Ich schluckte, konnte meinen Blick nicht von ihm wenden. Auf einmal war ich mir sicher, dass er mich küssen würde.
Mein Atem ging schnell und flach, meine Knie fühlten sich auf einmal ganz zittrig an. Ich nahm jedes Geräusch um uns herum überdeutlich wahr. Den Lärm der Leute um uns herum, etwas gedämpft durch den Baum, das leise Rascheln der Blätter im Wind, seinen und meinen Atem. Sein typischer Ed-Geruch umfing mich, gemischt mit erdiger Feuchtigkeit und einer leichten Note von Popcorn und Bier.
Auf einmal wurde es plötzlich laut, als zwei Jugendliche zu uns stießen. Als sie uns sahen, entschuldigten sie sich lautstark und machten, dass sie wieder wegkamen. Doch es hatte den Moment zerstört. Eds Blick wanderte unstet umher, er kratzte sich am Nacken und trat einen Schritt rückwärts. Ich stand noch immer genauso da und unterdrückte mit aller Macht das Gefühl, etwas verpasst zu haben.
Ich meine, das war immer noch Ed, der mir da gegenüberstand. Mein bester Freund Ed, den ich schon zu Zeiten kannte, in denen er noch unter Akne litt und mich immerzu ärgerte. Ed, der jeden Abend eine neue Frau abschleppte und sich dann bei mir ausheulte, dass er keine Beziehung hatte. Ich wollte keine dieser Frauen sein.
Er räusperte sich. »Äh, sorry. Das ... ich wollte nicht ... na ja, jedenfalls ist es wahrscheinlich besser, wenn wir -« Der Satz hing unausgesprochen zwischen uns.
Dennoch nickte ich. »Es würde alles zerstören.« Meine Stimme war ganz leise und kraftlos. Es hörte sich an, als wäre ich selbst nicht davon überzeugt, was ich hier sagte.
»Wollen wir vielleicht zurückfahren?«
Ich nickte. Irgendwie war die Stimmung dahin. Außerdem war es wirklich schon sehr spät. Ich musste morgen schließlich wieder arbeiten gehen.
Diesmal berührten wir uns nicht, als wir hintereinander her den kürzesten Weg durch den Vergnügungspark zum Ausgang gingen und in eines der bereitstehenden Taxis stiegen.
Den ganzen Weg zu mir nach Hause sah ich aus dem Fenster und dachte darüber nach. Es schockte mich nicht mal so sehr, was beinahe passiert wäre, sondern viel mehr dieses starke Gefühl in mir, dass ich mir hier gerade eine einmalige Chance vergab. Es ließ sich auch nicht abstellen. Stattdessen verursachte es einen Aufruhr in meinen Eingeweiden, der sich auch von meiner Hand, die ich auf meinen Bauch gepresst hielt, nicht eindämmen ließ. Ich fragte mich kurz, ob sich so Schmetterlinge im Bauch anfühlten. Doch irgendwie hatte ich mir das immer viel leichter, zarter und vor allem angenehmer vorgestellt, nicht so, als würde eine elektrisch geladene Kanonenkugel durch mein Innerstes rollen.
Wir hatten kein Wort mehr miteinander gewechselt. Halb erwartete ich, dass er mich bei meiner Wohnung aussteigen ließ und mit dem Taxi weiterfuhr, doch er bezahlte und stieg mit mir aus.
»Du brauchst mich nicht heimzubegleiten. Das schaffe ich auch alleine. Ich bin schon groß, weißt du?«, versuchte ich mich stärker darzustellen, als ich war. Ich zwang mich sogar, ihn anzulächeln. Er sollte nicht denken, dass er mir etwas schuldig war. Ich würde allein damit klarkommen. Doch er grinste nur schief und half mir, die Tür zu öffnen.
»Kann ich vielleicht heute nochmal auf deiner Couch schlafen? Dann muss ich nicht mehr nach Hause. Muss morgen früh raus.«
Ich nickte abwesend und verschwand sofort ins Bad. Er kannte sich ja hier aus.
Auch mehrere Hände voll eiskaltem Wasser klärten meinen Kopf nicht weiter auf. Also gab ich es auf und machte mich bettfertig. Ob ich überhaupt schlafen konnte, wusste ich nicht. Aber ich musste es zumindest versuchen, schließlich wartete morgen wieder die anstrengende Sanni auf mich. Und der wollte ich nicht unausgeschlafen gegenübertreten.
