schön.« Er wollte noch etwas sagen, ich sah es genau, doch dann schüttelte er nur den Kopf. »Sind wir aber nicht.«
Ich nickte. »Leider.« Dann zwang ich mich zu einem Lächeln. »Fahr mich bitte nach Hause.« Nicht, dass sich meine Selbstbeherrschung doch noch in Luft auflöste. Ich würde lange genug zu tun haben, nach diesem Abend wieder normal mit ihm umzugehen.
An seiner Wohnungstür bremste ich ein wenig ab. Wäre der Abend anders verlaufen, würden wir jetzt vielleicht da drin sein, zusammen auf seinem Sofa, oder in seinem Bett.
Ich verbot mir den Gedanken und schritt entschlossen vorwärts. Ed war nicht weit hinter mir. Ob er dieselben Gedanken hatte?
Während der Fahrt sprachen wir nicht viel. Ich fragte mich die ganze Zeit, ob Ed das alles geplant hatte, als er mich heute zum Picknick entführte. Nein, er wollte mir einfach eine Freude machen. Bestimmt.
Er brachte mich bis in meine Wohnung. Im Flur drehte ich mich um, um mich von ihm zu verabschieden. Die Situation war mehr als komisch und in meinem Bauch herrschte ein solcher Aufruhr, dass mir davon schlecht wurde.
»Okay, dann ... geh ich mal.« Er biss sich auf die Unterlippe. Seine Augen schimmerten leicht. Auf einmal legte er seine warme Hand an meine Wange und küsste mich. Sehr sanft diesmal. Es war eher ein Abschiedskuss. Ich schloss die Augen, ich wollte ihn noch nicht gehen lassen. Ich konnte nicht.
Erschrocken schlug ich die Augen auf. Meine Hand fuhr zu meinem Mund.
Wo war ich? Ich lag auf meiner Couch. War ich hier eingeschlafen? Draußen war es hell.
Ich versuchte, mich zu erinnern. Da war ein schönes Gefühl. Lichter. Ein paar Bilder, die mir entglitten, sobald ich versuchte, sie zu greifen. Nur das Gefühl blieb.
Ein Traum? Ich hatte geträumt. Einen wunderschönen Traum, aber ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Je mehr ich es versuchte, desto mehr vergaß ich.
Schließlich gab ich es auf und hievte mich in eine aufrechte Position. Ich sah an mir herunter. Ich trug mein Shirt, sonst nur noch meine Unterwäsche.
Ich fühlte mich ein wenig schwindelig, während ich in die Küche ging um mir einen Kaffee zu kochen. Kein Wunder. Die leere Flasche Wein, die hier stand, war gestern noch mehr als halbvoll gewesen.
Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Das war sonst gar nicht meine Art.
Mein Blick fiel auf die Küchenuhr. Ich musste mich beeilen, wenn ich es noch rechtzeitig auf Arbeit schaffen wollte.
![](https://img.wattpad.com/cover/151484387-288-k933179.jpg)
DU LIEST GERADE
Liebe auf Umwegen || Ed Sheeran
Roman d'amourClaire kennt Ed schon seit Kindertagen. Bei ihr findet Ed ein Stück Normalität. Sie hat in ihm jemanden, mit dem sie über alles reden kann. Wenn da nur nicht diese unerklärlichen Träume wären. Und als Ed ihr eines Tages versehentlich sein Geheimnis...