Kapitel 57 - Feen (Damon)

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Ich wollte ihr falsches Mitleid nicht hören. Ich konnte ihnen nicht zuhören. Ich presste den Körper meiner kleinen Schwester an meine Brust, stand auf und ging.
Der Engel meinte wir sollten sie loslassen. Klar, für ihn waren das so einfache Worte. Ich war es, der sie loslassen musste. Wie könnte ich das?

„Wo bringst du sie hin?", fragte Stefan leise. Er war mir wortlos hinterher gegangen.
„Ich bringe sie heim", erwiderte ich knapp. Wie konnte er es wagen überhaupt zu fragen? Zu heucheln, dass es ihn kümmern würde. Er hat sie gehen lassen, einfach so. Er hat gewusst was sie tun wollte und er hat sie nicht aufgehalten. Er hatte sie auf dem Gewissen. Vielleicht mochte ich ihm das mit Katherine irgendwann verziehen haben, aber das? Niemals.

Er habe sie nicht aufhalten können? Das ich nicht lache. Er war älter als sie, er war der Stärkere. Und selbst wenn ihm sein beschissener Bambi-Kraftsaft nicht geholfen hätte, warum hatte er es hingenommen? Er hätte es ihr ausreden sollen. Er hätte es mir sagen sollen. Und wie ich Kiéra aufzuhalten gewusst hätte. Mit allem wozu ich mächtig war.

Glaubte Stefan wirklich es sein mir ein Trost, dass Kiéra alle anderen hier gerettet hatte? Was kümmerten mich diese armseligen Menschen? Was kümmerte mich diese verlogene Welt? Und ich konnte sie nicht einmal rächen. Der Dämon war fort. Und diese Menschen die Kiéra rettete? Ich konnte sie nicht töten. Ich würde ihr Andenken beschmutzten, dazu war ich nicht fähig. Ihr hatte diese Welt etwas bedeutet. Mehr als ihr Leben.

„Sie wollte uns retten, Damon. Das weißt du. So wie du sie ebenfalls retten wolltest", erklärte Stefan leise.
Ich schnaubte nur und ging weiter. Was ich wohl tun würde, wenn ich meine leblose Schwester nicht in den Armen hielt? Ich würde nicht dafür garantieren können, meinem Bruder das Genick zu brechen. Alles, was ihn irgendwie zum Schweigen brachte. Kiéra hätte mich nicht retten sollen. Ich war ihr großer Bruder, ich musste doch auf sie aufpassen. Und ich hatte versagt. Ich hatte ein weiteres Mal versagt und sie im Stich gelassen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich sie ein weiteres Mal verloren hatte. Und dieses Mal konnte ich mich an keine Hoffnung klammern. Sie war gestorben. Sie war vor meinen Augen gestorben und ich habe nur tatenlos zugesehen.

Ein Teil meines Unterbewusstseins bemerkte, dass auch die beiden Jäger uns folgten. Und die Hexe.
Wie konnten sie trauern. Wie konnte er trauern? Dieser Hampelmann von einem Jäger. Er war der Einzige, der es durch diesen Zauber geschafft hat und er hatte nichts unternommen. Stattdessen küsste er sie. Er küsste sie, als habe er irgendein Recht dazu. Ein Anrecht auf sie. Aber ich konnte nicht leugnen, dass sie ihn zuerst küsste. Ich hatte es mit meinen eignen Augen gesehen. Und das war der einzige Grund, warum ich diesem Menschen nicht den qualvollsten aller Tode bescherte. Sie hatte ihn geliebt. So unerklärlich wie es mir war, sie hatte ihn geliebt.

Als ich mit Kiéra im Arm das Anwesen betrat, waren Elena und Caroline da. Sie schienen es bereits zu wissen, vielleicht hat Bonnie sie angerufen. Doch auch ihr Mitleid wollte ich nicht. Wortlos ging ich an ihnen vorbei und legte Kiéra auf ihr Bett. Ich deckte sie zu und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. So wie ich es früher getan hatte nach Mutters Tod. Vater hatte sie nie ins Bett gebracht.
„Wie konntest du das nur tun?", fragte ich sie leise und betrachtete ihre kleine Gestalt. „Weißt du denn nicht wie sehr ich dich brauche?"
„Damon", hörte ich Elenas zaghafte Stimme an der Tür. Es tut mir so unendlich leid, ich-"
„Nicht", hielt ich sie davon ab weiter zu sprechen. Ich wusste, dass sie es gut meinte, dass sie mich trösten wollte, aber ich konnte ihre mitfühlenden Worte nicht hören.
„Ich brauche Zeit", brachte ich schwermütig hervor. „Bitte, lass mich allein", sagte ich noch ehe ich aus dem Zimmer und dem Anwesen verschwand. Ich lief so schnell, dass niemand meine Tränen sehen konnte.

Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war als Mutter mur erklärte, dass sie noch ein Baby bekommen würde. Als sie mit Stefan schwanger war, war ich noch zu jung um es zu begreifen. Aber bei Kiéra war es anders. Ich konnte es kaum erwarten, dass meine Mutter endlich mit ihrer Schwangerschaft fertig war. So sehr wünschte ich mir eine kleine Schwester. Jeden Abend betete ich, dass es doch ein Mädchen werden würde.
Der Sohn eines Bekannten unseres Vaters hatte eine kleine Schwester. Er war etwa in meinem Alter und das Mädchen vielleicht so alt wie Stefan. Und wenn sie zu Besuch kamen, dann kam sie manchmal mit. Sie lief ihrem großen Bruder überall hinterher, sie bewunderte ihn. Immer wenn ich das sah, dann wünschte ich mir ebenfalls eine kleine Schwester. Die mich bewunderte, auf die ich aufpassen konnte. Ich hatte nie verstanden, warum der Bruder sie immer wieder wegschicken wollte, warum er so genervt von ihr war und mit ihr geschimpft hatte. Wenn ich so darüber nachdachte, dann verstand ich es bis heute nicht. Mir war Kiéra immer das kostbarste im Leben. Bis Katherine mich vergessen ließ. Noch immer bereute ich, was damals alles geschehen war. Und jetzt würde ich es niemals wieder gut machen können.

Den ganzen Tag streifte ich durch die Wälder von Mystik Falls und schwelgte in den glücklichen Erinnerungen an meine Kindheit. Ich dachte darüber nach, was Kiéra wohl gewollt hätte. Und als ich zu einem Entschluss gekommen war, kehrte ich um. Im Saloon sah ich sie alle versammelt. Die Jäger, den Hybridenjungen, die beiden Menschen, alle die sich irgendwie zu unserer kleinen Gruppe zählten. Stefan saß auf einem der Sofa und hatte Kiéra an seine Brust gepresst. Auch er hatte geweint. Ich wusste, dass er litt, dass er sich Vorwürfe machte. Aber ich konnte ihm nicht verzeihen. Vielleicht hatte er sie nicht umgebracht, dass hatte ich begriffen, doch er hatte sie auch nicht aufgehalten. Er hatte ihren Tod in Kauf genommen.

„Gut, dass du da bist", sagte er und erhob sich, als er mich bemerkte. „Wir haben alles vorbereitet für ihre Beerdigung. Wir wollten nur noch auf dich warten."
„Beerdigung?", fragte ich stumpf und sah nur auf Kiéra.
„Sie ist tot, Damon. Ich weiß, dass ist schwer zu begreifen, aber sie ist tot. Wir sollten sie nicht hier verkommen lassen, dass hat sie nicht verdient. Und wir müssen irgendwie versuchen damit umzugehen."
„Damit umgehen? Sie ist noch keine vierundzwanzig Stunden tot!", rief ich aus und raufte mir die Haare.
„Nein, aber sie ist ein Vampir gewesen. Ihr Körper zerfällt schneller. Wir sollten sie bestatten, so wie sie es verdient hat."
„Wir haben eure Familiengruft hergerichtet, Damon", sagte Elena leise doch ich schüttelte den Kopf.
„Nicht da", wehrte ich ab.
„Sie ist eine Salvatore. Sie hat ein Recht auf einen Platz in der Gruft", sagte Stefan müde. Er wollte nicht diskutieren. Ebenso wenig wie ich, aber das würde ich nicht hinnehmen.
„Nur Vater liegt dort. Glaubst du, dass sie das gewollt hätte? Auf ewig mit ihm allein in dieser Gruft zu liegen?"
„Wo dann?", fragte Stefan.
„Du weißt wo. Dort, wo sie als kleines Mädchen immer am glücklichsten war."
„An dem Silbersee der Feen?", fraget Stefan leise und lächelte bei diesen Erinnerungen.
„An ihrem See", sagte ich nickend, nahm ihm den Körper ab und ging los.
Schweigend folgten mir die anderen, doch es kümmerte mich nicht.

