Kapitel 42 - Ebenbild

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Kiéra

Ich konnte nicht einfach gehen. Ich hatte das Gefühl, sehen zu müssen wie es zu Ende ging.
Ich löste Deans Griff um mein Handgelenk und schüttelte den Kopf.
„Noch nicht", erklärte ich ihm und wandte mich ab.

Das Bild, dass sich einem bot, wenn man in die Gruft trat war fast schon lächerlich. Auf einer Erhöhung in der Raummitte, unter einem Buntglasfenster, durch das der Mond hinein schien, stand ein großer, weißer Marmorsarg. Die letzte Ruhestätte meines Vaters. In den Wänden waren graue Steinplatten eingelassen, auf denen Geburts- und Sterbedaten weiterer Familienmitglieder standen. Es waren nicht mehr als Platzhalter. Ihre Leichen waren wie die aller anderen auf dem Friedhof begraben. Ich habe nie verstanden, warum er diese Gruft damals errichten ließ. Vermutlich nur, um all den Menschen die in Mystik Falls wohnten und in Zukunft wohnen werden wussten, dass Guiseppe Salvatore besser war als sie alle.

Ich trat an die Steinplatte, auf der der Name meiner Mutter stand und ließ meine Finger über die eingravierten Buchstaben wandern. Einen nach dem anderen fuhr ich nach und jeder von ihnen war mit Erinnerungen an sie verbunden. Ich erinnerte mich an glitzernde Seen in denen Feen wohnten und an blaue Blüten die vom Himmel gefallen waren. Ich hörte ihre Stimme, die mich jeden Abend in den Schlaf sang und ich spürte ihre Lippen auf meiner Stirn, wenn sie mich m Morgen wieder geweckt hat.

Jede einzelne Erinnerung wurde heller, je weiter sich das Licht des Feuers in die Dunkelheit verzog. Als ich ihren Namen nicht mehr lesen konnte, sah ich zum Sarg meines Vaters. Im letzten Schein der Flammen trat ich näher heran. Ich wusste nicht, welchen Anblick ich erwarten sollte, doch ich hatte das Gefühl, dass ich ihn sehen musste um damit abschließen zu können.
Mit seinem Hass, seinen Vorstellungen und vielleicht auch mit der Tatsache, dass er mein Vater war.
Tief in meinem Inneren war ich noch immer ein kleines Mädchen. Und so wie alle anderen kleinen Mädchen wollte ich von meinem Vater geliebt werden, beachtet werden. Und das Wissen, dass mein Vater mich so sehr verachtete, dass er sich schwor mich zu töten, tat unglaublich weh.
Ich durfte diesen Rachegeist nicht als meinen Vater ansehen, ich musste sehen, dass er es nicht war.

Als ich einen Blick in den Sarg warf, sah ich schwarze, glimmende Asche. Es lagen Knochenfragmente darin und der Ruß schwärzte auch den einst so weißen Marmor. Es passte zu der schwarz befleckten Seele von Guiseppe Salvatore, einem Mann dem nichts heilig war außer seinem eigenen Antlitz. Der sich um nichts scherte, außer seinem Ruf. Und dem Mann, der ohne Familie war, ohne Kinder, ohne Liebe.

"Kiéra?", hörte ich Deans leise Stimme. Vorsichtig stupste er meinen Arm an, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen.
"Ja?", flüsterte ich zurück.
"Lass uns gehen", schlug er vor und ich nickte.
Dennoch bewegte ich ich nicht. Ich beobachtete die glühende Asche dabei, wie sie das letzte Licht verschluckte.
Dean legte einen Arm um meine Schulter und dirigierte mich durch die großen verzierten Tore aus der Gruft hinaus.
Sam und meine Brüder warteten bereits.
"Alles okay?", fragte Damon und ich nickte still.

Ich hatte das Gefühl, dass ich in den letzten Tagen nur noch gefragt wurde, ob es mir gut ginge. Ich lächelte meist als Antwort oder nickte eicht. Ich versicherte allen um mich herum, dass es mir gut ginge. Dabei wusste ich nicht einmal, ob es wirklich stimmte. Ich wurde gejagt, man wollte meinen Tod, konnte es mir wirklich gut gehen? Andererseits hatte ich meine Brüder wiedergefunden, ich hatte Freunde, war verliebt. Wie konnte es mir nicht gut gehen?

Ich ließ mich zurück zu den Wagen leiten und in die Pension bringen. Meine Gefühle waren durcheinander, meine Gedanken fuhren Achterbahn und mein Leben stand vollkommen auf dem Kopf. Ich hatte so viel Neues gesehen und gelernt und jeder Tag überschlug sich mit Ereignissen. Ich war mit der ganzen Situation vollkommen überfordert. Mein ganzes unsterbliches Leben bestand immer nur aus Routinen. Sie beinhalteten Folter und Missbrauch der schrecklichsten Art, aber ich wusste jeden neuen Tag, was mich erwarten würde.

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