Sanni

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Ich besah sie mir genauer. Sie war winzig. Sogar kleiner als ich. Sie hatte schwarze, kurze Haare und ein puppenhaftes Gesicht. Leider hatte sie eine perfekte Figur. Das vielleicht Einzige, was mir an mir besser gefiel, war meine Augenfarbe. Ihre waren nämlich langweilig braun.

Sanni entpuppte sich als absolut nerviger Flummi. Sie war einfach überall. Dass ich sie einarbeiten sollte, bedeutete für sie augenscheinlich, dass sie an mir kleben sollte. Und nicht nur das, sie hatte einfach zu allem eine Frage. Ich konnte nicht einmal eine E-Mail tippen, ohne ihr beantworten zu müssen, wem ich schrieb, wer das war, was ich ihm schrieb und warum. Sogar in der Mittagspause wurde ich sie nicht los, denn mein Chef bestimmte, dass ich ihr zeigen sollte, wo sie etwas zu essen herbekam. Meinen Einwand, dass ich mir immer etwas mitnahm und deshalb nirgendwohin gehen musste, tat er einfach ab. »Heute können Sie sicherlich mal eine Ausnahme machen«, war sein einziger Kommentar dazu.

Bis zum Nachmittag war ich mit den Nerven am Ende. Noch nie hatte ich den Feierabend so herbeigesehnt wie heute. Sogar die graue Maus bedachte mich mit mitleidigen Blicken. Wahrscheinlich war sie froh, dass nicht sie die Neue einarbeiten musste.

Als ich endlich den Computer herunterfahren konnte, rief mich auch noch mein Chef in sein Büro. Immerhin durfte meine Klette nicht mitkommen. Herr Wichert schloss die Tür hinter mir und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Ich musste stehen bleiben.

Er kam ohne Umschweife zur Sache. »Wie macht sich unsere Neue?«

Ich überlegte. Wie konnte ich das möglichst diplomatisch formulieren? »Also ich -«, begann ich, wurde aber sofort von ihm unterbrochen. »Ich finde sie großartig. Ein wahrer Glücksgriff. Ich freue mich, dass Sie das auch so sehen. Aber da hatte ich eigentlich gar keine Bedenken. Sie beide sind ein hervorragendes Team, das sehe ich schon jetzt. Ursprünglich wollte ich sie an den freien Schreibtisch gegenüber von Frau Martin setzen, aber jetzt habe ich mich umentschieden. Wir werden einfach ein wenig umstellen. Morgen möchte ich, dass Frau Bell gegenüber von Ihnen sitzt. Dann kann sie morgen auch schon die ersten Aufgaben eigenständig erledigen. Natürlich werden Sie ihr weiterhin unter die Arme greifen. Aber nur wer im Wasser ist, lernt schwimmen, nicht wahr?«

Sprachlos über seinen begeisterten Redefluss brachte ich lediglich ein halbherziges Nicken hervor, dann wurde ich entlassen, ehe ich auch nur die Möglichkeit hatte, über den Inhalt seiner kleinen Rede nachzudenken. Erst als ich vor meinem Schreibtisch stand, wurde mir bewusst, dass er allen Ernstes erwartete, dass ich jetzt noch die Schreibtische hier im Raum umräumte. Schlimmer konnte es nicht mehr werden.

Es konnte. Kaum hörte Sanni, was geplant war, quietschte sie erfreut auf. »Oh, das ist sooo toll. Ich hätte nie gedacht, dass ich schon am ersten Tag hier eine Freundin finden würde.«

Wie bitte? Hatte ich hier etwas Wichtiges verpasst? Selbst wenn die Hölle zufrieren würde, diese Sanni würde bestimmt nie meine Freundin werden.


Seit es Sanni gab, waren die Tage, an denen ich arbeiten musste, noch schlimmer. Von Ed hörte ich auch nichts. Das war zwar nicht unnormal, denn auf Tour hatte er so viele Termine, dass kaum Zeit für ein Telefonat blieb, aber es wäre trotzdem nett gewesen, mit jemandem zu reden, mit dem es sich super über jemanden wie Sanni lästern ließ. Ed konnte solche anstrengenden Personen ebenso wenig leiden wie ich.

Meinem Bruder erzählte ich auch von meiner neuen Kollegin, doch anstatt dass er mich bedauerte, riet er mir, mich wirklich mit ihr anzufreunden. »Du wirst ab jetzt täglich mit ihr zu tun haben, wahrscheinlich wäre es das Beste, du findest dich damit ab.«

War ja klar, dass mein vernünftiger großer Bruder so etwas sagte. Deswegen erzählte ich solche Sachen lieber Ed. Der war ganz anders.

Also verbrachte ich meine Tage damit, Sannis nervtötendes Geplapper möglichst auszublenden, was mir kaum gelang und die Abende damit, meine Kopfschmerzen zu bekämpfen, was mir noch weniger gelang. Ich schrieb Ed jeden Abend einen kurzen Statusbericht über Whatsapp, aber mehr als Smileys oder ganz kurze Antworten bekam ich nie. Zwischendurch entschuldigte er sich ein paar Mal, dass er nicht mehr Zeit hatte und versprach mir, bald bei mir vorbeizukommen.

Leider war bald noch eine ganze Weile hin.



Liebe auf Umwegen || Ed SheeranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt