Chapter 44

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"11 Jahre. Ich war 11 Jahre lang auf einen Rollstuhl angewiesen. Alle um mich drum rum konnten laufen, rennen, tanzen, klettern, normal duschen und was weiß ich noch alles machen, während ich immer Hilfe brauchte. Ich war quasi 11 Jahre irgendwie neidisch auf dich, weil du frei warst. Du konntest tun und lassen was du wolltest. Das einzige was ich nur für mich hatte waren mitleidige Blicke. Ich bin so froh, dass ich endlich LEBEN kann und du? Du schmeißt Jahre von Freundschaft wegen ein bisschen Eifersucht weg? Du schmeißt sie nicht nur weg, sondern zerstörst sie trampelst darauf rum. Wegen Eifersucht. Ich glaub's nicht. Du bist echt das letzte!" Das war's dann mit Beherrschung. Ich hatte mich so in Rage geredet, dass mir Tränen über die Wange liefen. Ich drehte mich um, ignorierte den Schmerz und stapfte zu Lukas 'Auto, was schon da stand. Er lehnte daran und lächelte mich an, als er sah, dass ich kam. Ich versteckte mein Gesicht hinter meinen Haaren. Er musste ja nicht gleich sehen, dass ich weinte. "Hey Schatz." sagte er und wollte mich küssen. Ich hielt ihn auf, sagte: "Nicht jetzt." und stieg wortlos ins Auto.

Die kurze Fahrt über schwiegen wir. Lukas reichte mir ein Taschentuch. So dicht sind meine Haare also doch nicht.
Eifersucht. 14 Jahre Freundschaft weggeworfen wegen Eifersucht.

Ich weiß ich wollte Lukas davon erzählen, aber ich will gerade nicht darüber reden. Ich will lieber für mich in meinem eigenen Kopf darüber nachdenken, Eis essen und weinen. Wir saßen auf der Couch. Ich weinte in Lukas' Shirt und er war einfach für mich da. Genau das was ich gerade brauchte. Keine Fragen, kein Gerede, einfach stilles Schweigen und füreinander da sein. Ich kuschelte mich in seinen Arm mit Taschentüchern in der Hand. Eine Freundin zu verlieren bedeutet mehr als einfach nur eine Freundin zu verlieren. Lily war Bestandteil meines Lebens. Sie hat einfach dazu gehört. Viele meiner schönsten Erinnerungen teile ich mit ihr. Wir waren 14 Jahre befreundet. Schon im Kindergarten haben wir nur mit dem anderen gespielt. Mit einem anderen Kind zu spielen war so wie jemanden betrügen. Es war einfach schon immer klar, dass wir unzertrennlich sind. Vielmehr waren. Was hat sie so verändert? Oder... Hab ich mich verändert? Ich fühle mich elend.
"Als ich in der Reha war, hat Lily sich nie gemeldet und hat auf meine Anrufe nicht reagiert. Sie hat sich mir gegenüber komisch verhalten." fing ich an zu erzählen. Vielleicht ist reden doch keine so schlechte Idee. "Ich hab das erstmal ignoriert und gedacht, dass sie mir damit signalisieren will, dass sie auch mit anderen befreundet ist oder sein möchte. Aber dann hat sie angefangen schlecht über mich zu reden. Sie hat mich in den Dreck gezogen und... Gerüchte verbreitet. Deswegen schauen mich auch alle immer so an, wenn ich das Schulgelände betrete. Die einen glauben was sie hören und die anderen glauben das was sie sehen. Und wieder andere glauben was sie glauben wollen. Vorgestern konnte ich mich dann nicht zusammenreißen und hab ihr meine Meinung gegeigt, dass sie mir sagen soll, was ihr Problem ist." Oh nein. ICH bin ihr Problem. Sie hat ein Problem damit, dass ich mich so verändert habe. Ich bin nur durch das Laufen anders geworden. Ich habe mich mit anderen Leuten beschäftigt und ihr wenig Aufmerksamkeit gegeben. Für mich war das ein neuer Lebensabschnitt, für sie war das eine neue Hanna. "Gestern war sie nicht in der Schule und heute haben wir geredet. Eifersucht. Sie ist der Meinung, dass mein Leben perfekt ist. Das ICH perfekt bin, aber so ist das nicht. Niemand ist perfekt." Ich starrte an die Wand mir gegenüber. "Danke." sagte Lukas leise. "Wofür?" fragte ich. "Das du mir das erzählst." er lächelte mich an. "Vielleicht ist es nicht nur Eifersucht auf mein Leben, sondern auch auf dich und auf Leondre und auf Meggy und Ria. Vielleicht möchte sie einfach nur Zeit mit mir verbringen und mich als ihre Freundin haben. Seit ich laufen kann... Für mich war das ein neuer Lebensabschnitt, für sie eine neue Hanna." sprach ich meine Gedanken aus. "Selbst wenn du Recht hast, rechtfertigt das nicht ihr Verhalten. Sie hätte auch einfach mit dir reden können. So langsam sollte sie wissen, dass du nicht beißt. Außerdem macht Schuld-zuschieben das ganze nicht rückgängig. Gib ihr und vor allem dir selbst Zeit." meinte Lukas und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Wir saßen noch eine Ewigkeit aneinander gekuschelt auf der Couch und genossen einfach die Anwesenheit des anderen. "Ich liebe dich!" sagte ich und küsste ihn. "Ich dich noch viel mehr!"