„Wie stellst du dir das vor?", fragte Stefan, als wir auf die mondbeschienene Oberfläche des Sees starrten.
„Kannst du einen gläsernen Sarg auf die Wasseroberfläche zaubern?", fragte ich Bonnie leise.
Ich hätte erwartet, dass sie sich weigerte, dass sie streiten wollte, aber sie nickte nur und sprach ein paar Worte, ehe der gewünschte Sarg erschien.
Dankend nickte ich und legte die Leiche meiner Schwester behutsam hinein.

„Kiéra hat diesen Ort geliebt", begann ich zu sprechen. „Unserer Mutter kam aus dem sagenreichen Irland. Sie hat ihr immer Geschichten erzählt, Legenden. Und die der Feen mochte Kiéra am liebsten. Irgendwann brachte Mutter sie hierher und erzählte ihr, die Silberfeen lebten auf dieser Lichtung. Hier am See, gleich unter der Wasseroberfläche. Sie würden ihre Häuser an den Stängeln der Seerosenblätter bauen und sie würden die süßen Waldbeeren lieben."

„Mutter erzählte ihr immer neue Geschichten. Über die Feen, die den Regenbogen nach dem Regen brachten. Und Feen, die morgens die Blätter mit Tau bedeckten. Nebelfeen, die den Nebel riefen oder welche, die das Licht fangen konnten. So oft wie Kiéra konnte, war sie auf dieser Lichtung und spielte mit den Feen. Sie setzte sich hier an den Rand des Sees und sprach zu ihnen. Oder sie pflückte ein paar Waldbeeren und fütterte sie."

Während ich diese Erinnerungen mit den anderen teilte, begann die Lichtung zu leuchten. Überall in den Bäumen tauchten kleine Lichter auf, fast wie Feen. Ich wusste, dass Bonnie dafür verantwortlich war und ich war dankbar. Dankbar, dass sie diese Geschichten für Kiéra ein letztes Mal lebendig werden ließ.

„Mutter hat ihr irgendwann mal von einer Feenprinzessin erzählt, die in einem gläsernen Sarg auf ihren Feenprinzen wartete, der sie daraus befreien würde. Wohl behütet würde diese Prinzessin mitten im See schlafen und darauf warten, dass die Welt zu einem friedlichen Ort wird. Ein Ort, den sie mit ihrem Prinzen bestaunen könnte. Kiéra hat versucht dieser Prinzessin zu helfen, die Welt so schön zu machen, dass ihr Prinz kommen konnte. Diese Geschichte war ihr die Liebste."

Wortlos verstand Bonnie und ließ den Sarg verschließen. Sie schickte ihn über den See und ließ ihn für einen Moment auf der Wasseroberfläche liegen, inmitten des strahlenden Mondes, der sich darauf spiegelte. Bis sie ihn dann langsam darin eintauchte. Und ich könnte schwören, dass Kiéra in diesem Moment irgendwie bei uns war. An diesem Ort an dem sie immer glücklich war. Und vielleicht, würde sie dort, wo auch immer sie nun war, ihre Feen treffen. Und mit ihnen gemeinsam würde sie warten. Bis die Welt zu einem besseren Ort geworden war. 

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