Als ich schon im Bett lag, kam Ed noch einmal durch die Tür. Er setzte sich an den Rand meines Bettes, vermied es aber, mich anzusehen.
»Ich fand es sehr schön heute mir dir«, hörte ich ihn sagen. Er hob den Kopf und sah mich kurz an. Ich nickte und lächelte. Ich sah, wie er den kleinen Hasen, den wir gewonnen hatten, aus seiner Tasche zauberte und ans Kopfende meines Bettes stellte.
»Dann schlaf mal schön!« Er lächelte ebenfalls, streckte seine Hand aus und berührte mich ganz sanft erst am Arm, dann an meiner Schulter und schließlich an meiner Schläfe. Ich schloss wohlig die Augen. Die Berührung war leicht wie eine Feder und jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Schon war das Gefühl wieder weg und ich merkte, wie sich das Bett bewegte, als er aufstand. Ich wollte die Augen nicht wieder öffnen, also flüsterte ich ihm nur »Gute Nacht« zu, dann drehte ich mich weg.
Mein Wecker klingelte. Ausgeschlafen stellte ich ihn aus, setzte mich im Bett auf und rieb mir die Augen. Ich fühlte mich wunderbar. Auf einmal fiel mir Ed ein und ich schaute mich suchend um. War er wirklich dagewesen oder hatte ich das geträumt? Mein Blick fiel auf das Kopfende meines Bettes, doch da stand kein Stoffhase. Überhaupt entglitt mir die Erinnerung, sobald ich versuchte, mir einzelne Szenen ins Gedächtnis zu rufen.
Wie, um mich selbst zu überzeugen, sah ich im Wohnzimmer nach, aber natürlich lag dort kein Ed auf der Couch. Mein Wohnzimmer sah genauso aus, wie ich es gestern vor dem Schlafengehen hinterlassen hatte.
Verwirrt bereitete ich mir als erstes einen Kaffee zu. Das war ja ein verrückter Traum gewesen. Auch wenn ich mich schon nicht mehr an alle Einzelheiten erinnerte, wusste ich, dass es ein schöner Traum gewesen war. Ich lächelte beim Gedanken daran, verzog aber auch das Gesicht, als mir auffiel, dass ich in meinem Traum ziemlich wenig freundschaftliche Gefühle für Ed gehegt hatte. Ich hatte ihn sogar küssen wollen. Und er mich auch. Schon allein das sollte mir doch eigentlich deutlich machen, dass es nur ein Traum gewesen sein konnte. Dennoch, ein kleines Restchen Zweifel blieb noch bestehen.
Ich holte mein Handy und schrieb Ed: »Guten Morgen! Wie läuft die Tour? Warst du gestern hier?«
Ich sah, dass die Nachricht bei ihm ankam, er sie jedoch nicht las. Eigentlich kein Wunder, das war keine Uhrzeit, zu der Ed Sheeran wach war.
Doch zumindest in dieser Hinsicht täuschte ich mich. Als ich fertig angezogen war und gerade die Wohnung verlassen wollte, piepte mein Handy. Ed hatte geantwortet, allerdings nur mit einer Menge Fragezeichen. Kurze Zeit später kam die nächste Nachricht: »Hab heute ein Interview im Frühstücksfernsehen. Bin noch total neben mir. Aber hast du gerade gefragt, ob ich gestern bei DIR war?«
Als ich das las, kam ich mir ziemlich dumm vor. Wie sollte ich ihm diese Frage nur erklären.
Ich starrte aufs Handy, in der Hoffnung, mir würde ein cleverer Spruch einfallen. Schließlich kam noch eine Nachricht von Ed. »Süße, ich komme dich gern mal wieder besuchen, aber im Moment weile ich am anderen Ende des Landes. Sorry!« Dazu ein Smily mit einem Kussmund.
Ich schüttelte über mich selbst den Kopf, steckte das Handy ein und machte mich auf den Weg zur Arbeit.
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Liebe auf Umwegen || Ed Sheeran
RomansaClaire kennt Ed schon seit Kindertagen. Bei ihr findet Ed ein Stück Normalität. Sie hat in ihm jemanden, mit dem sie über alles reden kann. Wenn da nur nicht diese unerklärlichen Träume wären. Und als Ed ihr eines Tages versehentlich sein Geheimnis...