Meine Eltern kamen nach Hause, Lukas machte einen Livestream und ich ließ mir von Ria und Meggy tausende Fragen stellen zum Lily Thema.
Irgendwann ging es mir dann auf die Nerven und ich machte mein Handy aus. Ich schlich leise in mein Zimmer und sah Lukas beim Livestream. Er redete mit ein paar Fans, beantwortete Fragen und gab Informationen zur kommenden Tour durch. Im November würde er in ganz Deutschland umher reisen. Und es war schon September.

Diese Nacht schlief ich gar nicht gut. Mich beschäftigte das mit Lily zu sehr. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn ich einfach nie erfahren hätte, was los ist. Vielleicht wäre dann jetzt einiges anders. Lukas schlief ganz friedlich, aber ich wachte gefühlt alle 10 Minuten auf. Irgendwann stand ich auf, schnappte mir eine Jacke, mein Handy und Kopfhörer und setzte mich dann raus in den Garten. Ich machte mir ruhige Musik an, legte mich auf die Wiese und sah in den Sternenhimmel. Die Welt ist so unendlich groß und ich hab schon längst neue Freunde, also warum trauer ich dann alten Freunden hinterher? Im Prinzip ist doch eigentlich alles gut. Lily hat Recht. Ich kann mich in keinster Weise über mein Leben beschweren. Aber kann ich das so einfach wegstecken? Ich war schon immer sehr emotional, aber heute war es besonders schlimm, weil ich schon wieder weinte. Ich habe nicht einfach nur eine Freundin verloren. Ich habe einen Teil meiner Familie verloren. Ich habe eine der wichtigsten Personen in meinem Leben verloren. Lily war immer da und jetzt? Jetzt sind wir beide weg. Vielleicht war es gut so. Vielleicht war es einfach an der Zeit, dass jeder seinen eigenen Weg geht.
Ich zitterte am ganzen Körper. Mir war arschkalt und ich weinte, als müsste ich eine ganze Wüste mit Wasser versorgen. Aber aufstehen konnte ich nicht. Also blieb ich liegen und konzentrierte mich auf die Musik und die Sterne.
Irgendwann schaffte ich es dann doch mich aufzuraffen und kam zumindest bis zur Zimmertür. Mir war kalt und ich spürte meine Hände nicht mehr. Inzwischen war es halb 6 und ich war sogar zu müde zum denken. Ich ließ mich, mit Jacke noch an, auf das Bett fallen schlüpfte unter die Decke und schlief sofort ein.




Kiss me (Lukas Rieger FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt