Zitronenfalter

447 39 10
                                    

Wir Wesen außerhalb des Feenreichs sprechen das Jahr 2007...

"Izzy! Izzy, wach schon auf, du hast total verschlafen! Meliorn wollte sich doch mit dir treffen!" Alexander versuchte verzweifelt seine Schwester Isabelle zu wecken. "Ist ja gut, ich bin schon wach!", murrte diese eher weniger begeistert von der Weckaktion. "Es ist noch viel zu früh", jammerte sie, während sie sich mit dem Wasser aus dem Baumstamm, der in der Höhle der beiden Geschwister stand, wusch. Sie hatte sich endlich von ihrem Schlafplatz fortbewegt. Sie und Alec bewohnten gemeinsam eine der Wohnhöhlen aus dicken Zweigen, die am Lichten Hof üblich waren. Seit sie klein waren, standen sich die beiden sehr nahe. "Es ist gar nicht früh, die Ringelblumen haben schon ihre Blüten geöffnet", widersprach Alec und ließ sich auf Izzys hohes Bett aus Ästen, Moos, Kissen und Decken aus dicken Blättern fallen. Isabelle grummelte leise und suchte sich ein langes, silbernes Kleid aus, das in ihrer Garderobe, die aus einem Baum gewachsen war, hing. Die Feenwesen konnten mit ihrer Magie die Bäume so wachsen lassen, wie sie wollten. "Wie findest du das?", fragte Izzy und hielt Alec das Kleid hin. Dieser zuckte nur mit den Schultern - von diesen Dingen hatte er keine Ahnung - und blickte weg, während sich seine Schwester umzog. Das tat er jedes Mal, auch wenn es Izzy vermutlich nicht störte, sähe er hin. Die Königin hatte Alec einmal gesagt, dass sie doch sowieso alle nichts zu verstecken hätten und die Tiere sich doch ebenfalls nicht kleiden würden. Dennoch empfand er den Anblick ihrer Majestät immer eher als unangenehm. Aber vielleicht lag das auch nur an der Situation und daran, dass sie seine Königin war, dachte er.
"Alec! Hörst du mir zu?", fragte Isabelle genervt. "Sieht das gut aus, Alec?" Sie hatte sich anscheinend mit irgendwelchen Pflanzen Farbe auf ihre Lippen und Augenlider geschmiert. Alec wusste nicht, wie sie das hinbekam, denn sie sah jedes Mal gut damit aus.
"Ja, ja, du siehst blendend aus, Izzy. Tust du doch immer", antwortete ihr Bruder abwesend. Izzy stöhnte, verabschiedete sich mit einem Luftkuss von ihm und verließ die Höhle. Alec hatte keine Ahnung, was seine Schwester so trieb, wenn sie den angesehenen Elbenritter Meliorn besuchte, er wollte es auch nicht so genau wissen. Vielleicht würde sich Alec in der Zwischenzeit mit Clarissa treffen. Sie war, wie die Geschwister, eine Halbelfe und nicht viel jünger als Izzy. Die beiden waren gut mit ihr befreundet. Denn alle drei kannten das Gefühl gut, nur zur Hälfte dazuzugehören. Am Anfang hatte Alec sie nicht leiden können, er hatte immer das Gefühl gehabt, sie würde Izzy und ihn auseinanderreißen. Dass Izzy ihr den Spitznamen Clary gegeben hatte, hatte ihm gar nicht gepasst. Zuvor hatten nur er und seine Schwester dieses kleine "Geheimnis" gehabt. Doch mittlerweile fand er Clary mehr als in Ordnung. Er war sogar ganz froh, sich außer Izzy mit noch jemandem im Feenreich gut zu verstehen.

"Meliorn", sagte Isabelle. Der Elbenritter saß auf einem Baumstamm und meditierte, doch nun öffnete er seine Augen und stand elegant auf. "Isabelle", lächelte er. "Wie schön, dass du gekommen bist. Du siehst wie immer hinreißend aus." Meliorn gab ihr einen leichten Handkuss. Anscheinend hatte sich der Aufwand gelohnt. Isabelle lächelte mit sich zufrieden und hakte sich bei Meliorn ein. Ihr langes silbernes Kleid streichelte ihre Fußgelenke, als sie losging. "Wie geht es dir?", wollte Meliorn wissen. "Ganz gut", erwiderte Isabelle. Die zwei gingen ein Stück durchs Feenreich, vorbei an den Wanderwäldern. Sie wechselten einige unbedeutende Worte und Höflichkeiten, es war nichts Außergewöhnliches. So war es meistens, wenn sie sich trafen - zumindest bevor der aufregende Teil kam. Meliorn stoppte. "Die Königin erwartet deinen Bruder heute in der Seichten Grube, wenn die Nacht anbricht. Das soll ich ihm von ihr überbringen, aber ich dachte, du könntest vielleicht die Vermittlerin der Nachricht sein. Ich kann dir doch vertrauen, Isabelle, oder?" Meliorns dunkle Augen blickten in ihre eigenen und er senkte seinen Kopf. Lichtstrahlen fielen auf seine schwarzen Haare, die unten in einem leuchtenden Blau endeten. "Natürlich kannst du das, Meliorn. Ich werde meinem Bruder Bescheid geben. Du kannst dich auf mich verlassen. Ich weiß, dass man sich bei der Königin lieber keine Fehler erlauben sollte", antwortete Isabelle. Den letzen Satz sagte sie mit einem leicht zünischen Unterton. Meliorn nickte zum Dank. "Du solltest dich davor hüten, schlechte Worte über die Königin in den Mund zu nehmen, Isabelle. Ich warne dich zu deinem eigenen Schutz", wies Meliorn sie zurecht.
"Natürlich. Das weiß ich. Es ist bloß so, dass-" Sie stoppte sich, denn ein Zitronenfalter flatterte vor ihrem Gesicht vorbei. Isabelle liebte Schmetterlinge. Sie fand, es gab keine schöneren Tiere. Es gab so viele verschiedene Arten von ihnen und wenn man genau hinsah, konnte man bei jedem Tier eine gewisse Individualität ausmachen. Und war es auch bloß ein winziger Farbklecks, der dem Flügel seine eigene Besonderheit verlieh. Das Lichte Volk sah die Schmtterlinge als Zeichen der Wiedergeburt und der Veränderung. Doch dieser Schmetterling wollte ihnen wohl etwas mitteilen, denn er flog wie von einem Magneten angezogen um ihre Köpfe herum.
"Ihre Majestät beruft ein Treffen ein. Wir sollten uns auf den Weg machen", schloss der Elbenritter daraus. Isabelle nickte. "Ihre Majestät sollte man nicht warten lassen." In ihrer Stimme schwang leichte Verbitterung mit, die Meliorn trotz ihres Versuches, es dieses Mal zu vertuschen, bemerkte. "Ich bitte dich, Isabelle. Die Königin ist nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst." Sie biss sich auf die Unterlippe, um sich einen Kommentar zu verkneifen. Auch wenn sie es sollte, war sie noch nie ein großer Fan der Königin gewesen.
Als die beiden bei der Lichtung mit dem beeindruckenden Thron ankamen, hatten sich bereits einige Elben dort versammelt. Unter anderem auch Alec, ihre Mutter Alilia und ihre rothaarige Freundin Clary, die sich leise unterhielt mit Alec unterhielt.
Ihre Majestät war noch nicht anwesend. Izzy schlich durch die Reihen zu ihrem Bruder und ihrer Freundin. "Habt ihr irgendeine Ahnung, worum es hier geht?", erkundigte sie sich, nachdem sich die drei begrüßt hatten. "Nicht wirklich. Aber ich habe gehört, sie soll eine wichtige Ankündigung machen", lehrte sie Clary. "Mmh", machte Isabelle nur. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Normalerweise ließen die Botschafter der Königin immer erahnen, worum es sich handelte, und wenn sie sich nicht täuschte, und der Schmetterling tatsächlich etwas zu bedeuten hatte, dann stand eine große Veränderung bevor.
Isabelle lächelte ihrer Mutter zu, die sie soeben entdeckt hatte, doch Alilias Blick wirkte leicht gequält. Wusste sie, was in wenigen Augenblicken verkündet werden sollte? Denn wenn ja, konnte ihr Gesichtsausdruck nur Schlechtes verprechen.
Ein einzelner Trommelschlag ertönte und sofort kehrte Stille ein. Die Königin des Lichten Hofes trat zwischen den Bäumen hervor und ließ sich auf ihrem Thron nieder.
"Seid gegrüßt, meine Freunde", begann sie zu sprechen. "Sicher wundert ihr euch über die plötzliche Versammlung. Deshalb wird es euch vielleicht überraschen, dass sie schon seit einiger Zeit geplant wurde. Ich sah mich nach langer Beratung mit den Ältesten dazu genötigt, neue Gebote einzuführen." Unruhig blickten sich Clary, Izzy und Alec an.
"Von heute an sei es ein Verbot, sich mit jeglichen Unterweltlern oder Schattenjägern, die nicht zu unserer Art zählen, zu treffen. Jedes Treffen soll von nun an nur noch politische Hintergründe haben und von mir persönlich genehmigt sein. Wer dagegen verstößt, wird mit Gefangenschaft in den Dunklen Höhlen büßen."
Das einzige Geräusch, das Isabelle hören konnte, war das Hämmern eines Spechts gegen einen Baum. Jedem schien es die Sprache verschlagen zu haben. Ihre Majestät fuhr unbeirrt fort: "Da diese Nachricht nicht erfreulich scheint, bin ich umso gewillter, nun etwas Positives zu verkünden: Die Verlobung zwischen Meliorn und Isabelle." Isabelles Augen weiteten sich. Sie dachte, sie hätte sich verhört. Doch auch Alec und Clary reagierten gleich, anscheinend hatte sie die Königin richtig verstanden. "Was? Was soll das? Wovon redet sie, Izzy?", zischte ihr älterer Bruder neben ihr leise. Isabelle schluckte. Und nochmal. Und nochmal. Aber so oft sie auch schluckte, die Situation erschien ihr immer noch genauso surreal.

Tanz des Schicksals - Shadowhunters/MalecWo Geschichten leben. Entdecke jetzt