Unternehmungslustig

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Er sah sich irgend so eine Sportsendung an, die mich null interessierte. Also ließ ich meine Gedanken schweifen.

»Weißt du, was ich vermisse?«

»Hmm?« Seine Aufmerksamkeit ließ etwas zu wünschen übrig, also stieß ich ihn unsanft in die Seite. Er drehte sich zu mir.

»Ich vermisse es, einfach mit dir irgendwohin gehen zu können.«

»Wir können irgendwohin gehen.« Sein Blick wanderte schon wieder zurück zum Fernseher, deshalb beeilte ich mich, weiterzusprechen.

»Klar, irgendwohin, wo es keine Menschen gibt. Da fällt mir spontan nur ein Beichtstuhl ein." Ich warf theatralisch die Arme nach oben. "Oder, hey, warte, die Kanalisation.«

Jetzt hatte ich seine volle Aufmerksamkeit. Er lächelte mich an. »Wir können spazieren gehen, wenn du willst.«

Ich verdrehte die Augen und lachte verächtlich. »Klar, spazieren gehen. Erinnerst du dich noch an das letzte Mal, als wir spazieren waren? Erinnerst du dich an diese Mütter, die mitsamt ihrer Kinderwägen joggen waren? So schnell hab ich dich noch nie rennen sehen, mein Lieber.«

Er verzog den Mund in Erinnerung an diese unrühmliche Szene.

»Tut mir echt leid.«

»Was?« Ich legte den Kopf schief und sah ihn fragend an.

»Dass du mit mir nicht all das machen kannst, was du möchtest.«

Ich boxte ihn wieder in die Seite. »Ach was, das muss dir doch nicht leid tun. Du kannst ja nichts dafür.«

Er lächelte mich dankbar an, dann drehte er sich wieder dem Fernsehprogramm zu.

Ich dachte eine Weile nach. »Warum hast du eigentlich keine Freundin?« Diese Frage stellte ich mir schon lange, hatte mich aber bisher nie getraut, sie laut auszusprechen.

Wie erwartet hatte ich wieder seine volle Aufmerksamkeit. »Warum willst du das wissen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nun ja, ich habe gerade darüber nachgedacht, wie es deine Freundin wohl finden würde, wenn ihr nicht mal ausgehen könntet.« Ich wollte mir Ed mit einer fremden Frau vorstellen, wie sie, genau wie wir jetzt, auf dem Sofa vor dem Fernseher saßen. Es gelang mir nicht.

»Bestimmt findet sie es genauso ätzend wie du.« Er klang ziemlich genervt. Oder niedergeschlagen. Auf einmal tat er mir leid. Es war bestimmt nicht leicht, er zu sein.

Plötzlich fiel mir etwas ein, was mich kichern ließ. »Ich hab's. Nimm doch eine deiner Kreischi-Fans. Der ist es bestimmt egal, wenn ihr jahrelang nur zuhause bleiben könnt. Hauptsache, sie kann dich anschmachten.«

Ed sah mich nicht an, doch ich konnte seinen Kiefer arbeiten sehen. Kein gutes Zeichen. Ich hatte ihn verärgert. Ich beschloss, für heute nichts mehr zu sagen, und kuschelte mich stattdessen an ihn. Nach einer Weile fuhr er mit seiner Hand durch meine Haare, was mich wohlig aufseufzen ließ. Ich schloss die Augen.

Das nächste, was ich merkte, war, dass mich jemand an der Schulter rüttelte.

»Hey Süße, geh doch ins Bett, wenn du müde bist.« Eds Stimme klang tief und sanft. Ich hievte mich verschlafen in eine sitzende Position, rieb mir die Augen und versuchte, mich zu orientieren. Lange konnte ich nicht geschlafen haben, denn die Sendung die lief, war noch dieselbe wie vorher. Ich fühlte mich wie erschlagen. Das lag wohl am Schlafmangel. Ich beschloss, seinem Vorschlag zu folgen, sagte ihm noch gute Nacht und machte mich dann, mit einem Umweg über das Badezimmer auf den Weg ins Bett.

Als ich aufwachte, war es draußen stockdunkel. Aber es war nicht so ruhig, wie es um diese Uhrzeit sein sollte. Ganz sanft hörte ich von draußen Gitarrenklänge. Ich lächelte. Ed. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass jetzt "seine Zeit" war. Er hatte mir mal verraten, dass er nachts zwischen zwei und vier die meisten Songs komponierte.

Jetzt war ich schon einmal wach. Außerdem hatte ich Durst, also stand ich auf und tappte in die Küche. Auf dem Rückweg konnte ich nicht widerstehen und spähte durch die angelehnte Tür ins Wohnzimmer.

Der Fernseher lief noch, aber ohne Ton. Ed saß ganz konzentriert auf dem Sofa, über seine Gitarre gebeugt. Die Gitarre lagerte normalerweise bei mir im Wandschrank. Er besaß gefühlt tausende davon und hatte sie überall deponiert, damit er jederzeit spielen konnte, wenn er dazu Lust bekam. Er spielte auch Klavier und manchmal auch Schlagzeug, doch beide Instrumente waren bei weitem nicht so transportabel, deshalb spielte er die hauptsächlich bei sich zuhause oder in seinem Proberaum.

Ich hatte mir selbst schon mal die Gitarre genommen und mit seiner Hilfe ein paar Griffe ausprobiert. Ich war vollkommen talentfrei, wie wir nach einer halben Stunde feststellen mussten. Dabei war er sehr geduldig gewesen.

Die Melodie, die er spielte, gefiel mir. Ich hörte ihn auch leise dazu summen. Dann machte ich wohl ein Geräusch, das mich verriet. Schlagartig hörte er auf zu spielen und sah hoch.

»Ach du bist es, hab ich dich geweckt?«

Ich schüttelte den Kopf und kam näher. »Nein, ich konnte nicht schlafen. Du offensichtlich auch nicht.«

Er klopfte neben sich aufs Sofa und ich setzte mich dorthin. Jetzt saß ich schräg hinter ihm, ganz nah bei ihm, störte ihn aber trotzdem nicht bei seinem Spiel. Er brauchte anscheinend eine Weile, bis er wieder reinkam, aber dann spielte und probierte er weiter, als sei ich gar nicht da. Ich legte mich ein wenig bequemer hin und schloss wieder die Augen. Die sanften Gitarrenklänge lullten mich ein.

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, tat mir alles weh. Ich lag noch immer auf dem Sofa und war völlig verdreht. Mein Kopf lag halb auf Eds Bauch. Ich sah hoch. Er schlief noch tief und fest. Die Gitarre lag neben ihm, er hielt sie aber im Schlaf noch fest. Das sah irgendwie süß aus.


Liebe auf Umwegen || Ed SheeranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt